Ärztepräsident Klaus Reinhardt kritisiert das Vorgehen der Gesundheitsminister von Bund und Ländern, Auffrischimpfungen für Senioren und Immungeschwächte ohne entsprechende Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) anzubieten. "Es spricht theoretisch einiges dafür, dass eine Auffrischimpfung für Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen, mit einem geschwächten Immunsystem sowie für Hochbetagte sinnvoll sein kann", sagt Reinhardt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Insgesamt fehlten aber noch aussagekräftige Studien, ob, wann und für wen eine Boosterimpfung angezeigt sei. Es sei also von der Politik eine Erwartungshaltung bei den Patienten geschürt worden, die viele Ärztinnen und Ärzte ohne eine wissenschaftlich fundierte Impfempfehlung nicht bedienen wollen. "Ich halte es deshalb für einen Fehler, dass Bund und Länder in der Breite Auffrischungsimpfungen angekündigt haben, ohne eine entsprechende Empfehlung der Stiko abzuwarten."
Der SPD-Politiker Karl Lauterbach beispielsweise fordert eine schnelle Empfehlung der Stiko für die Auffrischungsimpfung gegen Covid-19. "Ich halte es für unerlässlich, dass wir eine klare Empfehlung für die dritte Impfung seitens der Stiko jetzt bekommen", sagt Lauterbach der Zeitung "Rheinische Post" (Donnerstagausgabe). Dabei sprach sich Lauterbach für zielgenaue Drittimpfungen aus. "Wird die Impfung unnötigerweise bei Niedrigrisiko-Vorgeimpften und Jüngeren gemacht, verschwenden wir nicht nur Impfstoff, der in anderen Ländern benötigt würde, sondern haben auch keine zusätzliche Wirkung des Impfstoffes zu erwarten."
Die Europäische Seuchenbehörde ECDC sieht gegenwärtig hingegen keine dringende Indikation für Auffrischungsimpfungen bei komplett Geimpften. Die Behörde verweist auf die vorliegenden Daten, berichtet der EU Observer.
Sinkende Impfbereitschaft
Der Berliner Virologe Christian Drosten wiederum mahnt mit Blick auf die rapide sinkende Impfbereitschaft im Volk zu mehr Tempo bei den Impfungen. "Wir müssen unbedingt an der Impfquote arbeiten", sagt Drosten im Deutschlandfunk. In der Gesamtbevölkerung seien bislang 61 Prozent vollständig geimpft. "Mit dieser Impfquote können wir nicht in den Herbst gehen, das reicht absolut nicht aus." Corona-Tests allein seien keine Alternative. Sie seien nur ein Behelfsmittel gewesen, solang es noch keinen Impfstoff gegeben habe. "Jetzt nimmt die Bevölkerung die Impfung nicht an, das ist ein großes Problem."
Zuletzt mussten die Bundesländer Millionen von Impfdosen ungenutzt an den Bund zurückgeben, weil keine ausreichende Nachfrage bestand.
Kindermediziner rechnen indes mit Corona-Impfstoffen sogar für Säuglinge ab 2022. "Wir gehen fest davon aus, dass es ab kommendem Jahr Impfstoffe für alle Altersklassen geben wird, sogar zugelassen bis hin zu Neugeborenen", sagt der Münchner Pädiater Florian Hoffmann, Oberarzt an der Kinderklinik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Bereits zum Ende dieses Jahres seien Impfstoffe für Kinder unter zwölf Jahren zu erwarten.