Wirtschaft

Merck-Chefin Belen Garijo baut auf Pharmageschäft

Die Corona-Pandemie hat Merck-Chefin Belen Garijo einen glänzenden Amtsantritt beschert.
15.09.2021 15:14
Aktualisiert: 15.09.2021 15:14
Lesezeit: 3 min
Merck-Chefin Belen Garijo baut auf Pharmageschäft
Ein Mitarbeiter des Chemie- und Pharmaunternehmens Merck KGaA steht auf dem Werksgelände vor dem Check-in des Covid-19 Impfcenters. (Foto: dpa) Foto: Arne Dedert

Die Corona-Pandemie hat Merck-Chefin Belen Garijo einen glänzenden Amtsantritt beschert. Zweimal schon konnte der Dax-Konzern in diesem Jahr seine Ziele anheben, denn die weltweite Forschung nach Covid-19-Impfstoffen sorgt für einen Auftragsboom im Life-Science-Geschäft, das ein wichtiger Zulieferer für Pharmaunternehmen ist. Die Aktie befindet sich auf Höhenflug. Allerdings musste das Unternehmen in der Entwicklung neuer Medikamente, die Garijo lange verantwortete, in diesem Jahr schon einige Rückschläge verkraften. Doch die neue Chefin ist zuversichtlich und weist skeptische Stimmen zurück, Merck könnte den Anschluss an die internationale Konkurrenz verlieren. Größe alleine sei im Pharmageschäft nicht alles, sagt Garijo im Reuters-Interview.

„Wir haben aus der Pandemie gelernt, dass klein schön sein kann. Die Trends haben sich geändert“, betont die Managerin, die im Mai das Ruder bei Merck übernahm und zuvor seit 2015 Leiterin des Pharmageschäfts war. „Es gibt mehrere Unternehmen, die in kürzester Zeit zu Helden geworden sind, nachdem sie viele Jahre an der mRNA-Technologie geforscht haben“, sagt sie mit Blick auf Unternehmen wie BioNTech und Moderna, die die weltweit ersten erfolgreichen Covid-19-Impfstoffe entwickelten und damit auf einen Schlag Milliardenumsätze erzielten.

Mit einem Jahresumsatz von zuletzt gut 6,6 Milliarden Euro im Gesundheitsgeschäft zählt Merck eher zu den kleineren Anbietern im Pharmamarkt und schafft es nicht unter die weltweiten Top-20. Zum Vergleich: Biontech erwartet dieses Jahr knapp 16 Milliarden Euro Umsatz aus seinem Covid-19-Impfstoff, nachdem die Firma 2020 nur rund 482 Millionen Euro umsetzte. Merck hat im Pharmageschäft eine lange Durstrecke hinter sich und konnte 2017 mit der Krebsimmuntherapie Bavencio erstmals seit neun Jahren ein neues Medikament auf den Markt bringen.

Dem Einsatz von Garijo wird es maßgeblich zugeschrieben, dass ein zweiter Anlauf mit dem Multiple-Sklerose-Mittel Mavenclad glückte, das im ersten bei den Arzneimittelbehörden noch durchgefallen war. Sie fädelte zudem eine milliardenschwere Partnerschaft mit dem britischen Pharmakonzern GlaxoSmithKline für das Krebsmittel Bintrafusp alfa ein. Der einstige Hoffnungsträger floppte dieses Jahr aber bereits in mehreren Studien - zu seiner Zukunft wollte sich Garijo nicht äußern. Bei der Prognose für den Umsatz durch neue Produkte aus der Entwicklungspipeline im Jahr 2022 musste die Merck-Chefin kürzlich Abstriche machen und erwartet nun noch 1,6 bis 1,8 Milliarden Euro statt rund zwei Milliarden, da die Pandemie die Markteinführung neuer Produkte bremste.

Ob Merck nach der langen Schwächephase die Wende im Pharmageschäft gelungen ist, sei noch offen, urteilen die Experten der Berenberg Bank. „Der jüngste Rückschlag für Bintrafusp hinterlässt eine weitere Lücke in der Pipeline.“ Zweifel, ob Merck im Pharmageschäft die richtige Größe hat, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können, weist Garijo zurück: „Es ist nicht nur eine Frage der Größe. Es ist komplexer als das. Es geht darum, das Kapital wirklich in den Bereichen zu investieren, in denen man wettbewerbsfähig sein und Einfluss haben kann. So denke ich über Pharma. Wir sind in den richtigen Märkten.“

Aus den Entwicklungsrückschlägen müsse Merck lernen. „Ich fordere unsere Teams immer wieder auf, die Biologie eines jeden Wirkstoffs wirklich tiefer zu verstehen, um noch bessere Ergebnisse in der klinischen Entwicklung zu erzielen.“ Merck bemühe sich kontinuierlich, seine Forschung und Entwicklung noch produktiver zu gestalten und ziehe dabei auch externe Medikamentenkandidaten in Betracht. „Wir entscheiden sehr genau, was wir in die Entwicklung aufnehmen, und werden uns weiter fokussieren.“ Ziel ist, dass rund 75 Prozent des Pharmawachstums aus neuen Produkten kommen soll. Bis 2025 erwartet Merck in dem Bereich ein jährliches organisches Wachstum im mittleren einstelligen Prozentbereich.

