Unternehmen

Experten: Spannungen auf dem Strommarkt könnten sich in einer Pleitewelle entladen

Beobachtern zufolge geraten immer mehr kleine Strom- und Gasanbieter hierzulande unter ernsten finanziellen Druck.
22.09.2021 10:00
Aktualisiert: 22.09.2021 10:19
Lesezeit: 2 min

Die stark gestiegenen Preise für Strom und Gas könnten Experten zufolge viele Unternehmen in die Insolvenz treiben. „Es gibt Stromlieferanten, die Verträge mit Kunden abschließen mit festen Preisen und diese Mengen nicht im Terminmarkt absichern“, sagte der Energieexperte Andreas Schwenzer von der Unternehmensberatung Horvath & Partners am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. „Wenn sich die Preise dann wie in diesem Jahr verdoppeln, führt das zu extremen Problemen, wenn der Lieferant teuer am Spotmarkt einkaufen muss.“ Er sei sicher, dass es im deutschen Strommarkt Insolvenzen geben werde - und zwar im Zeitraum von Wochen bis zu wenigen Monaten. In Großbritannien gab es bereits erste Pleiten.

Hierzulande ringen rund 1100 Stromanbieter und 900 Gasanbieter um Marktanteile. Die Margen im Vertrieb sind ohnehin gering. Zudem locken die Firmen neue Kunden mit hohen Boni und Preisnachlässen im ersten Jahr. Nicht selten legen sie noch ein Tablet oder andere Elektroartikel oben drauf. Spektakuläre Pleiten wie die von Billiganbietern wie Teldafax oder BEV haben daran nichts geändert.

„Mit Blick auf die Großhandelspreise für Strom gab es am Terminmarkt, an dem Versorger langfristige Einkäufe tätigen, seit Jahresbeginn fast eine Verdopplung der Preise“, sagte die Vorsitzende des Strom- und Gaslobbyverbandes (BDEW), Kerstin Andreae. Am Spotmarkt, an dem die Versorger kurzfristig Energie kaufen, um Schwankungen in der Nachfrage auszugleichen, hätten sie sich sogar verdreifacht. Auch der Preis für CO2-Zertifikate habe sich in den vergangenen 24 Monaten mehr als verdoppelt. Zudem beeinflussten die hohen Preise im Gas-Großhandel in den letzten Monaten auch den Strompreis, da sich die Stromerzeugung in Gaskraftwerken verteuert. Beides erhöhe die Kosten für die Produktion von konventionellem Strom. „Diese Effekte können derzeit durch die sinkenden Kosten der Erneuerbaren Energien nicht kompensiert werden“, führte Andreae aus. Weltweit verteuerten sich zudem im Zuge der Konjunkturerholung nach dem Corona-Schock Vorprodukte und Rohstoffe.

Deutsche Stahlkonzerne setzen auf Eigenversorgung

Die Branche verweist darauf, dass mittlerweile rund 51 Prozent des Strompreises für Haushaltskunden Steuern und Abgaben ausmachten, etwa für die EEG-Umlage zur Förderung des Ökostroms oder des Netzausbaus. Der BDEW fordert von einer neuen Bundesregierung diesen Anteil zu verringern und die EEG-Umlage bis spätestens 2026 schrittweise auf null zu setzen.

Die nach oben schießenden Preise für Strom und Gas sind auch für die Industrie ein Problem. In Großbritannien erwägt die Regierung deshalb bereits Staatshilfen. So dramatisch ist die Lage allerdings hierzulande nicht. Der zweitgrößte Zementhersteller der Welt Heidelbergcement bestätigt, dass die Produktionskosten dadurch steigen, lässt aber offen in welcher Größenordnung.

Neben der Zement- und Chemieindustrie gehören die Stahlkocher zu den energieintensiven Industrien. Thyssenkrupp ist zu weiten Teilen Selbstversorger. „An unserem integriertem Hauptstandort Duisburg produzieren wir relativ autark“, sagte ein Sprecher. „Indirekt trifft uns die Steigerung der Strompreise dennoch, da zum Beispiel die Preise für die von uns eingesetzten Industriegase an Strompreise gekoppelt sind.“ Zugleich habe der Konzern Absicherungsmechanismen gegen unerwartet steigende Preise, insbesondere Gaspreise. „Produktionsanpassungen oder –stilllegungen gibt es bei uns aufgrund der gestiegenen Strom- und Gaspreise nicht.“ Auch der deutsche Branchenzweite Salzgitter kann auf die Eigenversorgung durch die Verstromung der bei der Stahlerzeugung anfallenden Kuppelgase zurückgreifen. „Produktionseinschränkungen aufgrund der Strompreisentwicklung finden im Salzgitter-Konzern nicht statt“, betonten die Niedersachsen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

 

DWN
Politik
Politik Milliardenschwere Steuerentlastungen für Unternehmen: Bundesrat macht Weg frei für Wachstumspaket
11.07.2025

Deutschland steht wirtschaftlich unter Druck. Das Wachstumspaket der Bundesregierung soll neue Investitionen anregen und Unternehmen...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis aktuell im Plus: Zwischen Zollstreit, Zinspolitik und charttechnischer Entscheidung
11.07.2025

Der Goldpreis schwankt – zwischen geopolitischer Unsicherheit, robuster US-Wirtschaft und charttechnischen Signalen. Anleger fragen sich:...

DWN
Politik
Politik Generälin über Krieg mit Russland: Ist Lettland die Schwachstelle der NATO?
11.07.2025

NATO-Generälin Jette Albinus rechnet mit russischem Angriff auf Lettland. Der Einsatz wäre kein Afghanistanszenario – sondern ein Kampf...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Kurs unter Druck: Sorgen um US-Zölle dämpfen Rekordlaune
11.07.2025

Nach seinem Rekordhoch gerät der DAX-Kurs zum Wochenausklang unter Druck. Drohende Zölle aus den USA und schwache Unternehmensdaten...

DWN
Politik
Politik Zölle auf Wein? Deutsche Winzer blicken mit Sorge auf mögliche US-Zölle
11.07.2025

Strafzölle in Höhe von 200 Prozent auf Weinimporte aus der EU – mit diesem Szenario hatte US-Präsident Donald Trump noch im April...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Insolvenzen: Deutschlands Pleitewelle hält an – ein Blick auf Ursachen und Folgen
11.07.2025

Die Zahl der Insolvenzen in Deutschland steigt weiter – wenn auch etwas langsamer. Trotzdem deuten aktuelle Daten auf tiefgreifende...

DWN
Politik
Politik Trump kündigt Erklärung zu Russland an – neue Dynamik oder taktisches Manöver?
11.07.2025

Ein Treffen in Malaysia, neue russische Vorschläge und Trumps Ankündigung einer großen Russland-Erklärung: Zeichnet sich eine Wende im...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs aktuell: Wichtigste Kryptowährung setzt Rekordjagd fort – was das für Anleger bedeutet
11.07.2025

Der Bitcoin-Kurs ist auf ein historisches Allzeithoch gestiegen und über die Marke von 118.000 US-Dollar geklettert. Wie geht es weiter...