Für eine Gesellschaft, deren Wohlstand primär von ihren immateriellen Ressourcen abhängt, deren Prägung – eigentlich – die Selbstverwirklichung des Individuums ist und die sich nicht zuletzt auch zunehmend komplexeren nichttechnischen Herausforderungen ausgesetzt sieht, erscheint ihr philosophiebasierter Substanzwert als überaus wesentlich, um mittel- und langfristig bestehen zu können. Dabei geht es nicht allein um die Werte, denen sich das Individuum und die Gesellschaft verpflichtet sehen. Auch die Logik, die Tiefe des Verständnisses zum Sein und die uns umgebende Wirklichkeit, die Fähigkeit, Sachverhalte zu verstehen, einzuordnen und Zusammenhänge zu erkennen und anderes, beeinflussen den Erfolg jedweden Wirkens.
Hinsichtlich all dessen bleibt im Regelfall jeder sich selbst überlassen. Mit fatalen Folgen für die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft. Es ist einfacher, Fußballstadien oder Konzerthallen zu füllen und Millionen in den Urlaub nach Mallorca oder Teneriffa zu fliegen als ein breites Interesse zu finden, der Regierung in der NSA-Affäre das Rückgrat zu stärken oder ihr mit Ideen, Konzepten und Zusammenhalt bei der Bewältigung der Corona-Pandemie zu helfen – so, als Eltern und Lehrer auf den Sommerurlaub zu verzichten, um die Lerndefizite der Kinder abzubauen. Und daran noch Spaß zu haben.
Woran liegt das? Die Gesellschaft ist den Konsum gewöhnt. Sie wird zum Konsum erzogen. Es gibt eine große Vielfalt an Möglichkeiten, sich tagtäglich durch Fernsehsender und Streamingdienste das Hirn zu vernebeln und das Denken abzugewöhnen. Krimis und andere Actionfilme, Liebesfilme und andere seichte Unterhaltung, Musiksendungen, Shows, auch Naturfilme und vieles andere: Überall dominiert eine partizipationsbefreite Unterhaltung. Polit-Talks sind selten tiefgründig, wirken aus den üblichen Reflexen und dienen ebenfalls der Unterhaltung statt der Herausarbeitung von das Nachdenken der Zuschauer auslösenden Reizen und enden, wenn die Sendezeit dafür vorbei ist.
Die Bevölkerung wird nicht zur individuellen Auseinandersetzung mit Sachverhalten und nicht zum tieferen Nachdenken an sich erzogen, so dass sich zwar die Schlauheit weiter ausbreiten und zusammen mit dem Eigennutz ihr Unwesen treiben kann, aber nicht die Klugheit. Entlang der Auseinandersetzung entwickelt sich aber der individuelle und gesellschaftliche philosophiebasierte Substanzwert. Könnte es sein, dass darin auch die nachlassende Innovationskraft Deutschlands und die zunehmende innenpolitische Zerrissenheit mitbegründet sind? Auch der sich in der Gesellschaft ausbreitende Rassismus ist dort einzuordnen, der sich nicht nur in den NSU-Morden, dem Mord an Walter Lübcke und den Morden in Hanau und Halle offenbart. Das zunehmende Versagen der Politik, diesen Entwicklungen nachhaltig zu begegnen, ist nicht nur in deren nachlassender Autorität, sondern auch darin begründet, dass wohlfeile Worten an Gedenktagen und selbst die Auffüllung des repressiven Werkzeugkastens mit neuen Gesetzen und Technologien nicht ausreicht, um in einer von Konsum und medialer Beschallung paralysierten Gesellschaft Aufmerksamkeit zu generieren, die noch dazu Verhaltensänderungen nach sich zieht. Insofern dient es primär nur der Selbsttäuschung und der Veruntreuung öffentlicher Mittel, wenn eine Milliarde EUR für die Bekämpfung des Rassismus in 87 Einzelprojekten verbrannt werden.