Dass dem Konzern trotz der Rückschläge nicht der Geduldsfaden im Pharmageschäft riss, ist auch der Merck-Familie geschuldet, die hinter dem Unternehmen steht. Die Nachfahren von Friedrich Jacob Engel, der 1668 mit dem Kauf der Engel Apotheke in Darmstadt die Keimzelle für den weltweit ältesten Arzneimittelhersteller legte, halten bis heute rund 70 Prozent der Anteile. In den Fokus rückte in den vergangenen Jahren das Life-Science-Geschäft, das mit Übernahmen deutlich ausgebaut wurde und inzwischen 43 Prozent des Konzernumsatzes ausmacht.

Im Life-Science-Geschäft, das Produkte für die Pharmaforschung und Arzneimittelherstellung anbietet, hat die Pandemie laut Garijos Vorgänger Stefan Oschmann für eine „nie dagewesene Nachfrage“ gesorgt. Zeitweilig kam es zu Engpässen, die Teams arbeiten nach wie vor rund um die Uhr. Merck hat daraus gelernt, wie Garijo betont: „Die Pandemie war ein Weckruf. Sie müssen weltweit präsent sein, sie brauchen eine globale Präsenz, um mit potenziellen Handelsbeschränkungen umgehen zu können. Aber wir haben gelernt, damit umzugehen.“

Wegen der Handelsbeschränkungen, zu denen es im Zuge der Pandemie kam, habe Merck seine weltweite Aufstellung bei jeder Gelegenheit verbessert. Das wachsende Risiko des Protektionismus ist dabei für das Unternehmen zu einem wichtigen Aspekt bei seinen Überlegungen geworden. „Jede zukunftsgerichtete Entscheidung, die wir getroffen haben, hat die geografische Dimension miteinbezogen. Wir haben unsere Entscheidungsprozesse neu gestaltet, um die Technologietrends der Zukunft nicht nur besser zu antizipieren, sondern auch, um unsere Präsenz vor Ort anzupassen.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

 

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bundesbank: Deutsche Exportwirtschaft verliert deutlich an globaler Stärke
14.07.2025

Die deutsche Exportwirtschaft steht laut einer aktuellen Analyse der Bundesbank zunehmend unter Druck. Branchen wie Maschinenbau, Chemie...

DWN
Immobilien
Immobilien Gebäudeenergiegesetz: Milliardenprojekt für 1,4 Billionen Euro – hohe Belastung, unklare Wirkung, politisches Chaos
14.07.2025

Die kommende Gebäudesanierung in Deutschland kostet laut Studie rund 1,4 Billionen Euro. Ziel ist eine Reduktion der CO₂-Emissionen im...

DWN
Politik
Politik EU plant 18. Sanktionspaket gegen Russland: Ölpreisobergrenze im Visier
14.07.2025

Die EU verschärft den Druck auf Moskau – mit einer neuen Preisgrenze für russisches Öl. Doch wirkt die Maßnahme überhaupt? Und was...

DWN
Technologie
Technologie Datenschutzstreit um DeepSeek: Deutschland will China-KI aus App-Stores verbannen
14.07.2025

Die chinesische KI-App DeepSeek steht in Deutschland unter Druck. Wegen schwerwiegender Datenschutzbedenken fordert die...

DWN
Finanzen
Finanzen S&P 500 unter Druck – Sommerkrise nicht ausgeschlossen
14.07.2025

Donald Trump droht mit neuen Zöllen, Analysten warnen vor einer Sommerkrise – und die Prognosen für den S&P 500 könnten nicht...

DWN
Politik
Politik Wenn der Staat lahmt: Warum die Demokratie leidet
14.07.2025

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnt eindringlich vor den Folgen staatlicher Handlungsunfähigkeit. Ob kaputte Brücken,...

DWN
Politik
Politik Fluchtgrund Gewalt: Neue Angriffe in Syrien verstärken Ruf nach Schutz
14.07.2025

Trotz Versprechen auf nationale Einheit eskaliert in Syrien erneut die Gewalt. Im Süden des Landes kommt es zu schweren Zusammenstößen...

DWN
Finanzen
Finanzen Altersarmut nach 45 Beitragsjahren: Jeder Vierte bekommt weniger als 1300 Euro Rente
14.07.2025

Auch wer sein Leben lang gearbeitet hat, kann oft nicht von seiner Rente leben. Dabei gibt es enorme regionale Unterschiede und ein starkes...