Nach dem Kursanstieg der vergangenen drei Tage machen einige Anleger Kasse. Die wieder aufgeflammte Furcht vor einem Kollaps des chinesischen Immobilienriesen Evergrande drückt Europas Börsen erneut ins Minus. Dax und EuroStoxx50 fielen am Freitag um jeweils etwa ein Prozent auf 15.514 beziehungsweise 4154 Punkte.
Insidern zufolge haben einige Eigner einer Dollar-Anleihe von Evergrande ihre am Donnerstag fällige Zinszahlung nicht erhalten. Nun laufe eine 30-tägige Nachfrist, bevor ein Zahlungsausfall offiziell werde, sagte Anlagestratege Michael Hewson vom Brokerhaus CMC Markets. Evergrande-Aktien brachen in Hongkong um knapp zwölf Prozent ein.
Der kriselnde Konzern ächzt unter einem 305 Milliarden Dollar schweren Schuldenberg. Die Regierung in Peking werde allerdings verhindern, dass sich ein Kollaps des Unternehmen zu einer internationalen Finanzkrise auswächst, sagte Portfoliomanagerin Jennifer James vom Vermögensverwalter Henderson. Erste Hinweise auf ein Eingreifen gebe es bereits.
Zahlungsschwierigkeiten hat auch Shandong Ruyi, die chinesische Mutter der französischen Modefirma SMCP. Sie konnte nach eigenen Angaben am 21. September fällige Bonds im Volumen von 250 Millionen Euro nicht tilgen. Weil für diese Anleihen SMCP-Aktien als Sicherheit hinterlegt sind, spekulierten Investoren auf einen baldigen Verkauf der Firma, zu der unter anderem die Marken "Sandro" und "Maje" gehören. Die Titel stiegen in Paris zeitweise um knapp zehn Prozent.
Ihre Aufmerksamkeit richten Anleger am Freitag auch auf den Ifo-Index, der die Stimmung in den deutschen Chef-Etagen widerspiegelt. Glaubt man den Untersuchungen des Ifo-Instituts, vollzieht sich derzeit eine Wende hin zum Wirtschaftsabschwung. Die Stimmung in den Chefetagen der deutschen Unternehmen hat sich im September zum dritten Mal in Folge verschlechtert.
BOND-RENDITEN STEIGEN - ÖLPREIS ZIEHT ERNEUT AN
Aus Staatsanleihen zogen sich Investoren zurück. Dies trieb die Rendite der richtungweisenden zehnjährigen Bundestitel auf minus 0,239 Prozent. "Die Zentralbank-Beratungen dieser Woche haben gezeigt, dass die Verantwortlichen zu einer Straffung der im Rahmen der Coronavirus-Pandemie gelockerten Geldpolitik bereit sind", schrieben die Analysten der ING Bank. Die US-Notenbank Fed hatte eine nahende Drosselung ihrer Wertpapierkäufe signalisiert. Der Bank von England (BoE) zufolge gewinnen die Argumente für steigende Zinsen dank der Erholung der Wirtschaft an Gewicht.
Der Ölpreis stieg weiter. Die Sorte Brent aus der Nordsee gewann bis zu 0,6 Prozent und war mit 77,74 Dollar je Barrel (159 Liter) so teuer wie zuletzt vor zweieinhalb Monaten. Die schleppende Erholung der Ölförderung im Golf von Mexiko nach dem Wirbelsturm "Ida" lasse die Lagerbestände schmelzen, schrieben die Analysten der ANZ Bank.
ENTTÄUSCHUNG ÜBER NIKE GREIFT AUF ADIDAS UND PUMA ÜBER
Zu den Verlierern am Aktienmarkt zählten Adidas und Puma mit einem Kursverlust von bis zu 3,7 Prozent. Die beiden Sportartikel-Hersteller litten unter enttäuschenden Geschäftszahlen und gesenkten Gesamtjahreszielen des US-Rivalen Nike, sagte ein Börsianer. Dessen Titel rutschten im vorbörslichen US-Geschäft um 4,3 Prozent ab.
Ermutigende Testergebnisse eines Prostatakrebs-Medikaments hievten AstraZeneca dagegen an die Spitze des Londoner Auswahlindex FTSE. Die Aktien des britisch-schwedischen Pharmakonzerns stiegen um bis zu 3,6 Prozent auf ein 14-Monats-Hoch von 8982 Pence. Das Mittel wirke bei mehr Varianten als gedacht, lobte Analyst Alistair Campbell von der Investmentbank Liberum. Damit könne das Umsatzziel von vier Milliarden Dollar deutlich übertroffen werden.