Indem die Demokratien ihr Humankapital schwächen, leisten sie ihrer Destabilisierung Vorschub. Wenn die Politik immer mehr zum Erfüllungsgehilfen der Lobbyisten wird, wenn die Amerikaner die Deutschen ausspähen, um sich ihrer Innovationen zu bemächtigen und sie im Hintergrund in vielfältiger Weise zu führen, wenn die Massenüberwachung an sich um sich greift und ihr immer mehr die Einflussnahme folgt, wenn
die Medien nur Sprachrohre für immer schwerer zu durchschauende politische Agenden und nicht bereit sind, entlang der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Diversität in der gesellschaftspolitischen Analyse und bei der Diskussion alternativer Ideen und Konzepte zuzulassen, wenn die Judikative zunehmend wieder politische Interessen exekutiert, so begrenzt das die kognitive Diversität wie auch die wirtschaftliche Entwicklung und wirkt so destabilisierend auf die gesellschaftliche Ordnung, da die für Prosperität und gedeihliche Zukunft notwendigen Analysen, Ideen und Konzepte aus dem Blickwinkel des Kleingeistes isoliert, diskreditiert und vernichtet werden, statt das der Freigeist Beiträge für die gesellschaftliche Entwicklung leistet. Die erodierende Mitte wird zum größten Sicherheitsrisiko für die freiheitliche demokratische Grundordnung, die nicht zuletzt der Diffusion in die politischen Ränder Vorschub leistet.
Betrachtet man die westlichen Demokratien als Team, das zu sein durch Begriffe wie die westliche Wertegemeinschaft oder Bündnisse wie die Europäische Union und die NATO behauptet werden soll, so gleicht das dem Bemühen, sich innerhalb des Teams immer wieder gegenseitig den Ball zu klauen oder ihn eigennützig nicht abgeben zu wollen, so dass es zunehmend schwerer fällt, gegen das Team China zu bestehen, das mit klarer Spielphilosophie, hoher Leistungsbereitschaft und Siegeswillen auftritt und auch im Training sehr viel mehr Einsatzwillen zeigt.[i]
Ausgestattet mit fast allem, was notwendig ist,
um Geschichte zu schreiben, machten sie sich auf,
Geschichte zu werden. Es lag an ihrem Wesen.
Konsequenzen unserer Normalität
Es kann konstatiert werden, dass die Demokratie ein ziemliches Verlustgeschäft geworden ist, bei dem es in der Bevölkerung immer mehr Verlierer gibt und die Staatsverschuldung explodiert, weil die Reichen noch reicher werden wollen und gleichzeitig der soziale Frieden halbwegs gewahrt werden soll. Besonders deutlich wird das an den USA. Während das Haushaltsdefizit 2001 bei circa 57 Milliarden US-Dollar lag, stieg es bis 2020 auf circa. 3.9 Billionen US-Dollar[ii] – insbesondere als Folge der Außenhandelsdefizite[iii] und der Militärausgaben.[iv] Jedes Jahr liegen die Staatsausgaben erheblich über den Staatseinnahmen.[v] Gleichzeitig wachsen die Privatvermögen[vi] - aber auch die Armut.[vii] „Die Freiheit wird zur Armutsfalle“, titelte die Süddeutsche Zeitung für das Land der unbegrenzten Möglichkeiten[viii], und für Deutschland stellt der Armutsforscher Christoph Butterwegge fest: „Die Armut frisst sich in die Mitte der Gesellschaft hinein“.[ix] Wenn sich billionenschwere Programme über der ausbreitenden Armut und Zerrissenheit in der amerikanischen Bevölkerung entfalten und in Deutschland über ein bedingungsloses Grundeinkommen nachgedacht wird, so manifestiert sich darin gutes als nützliches zur Erhaltung der bestehenden Ordnung: Als Ausdruck der Sorge, dass die wirkenden Werkzeuge nicht ausreichen, um den Konsequenzen zurückliegender Exzesse und zurückliegenden Versagens standhalten zu können.
