Politik

Steinmeier für ehrlichere, klügere und stärkere Außenpolitik

Lesezeit: 2 min
24.09.2021 16:16  Aktualisiert: 24.09.2021 16:16
Als erster Bundespräsident seit fast 40 Jahren redet Steinmeier vor der UN-Vollversammlung. Dabei gibt er eine Antwort auf die Frage, vor der sich die Parteien zu Hause im Wahlkampf noch weitgehend drücken: Was tun nach dem Scheitern in Afghanistan?
Steinmeier für ehrlichere, klügere und stärkere Außenpolitik
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht bei der Vorstellung des Forschungsprojekts „Das Bundespräsidialamt und die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus 1949–1994“ im Schloss Bellevue. (Foto: dpa)

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat eine ehrlichere, klügere und stärkere deutsche Außenpolitik als Konsequenz aus dem Scheitern des Westens in Afghanistan angemahnt. Ein „Rückzug von der Welt“ sei keine Option, sagte er laut vorab verbreitetem Manuskript am Freitag. Es ist die erste Rede eines Bundespräsidenten vor der UN-Vollversammlung seit fast 40 Jahren.

Steinmeier plädierte eindringlich für mehr deutsche und europäische Verantwortung in der Welt - auch militärisch, aber nicht nur: „Militärische Stärke ohne den Willen zur Verständigung, ohne Mut zur Diplomatie macht die Welt nicht friedlicher. Wir brauchen Verhandlungsstärke ebenso wie Verteidigungsstärke.“

Die erste und bisher einzige Rede eines Bundespräsidenten vor der UN-Vollversammlung hatte Karl Carstens 1983 gehalten. Normalerweise ist es Sache der Bundesregierung, die deutschen Positionen vor Vertretern der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zu präsentieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Heiko Maas verzichteten in der Woche vor der Bundestagswahl aber diesmal zu Gunsten des Staatsoberhaupts auf den Auftritt auf der großen Weltbühne.

Fall von Kabul als „Zäsur“

Steinmeier, der in seinen beiden Amtszeiten als Außenminister (2005 bis 2009 und 2013 bis 2017) schon mehrfach vor den UN gesprochen hat, ging ausführlich auf die Folgen der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban in Afghanistan ein. Den Fall von Kabul bezeichnete er als „Zäsur“ in der internationalen Politik. Deutschland trage eine Mitverantwortung dafür, dass es nicht gelungen sei, eine selbsttragende politische Ordnung in Afghanistan zu errichten. Resignation wäre aber die falsche Lehre. Stattdessen bedeute „dieser Moment der geopolitischen Ernüchterung“ dreierlei für die Außenpolitik: „Wir müssen ehrlicher, klüger, aber auch stärker werden.“

Die Möglichkeiten und Grenzen der Außenpolitik müssten realistischer definiert werden. Schwerpunkte müssten klüger gesetzt und der Instrumentenkasten erweitern werden. Steinmeier unterstützte zwar die Erhöhung der deutschen Verteidigungsausgaben in den letzten Jahren, sagte aber auch: „Zukünftige Generationen werden uns nicht an militärischer Stärke heute messen, sondern daran, ob wir in der Lage waren, Probleme und Konflikte zu lösen.“ Und dazu gehöre eben auch die Diplomatie. Damit knüpfte Steinmeier an die Rede von US-Präsident Joe Biden an, der am Dienstag zum Auftakt der UN-Generaldebatte eine neue Ära der Diplomatie nach dem 20-jährigen Militäreinsatz in Afghanistan ausgerufen hatte.

UN sind „kein wertneutraler Boxring“

Der Bundespräsident richtete aber auch mahnende Worte an die Großmächte USA, China und Russland, die sich derzeit im UN-Sicherheitsrat gegenseitig blockieren. „Die Vereinten Nationen sind kein wertneutraler Boxring der Weltmächte“, sagte er. Die mächtigen Staaten müssten ihrer Verantwortung für kleinere Länder gerecht werden.

Der Bundespräsident forderte gleichzeitig mehr deutsches und europäisches Engagement: „Wir Europäer, auch wir Deutsche, müssen mehr tun für unsere eigene Sicherheit, mehr tun für Frieden und Stabilität in unserer Nachbarschaft und weltweit.“ Für die Jahre 2027 und 2028 kündigte er eine erneute Bewerbung Deutschlands für eine vorübergehende Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat an. Längerfristig strebt Deutschland einen ständigen Sitz in dem wichtigsten UN-Gremium an. Bisher sind aber alle Bemühungen um eine Erweiterung des Rats ins Leere gelaufen.

Warnung vor Rissen im transatlantischen Bündnis

Mit Blick auf den aktuellen Streit zwischen den USA und Frankreich über einen neuen Indopazifik-Pakt der Amerikaner warnte Steinmeier davor, das transatlantische Bündnis aufs Spiel zu setzen: „Kein kurzfristiger Vorteil ist es wert, dass unsere transatlantische Geschlossenheit Risse bekommt. Darauf sollten wir miteinander achtgeben.“

Gerade mit Blick auf den Klimawandel warnte Steinmeier vor „nationalen Egoismen“ und forderte starke Beschlüsse bei der bevorstehenden Klimakonferenz in Glasgow. „Die Lücke zwischen unseren anspruchsvollen Zielen und unserer konkreten Politik ist noch viel zu groß. Wir sind es, die diese Lücke schließen müssen. Und wir müssen es jetzt tun.“

Gleichgültig keine Option

Steinmeier warb trotz der Erfahrungen in Afghanistan auch dafür, weiter für Freiheit und Demokratie zu kämpfen. „Solange Menschen ihrer Würde beraubt werden, ist Gleichgültigkeit keine Option“, sagte er. „Deshalb bedeutet mehr Realismus in der Außenpolitik eben nicht: weniger Verantwortung und weniger Ehrgeiz, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.“

Michael Fischer ist seit 2010 bei dpa, zuletzt war er für die Berichterstattung über Außenpolitik zuständig. Vor seiner Zeit bei dpa war er Kanzlerkorrespondent und stellvertretender Hauptstadtbüroleiter des deutschen Dienstes der Nachrichtenagentur Associated Press.

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