Politik

Europa reagiert: Frankreich baut Tadschiken als Gegengewicht zu den Taliban auf

Frankreich unterstützt den Tadschiken-Führer Ahmad Massoud als Gegenpol zu den Taliban. Der Afghanistan-Konflikt muss vor allem aus dem Blickwinkel rivalisierender Stämme betrachtet werden. Europa hat die Möglichkeit, eine wichtige Rolle in der Zukunft Afghanistans zu spielen.
16.08.2021 13:00
Lesezeit: 3 min
Europa reagiert: Frankreich baut Tadschiken als Gegengewicht zu den Taliban auf
Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, spricht während einer Videokonferenz zu einem Frankreich-Ozeanien-Gipfel im Elysee-Palast. (Foto: dpa)

Die Taliban, oder in der paschtunischen Sprache „Studenten“, entstanden Anfang der 1990er Jahre im Norden Pakistans nach dem Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan. Es wurde belegt, dass die überwiegend paschtunische Bewegung zuerst in religiösen Seminaren aufgetreten ist, die von Saudi-Arabien finanziert wurden. Dort wurde der Wahhabismus gelehrt, der in Kontrast zu allen anderen islamischen Strömungen steht.

Das Versprechen der Taliban in paschtunischen Gebieten zwischen Pakistan und Afghanistan bestand darin, Frieden und Sicherheit wiederherzustellen und ihre religiösen Vorstellungen durchzusetzen.

Aus dem Südwesten Afghanistans weiteten die Taliban schnell ihren Einfluss aus. Im September 1995 eroberten sie die an den Iran grenzende Provinz Herat und genau ein Jahr später die afghanische Hauptstadt Kabul und stürzten das Regime von Präsident Burhanuddin Rabbani – einem der Gründerväter der afghanischen Mudschaheddin, die sich der sowjetischen Besatzung widersetzten. 1998 kontrollierten die Taliban fast 90 Prozent Afghanistans.

Afghanen, die nach der Vertreibung der Sowjets der Auswüchse der Mudschaheddin und den Machtkämpfen überdrüssig waren, begrüßten die Taliban im Allgemeinen, als sie zum ersten Mal auf den Plan traten. Ihre frühe Popularität beruhte hauptsächlich auf ihrem Erfolg bei der Bekämpfung der Korruption, der Eindämmung der Gesetzlosigkeit und der Sicherung der Straßen und Gebiete unter ihrer Kontrolle, damit der Handel florieren konnte, so die „BBC“.

Aber die Taliban führten auch drakonische Strafen gegen Gesetzesbrecher ein. Sie verboten auch Fernsehen, Musik und Kino und missbilligten den Schulbesuch von Mädchen ab 10 Jahren. Ihnen wurden verschiedene Menschenrechts- und Kulturverstöße vorgeworfen.

Pakistan war neben Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) eines von nur drei Ländern, die die Taliban anerkannten, als sie in Afghanistan an der Macht waren.

Es wird angenommen, dass die Gruppe jetzt zahlenmäßig stärker ist als je zuvor seit ihrer Vertreibung im Jahr 2001 – mit bis zu 85.000 Vollzeitkämpfern nach jüngsten Schätzungen der Nato.

Die Tadschiken unter Massoud gegen die Taliban

Die ethnische Komponente darf im Afghanistan-Konflikt nicht außer Betracht gelassen werden. Einer der größten Taliban-Gegner war der Tadschiken-Führer Ahmad Schah Massoud, der zwei Tage vor den Anschlägen vom 11. September 2001 bei einem Bombenanschlag ermordet wurde. Massoud galt als Nationalheld. Er war ein Gegner der Taliban und des Wahhabismus und war außenpolitisch pro-europäisch. Mit Massoud hätten die Kontinentaleuropäer, insbesondere die Franzosen, die Möglichkeit gehabt, eine bedeutende Rolle in Afghanistan zu spielen. Doch seine Ermordung machte diesen Plan zunichte. Der Vater von Massoud hatte an einem französischen Lycée in Afghanistan studiert.

Die französische Regierung hat immer noch ein Interesse daran, die Tadschiken in Afghanistan auf ihre Seite zu ziehen. Ahmad Massoud ist der Sohn des ermordeten Tadschiken-Führers. Er besuchte im März 2021 Paris. „Euronews“ berichtet unter dem Titel „Paris ehrt ermordeten afghanischen Rebellenführer Ahmad Schah Massoud“: „Paris gedachte des ermordeten afghanischen Rebellenführers Ahmad Schah Massoud. Genau 20 Jahre nach seinem ersten Besuch in der Stadt wurde in den Gärten der Champs Elysées eine Gedenktafel enthüllt – auch die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, und ein Sohn, Ahmed Massoud, waren gekommen. Ahmad Shah Massoud führte in den 1980er Jahren den Widerstand in Afghanistan gegen die sowjetische Besatzer an – was ihm den Namen ,Löwe von Pandschschir‘ eintrug und dann gegen die Taliban, als diese von 1996 bis 2001 Afghanistan regierten. Im April 2001 besuchte Massoud zum ersten Mal Europa. In Straßburg wurde er auf Einladung der französischen Politikerin Nicole Fontaine im Europäischen Parlament empfangen.“

Massoud sagte nach Angaben von „France 24“: „Wir müssen mit den Taliban sprechen, wir müssen Frieden mit den Taliban schließen.“ Er warnte jedoch davor, dass die Aufständischen Grundwerte wie Demokratie und Frauenrechte akzeptieren müssen. Er werde „die Werte, für die wir gekämpft haben, nicht opfern“.

Im Gespräch mit dem „Atlantic Council“ sagte Massoud, dass er bereit sei, mit den Taliban „eine inklusive Regierung“ zu bilden. Doch Extremismus und Fundamentalismus seien inakzeptabel. Die afghanische Regierung habe es versäumt, die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen. Die Korruption und die Misswirtschaft im Land seien auf das stark zentralisierte Regierungs- und Sicherheitssystem des Landes zurückzuführen. Eine vielfältige, multiethnische Gesellschaft wie die Afghanistans benötige ihm zufolge ein dezentralisiertes politisches System und Streitkräfte.

Massoud glaubt, dass die Taliban nur dann eine Rolle in der Zukunft Afghanistans spielen können, wenn ihre Mitglieder die Kämpfe einstellen. Da sei eine Botschaft, die seiner Ansicht nach die regionalen Mächte unterstützen müssen. „Es sind (die Taliban), die das Feuer verbreiten, nicht wir“, sagte er.

Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass Frankreich und vielleicht weitere europäische Mächte über den Ausbau der Beziehungen zu den Tadschiken-Stämmen in Afghanistan eine wichtige Rolle spielen könnten.

Das Erstarken der Taliban stellt keine Gefahr für China dar. Sie sehen in China einen „Freund“, von dem sie sich Investitionen erhoffen. Doch auch mit Russland führen die Taliban konstruktive Gespräche (HIER). Die Taliban deuteten damit erstmals an, dass sie das Projekt zur Neuen Seidenstraße Chinas unterstützen wollen. Chinas Außenminister Wang Yi hatte sich im August 2021 mit einer Taliban-Delegation getroffen, um Details zur Kooperation zu besprechen.

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