Die Stimmung in den Chefetagen der deutschen Unternehmen trübt sich wegen Lieferengpässen weiter ein. Der Ifo-Geschäftsklimaindex sank im August auf 99,4 Punkte von 100,7 Zählern im Juli und damit den zweiten Monat in Folge, wie das Münchner Wirtschaftsforschungsinstitut am Mittwoch zu seiner Umfrage unter rund 9000 Managern mitteilte. Von Reuters befragte Ökonomen hatten sogar nur mit einem Rückgang auf 100,4 Punkte gerechnet. Sie sagten in ersten Reaktionen:
CLAUS NIEGSCH, DZ BANK:
„Lieferengpässe bei Vorprodukten, höhere Kosten und die Sorge vor steigenden Inzidenzen belasten das Geschäft der Unternehmen. Immerhin bewerten die Firmen ihre aktuelle Geschäftslage heute besser als noch im Vormonat. Sie stieg von 100,4 Punkten auf 101,4 Punkte. So hoch war sie zuletzt vor mehr als zwei Jahren. Das zeigt: Das gesunkene Geschäftsklimaniveau bietet noch keinen Grund zur Sorge. Handel und Dienstleister profitieren weiter vom Nachholbedarf der privaten Haushalte, die während der Pandemie kräftig gespart haben. Auch die Industrie kann sich derzeit über mangelnde Aufträge nicht beklagen, auch wenn die Produktion unter Lieferproblemen leidet.“
JÖRG KRÄMER, COMMERZBANK:
„Die Unternehmen fürchten sich vor den Auswirkungen der begonnenen vierten Corona-Welle. Entsprechend sind die Geschäftserwartungen im Einzelhandel und bei den Dienstleistern stärker eingebrochen als in anderen Branchen. Die Befürchtungen der Unternehmen sind berechtigt. Es ist bei weiter steigenden Infektionen wahrscheinlich, dass die Politiker wie bei zurückliegenden Wellen trotz der weit fortgeschrittenen Impfungen weitere Beschränkungen erlassen. Die Industrieproduktion, die bereits seit Jahresanfang trotz einer starken Nachfrage sinkt, wird zumindest bis zum Jahresende als Konjunkturmotor ausfallen. Wegen der vierten Welle, des Materialmangels und weil der Aufholprozess im Dienstleistungsbereich nach den Lockerungen im Frühjahr mittlerweile weitgehend abgeschlossen ist, dürfte das Wachstum der deutschen Wirtschaft im vierten Quartal massiv nachlassen. Wir erwarten nur ein mageres Plus von 0,2 Prozent gegenüber dem dritten Quartal.“
FRITZI KÖHLER-GEIB, KFW-CHEFÖKONOMIN:
„Es ist Sommer, aber immer wieder stören Wolken den Sonnenschein – genauso verhält es sich momentan auch mit der deutschen Konjunktur. Die Haushalte haben nach den Lockdowns ungewöhnlich viel Geld in der Tasche und fragen nun wieder lange entbehrte Dienstleistungen etwa des Gastgewerbes nach. Vor allem die deutlichen Impffortschritte machen dies möglich. Gleichzeitig erweisen sich die Materialengpässe in der Industrie und im Bau aber hartnäckiger als zunächst erwartet und dämpfen trotz guter Nachfrage die Produktion. Konjunkturell setzen sich erneut die Wolken durch, nach dem Rücksetzer im Juli fällt das Geschäftsklima im August ein zweites Mal. Der erwartungsgetriebene Rückgang passt, denn die weitere Luft nach oben ist begrenzt. Die Materialengpässe werden sich nur graduell lösen und mit der sich abzeichnenden vierten Welle infolge der ansteckenden Delta-Variante nehmen die pandemiebezogenen Sorgen erneut zu. Wir haben unsere BIP-Prognose für 2021 deshalb leicht auf 3,0 Prozent nach unten revidiert.“
ELMAR VÖLKER, LBBW:
„Das Ifo-Geschäftsklima bestätigt in Kern die Indikationen, welche zuvor bereits der ZEW-Konjunkturindikator und die Markit-Einkaufsmanagerindizes gegeben hatten. Die Überraschung war gleichwohl etwas auf der negativen Seite, da sich der Rückgang im Vergleich zum Vormonat beschleunigt hat. Ursächlich war ein starkes Absacken der Erwartungen auf den tiefsten Stand seit Februar, während die Lageeinschätzung günstiger ausfällt als im Juli. Das heißt: die meisten Unternehmen sind mit der aktuellen Geschäftsentwicklung recht zufrieden, womit für das laufende dritte Quartal eine Beschleunigung des gesamtwirtschaftlichen Wachstumstempos in Richtung 2,5 bis 3 Prozent unseres Erachtens wahrscheinlich bleibt. Anhaltende Lieferengpässe in der Industrie und die Sorge vor neuen Corona-Einschränkungen im Herbst führen jedoch zu erhöhter Unsicherheit und Vorsicht mit Blick auf das Schlussquartal.“
BASTIAN HEPPERLE, BANKHAUS LAMPE:
„Die erneute Stimmungseintrübung im Juli war ausschließlich auf die Geschäftserwartungen zurückzuführen. Die Lageeinschätzung hat sich dagegen überraschend nochmals verbessern können. Anhaltende Beschaffungsprobleme und wieder steigende Infektionszahlen belasten aber immer mehr, vor allem das Verarbeitende Gewerbe und nun auch den Dienstleistungssektor. Insbesondere in Südostasien drohen weitere Schließungen von Betriebsstätten für wichtige Vorleistungsgüter und womöglich von Seehäfen. Die Lieferkettenprobleme werden sich somit eher verschärfen als entspannen. Fehlen aber wichtige Teile wie Halbleiter, können gut gefüllte Auftragsbücher nicht zügig abgearbeitet werden. Die Folgen sind eine Verlagerung der Produktion in die Zukunft und weiterhin lange Lieferzeiten.“