Es ist abzusehen, dass diese Entwicklungen in den nächsten Jahren noch mehr an Dynamik gewinnen werden. Auch die Corona-Pandemie leistet ihren Beitrag, dass der Substanzwert der westlichen Demokratien weiter sinkt und sich in der Folge vielfältige gesellschaftliche Spannungen entwickeln. Angesichts dessen werden schon seit Jahren immer neue Möglichkeiten der Überwachung und Repression entwickelt. So hat sich in Deutschland die Anzahl der Überwachungsgesetze in den letzten Wahlperioden massiv erhöht.[x]
Die westlichen Demokratien haben sich nach dem zweiten Weltkrieg zur aggressivsten Gesellschaftsform entwickelt (Anm. d. Red.: Niemand weiß, wie viele Tote Mao auf dem Gewissen hat. Die Schätzungen liegen zwischen 40 und 80 Millionen). Weder Diktaturen noch anderen Formen kann man mehr Kriege,[xi] mehr Tote zuschreiben.[xii],[xiii] Macht es Sinn, in der Weise die Fahne der Demokratie weiter zu schwingen? In einer Welt, in der zu den Atomwaffen noch Hyperschallwaffen und die Kämpfe im Cyber- und Weltraum hinzugekommen sind und Computer zunehmend die Fähigkeiten von Menschen übernehmen? In der die Genetik weiteren Möglichkeiten schafft, den Menschen zu ersetzen?[xiv] In der die Demokratie ihr unschuldiges Antlitz und ihre Anziehungskraft verliert? Mir scheint: Als alterndes Tier mit nachlassender Kraft, fehlenden Visionen und Konzepten, unzureichender Führung, von Eigennutz zerfressenden Individuen immer aggressiver zu werden, scheint nicht für den Westen und erst recht nicht für die Menschheit ein nachhaltiges Handlungskonzept zu sein.
Sei mutig: Analysiere heute und gestalte das Morgen –
am besten so, dass es auch dem Übermorgen dient.
Sonst wirst du schon morgen mit den Folgen dessen leben müssen,
wessen du dich heute nicht zugewandt hast.
So, wie es dir schon heute ergeht.
Moral
Vollkommen neue Ansätze sind notwendig, um die eingefahrene gesellschaftliche Verfasstheit zu durchbrechen. Es bedarf dabei auch der Überreize, die sowohl wahrgenommen werden als auch durch ihren komplexen Ansatz geeignet sind, komplexen Problemen nachhaltig begegnen zu können. Wie man das Wetter nur bedingt beeinflussen kann, wenn nicht auf das Klima Einfluss genommen wird, so bedarf es auch einer gesellschaftlichen Klimaveränderung.
Eine neue Art von Denken ist notwendig, wenn die Menschheit weiterleben will.
Albert Einstein (1879 – 1955), Physiker
Die einzige Chance für den Westen – und für das Überleben der Menschheit – besteht darin, die Menschwerdung des Affen mit der Demokratie zu verbinden. Die Möglichkeit dafür ist gegeben, denn es gibt noch andere Blickwinkel auf die Demokratie. Aspekt des Paradigma-Paradoxons der Demokratie, Werte an ihre Gesellschaftsform zu binden – um so das nach wie vor wirkende Recht des Stärkeren auf der Höhe der gesellschaftlichen Entwicklung durchzusetzen und systemisch dafür Sorge zu tragen, dass sich daran nichts ändert –, ohne ihnen von vornherein genügen zu wollen oder überwiegend gerecht zu werden, ist auch, dass sich – wie in vorchristlichen Zeiten durch den Blick auf Gott – in der Gesellschaft gute Eigenschaften herausbildet haben und weiter herausbilden. Die Demokratie leistet damit ihren Beitrag für die Menschwendung des Affen.