ANLEGERN STEHEN STÜRMISCHE WOCHEN BEVOR
Investoren müssen sich in den kommenden Wochen auf den einen oder anderen Kursrücksetzer einstellen. "Eine mindestens zehnprozentige Korrektur über die Sommer- und Spätsommermonate hat beim Dax schon fast Tradition", sagt Marko Behring, Chef der Vermögensverwaltung bei der Fürst Fugger Privatbank. Außerdem sei eine solche Entwicklung durchaus wünschenswert. "Die Jahresendrally braucht eine Startrampe und die Grundlage dafür wird nicht selten in einer etwas schärferen September-/Oktoberkorrektur gelegt."
Nach seinem Kursrutsch zum Auftakt der abgelaufenen Woche kämpfte sich der Dax zwar wieder zurück, kam unter dem Strich aber kaum vom Fleck. Allerdings notierte er weiterhin rund 14 Prozent über seinem Niveau vom Jahresbeginn. Robert Greil, Chef-Anlagestratege des Bankhauses Merck Finck, beurteilt die längerfristigen Aussichten positiv. Die Weltwirtschaft sei immer noch auf Expansionskurs, wenn auch langsamer als bislang.
GREIFT DIE REGIERUNG IN PEKING BEI EVERGRANDE DURCH?
Ungemach droht den Börsen unter anderem von der noch ungelösten Krise um China Evergrande. Der mit insgesamt 305 Milliarden Dollar verschuldete Immobilienkonzern hat Schwierigkeiten, seine Verbindlichkeiten zu bedienen. In der alten Woche ließ es die Frist für eine 83,5 Millionen Dollar Zinszahlung eines Dollar-Bonds kommentarlos verstreichen. In der neuen Woche werden weitere 47,5 Millionen Dollar einer anderen Anleihe fällig. "Es gibt keinen Präzedenzfall in der Größe von Evergrande", sagte Howe Chung Wan, Anleihe-Chef beim Vermögensverwalter Principal Global. "Wir müssen abwarten, wie sich die Sache in den nächsten Tagen entwickelt."
Größere Kursturbulenzen wie nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008 seien aber nicht zu erwarten, sagt Analyst Frank Wohlgemuth von der National-Bank in Essen. "Das Evergrande-Problem wird durch die chinesische Regierung geregelt werden, zu stark sind deren Durchgriffsmöglichkeiten und zu stark ist die Bereitschaft, sowohl die Kapitalmärkte in China als auch die betroffenen Unternehmen mit Liquidität zu fluten."
Auch im lautstarken Streit um die Anhebung der US-Schuldenobergrenze werde es eine Einigung geben, prognostizierte Wohlgemuth. "Wir leben gerade in den USA in polarisierenden Zeiten, da passiert in der Politik wenig bis gar nichts ohne lautes Parteiengezänk."
ZAHLREICHE KONJUNKTURDATEN VORAUS
Daneben hält eine Flut von Konjunkturdaten die Börsianer auf Trab. Das Highlight sind die US-Konsumausgaben am Freitag. Experten rechnen für August im Monatsvergleich mit einem Anstieg um 0,6 Prozent - doppelt so stark wie im Juli. Die Kauflaune der US-Verbraucher gilt als Hauptstütze der weltgrößten Volkswirtschaft. Daneben richten Investoren ihr Augenmerk auf den gleichzeitig veröffentlichten PCE-Preisindex. Dieser ist ein wichtiger Faktor für die Geldpolitik der Notenbank Fed. Analysten sagen wie im Vormonat ein Plus von 0,3 Prozent voraus.
Diesseits des Atlantik gibt am Dienstag der GfK-Index Auskunft für die Konsumlaune der Deutschen. Am Tag darauf folgen vergleichbare Barometer für die Euro-Zone. Zum Abschluss der Woche stehen die deutschen und europäischen Einkaufsmanager-Indizes auf dem Programm. Hinzu kommen die europäischen Inflationsdaten. Commerzbank-Analyst Christoph Weil prognostiziert für September einen Anstieg auf 3,3 Prozent von drei Prozent im Vormonat.