Es mag unwichtig sein, wenn ein Sack Reis in China umfällt, doch die Art und Weise des Miteinanders in unserer Gesellschaft und dabei insbesondere die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit individuellen, unternehmerischen und nicht zuletzt gesellschaftlichen Problemstellungen entscheidet darüber, ob es uns zusammen gelingt, unserem Land und in ihm uns wie auch unseren Kindern und Enkeln eine gedeihliche Zukunft zu ermöglichen. Darauf selbst Einfluss zu nehmen, wird primär durch das eigene Denken und Handeln möglich. Es macht keinen Sinn, darauf zu warten, dass andere sich ändern. Nur so kann es gelingen, zu einer Kultur zu kommen, in der sich unser Land zum Nutzen aller aus der Individualität aller entfaltet und sich ein gesellschaftliches Klima entwickelt, in dem wir uns alle wohlfühlen und aus dem heraus wir uns gemeinsam all dem nachhaltig zuwenden können, was zu bewältigen notwendig ist. Auch den Klimawandel werden wir nur durch einen Klimawandel in den Griff bekommen.
[i] Lu, Franka 2019: Die Kinder müssen bis zum Mond fliegen, mindestens, in: www.zeit.de/kultur/2019-08/china-bildung-schulsystem-erfolg-eltern-leistungsdruck?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.de%2F; 30.04.2021.
[ii] Statista 2020: USA: Haushaltssaldo von 2001 bis 2019 und Prognosen bis 2026, in: de.statista.com/statistik/daten/studie/165796/umfrage/haushaltssaldo-der-usa/; 30.04.2021.
[iii] Statista 2020: USA: Handelsbilanzsaldo von 2009 bis 2019, in: de.statista.com/statistik/daten/studie/15635/umfrage/handelsbilanz-der-usa/; 30.04.2021.
[iv] Statista 2020: Militärausgaben der USA von 2004 bis 2019, in: de.statista.com/statistik/daten/studie/183059/umfrage/militaerausgaben-der-usa/; 30.04.2021.
[v] Statista 2020: USA: Staatseinnahmen und Staatsausgaben von 2001 bis 2019 und Prognosen bis 2025, in: de.statista.com/statistik/daten/studie/200520/umfrage/staatseinnahmen-und-staatsausgaben-in-den-usa/; 30.04.2021.
[vi] Statista 2020: Entwicklung des durchschnittlichen Privatvermögens pro Erwachsenem in den USA von 2000 bis 2019, in: de.statista.com/statistik/daten/studie/917214/umfrage/privatvermoegen-pro-erwachsenem-in-den-usa/; 30.04.2021.
[vii] ZDF 2021: Not und Hunger in den USA, in: www.zdf.de/nachrichten/video/panorama-usa-armut-foodbanks-100.html; 30.04.2021.
[viii] Hulverscheidt, Claus 2020: Die vermeintliche Freiheit wird zur Armutsfalle, in: www.sueddeutsche.de/wirtschaft/usa-corona-arbeitslose-sozialstaat-armut-1.4857910; 30.04.2021.
[ix] Behrens, Nele 2021: "Die Armut frisst sich in die Mitte der Gesellschaft", in: www.t-online.de/finanzen/geld-vorsorge/id_89939340/armutsforscher-butterwegge-armut-frisst-sich-in-mitte-der-gesellschaft-.html; 04.05.2021.
[x] Mühlenmeier, Lennart 2018: Wie man in 69 Jahren einen Überwachungsstaat aufbaut, in: netzpolitik.org/2018/wie-man-in-69-jahren-einen-ueberwachungsstaat-aufbaut/; 30.04.2021.
[xi] WIKIPEDIA 2021: Liske von Kriegen, 20. Jahrhundert, in: de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Kriegen#20._Jahrhundert; 30.04.2021.
[xii] Staub, Ignaz 2012: Seit 1945 sechs Millionen Tote in US-Kriegen, in: www.journal21.ch/seit-1945-sechs-millionen-tote-in-us-kriegen; 30.04.2021.
[xiii] Rötzer, Florian 2018: Der amerikanische Krieg gegen den Terror hat mindestens 500.000 Tote gekostet, in: www.heise.de/tp/features/Der-amerikanische-Krieg-gegen-den-Terror-hat-mindestens-500-000-Tote-gekostet-4217435.html; 30.04.2021.
[xiv] GEO 2021: Forscher erschaffen Menschen – Affen – Mischwesen im Labor, in: www.geo.de/wissen/forscher-schaffen-mensch-affen-mischwesen-30484574.html; 30.04.2021.