Deutschland

Inflation über 4 Prozent, weiterer Anstieg erwartet

Teure Energie hat die deutsche Inflationsrate im September voraussichtlich erstmals seit 1993 über die Vier-Prozent-Marke getrieben.
30.09.2021 15:22
Aktualisiert: 30.09.2021 15:22
Lesezeit: 2 min

Teure Energie hat die Inflation im September erstmals seit fast 28 Jahren über die Vier-Prozent-Marke gehievt. Waren und Dienstleistungen kosteten in Deutschland durchschnittlich 4,1 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte. Das ist der höchste Stand seit Dezember 1993, als die Inflation - angefacht vom Wiedervereinigungsboom - bei 4,3 Prozent lag. Ökonomen hatten diesmal sogar mit einem Anstieg auf 4,2 Prozent gerechnet, nachdem die Teuerungsrate im August noch 3,9 Prozent betragen hatte.

Experten zufolge ist damit das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. "Wir werden in den nächsten Monaten noch höhere Inflationsraten bekommen", sagte kürzlich der Konjunkturchef des Münchner Ifo-Instituts, Timo Wollmershäuser. "Sie wird vielleicht in Richtung fünf Prozent gehen."

Die starke Teuerung ist dem Bankenverband zufolge auf temporäre Sondereffekte zurückzuführen wie dem extrem niedrigen Ausgangsniveau bei den Rohstoffpreisen, Pandemie- und Lockdown-bedingten Nachholeffekten oder der vorübergehenden Mehrwertsteuersenkung im Kampf gegen die Corona-Krise in der zweiten Jahreshälfte 2020.

"Das dicke Ende kommt noch", sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. In den kommenden Monaten dürfte es mit der Inflation auch deshalb weiter nach oben gehen, "weil die Unternehmen den gewaltigen Kostenschub durch gestiegene Materialkosten noch nicht vollständig an die Verbraucher weitergegeben haben". Für ein Anziehen der Inflation würden auch die zuletzt weiter gestiegenen Preise für Öl und Gas sprechen. "Legen sie weiter kräftig zu, könnte bei der Inflation bald eine Fünf vor dem Komma stehen", sagte Krämer.

Bereits jetzt ist die Energie der größte Kostentreiber: Sie verteuerte sich im September um 14,3 Prozent, weil besonders für Heizöl und Benzin mehr verlangt wurde. "Rund die Hälfte des Teuerungsanstieges entfällt auf den Faktor Energie", sagte der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel. Nahrungsmittel verteuerten sich mit 4,9 Prozent ebenfalls überdurchschnittlich stark. Dienstleistungen kosteten 2,5 Prozent mehr, wobei sich Wohnungsmieten um 1,4 Prozent erhöhten.

"Die Geldentwertung geht wie erwartet weiter", fasste Ökonom Christoph Swonke von der DZ Bank zusammen.

"ENTLASTUNG DER MITTE"

Die starke Teuerung zu einem guten Teil auf temporäre Sondereffekte zurückzuführen. Dazu gehören das extrem niedrige Ausgangsniveau bei den Rohstoffpreisen, Pandemie- und Lockdown-bedingte Nachholeffekte oder die vorübergehende Mehrwertsteuersenkung im Kampf gegen die Corona-Krise in der zweiten Jahreshälfte 2020. Die Europäische Zentralbank (EZB) - die eine Inflationsrate von zwei Prozent anstrebt - hält daher die im gesamten Euro-Raum stark anziehende Teuerung für ein vorübergehendes Phänomen.

Auch Ökonomen gehen davon aus, dass der Preisdruck in Deutschland im kommenden Jahr nachlassen wird. Dann entfällt beispielsweise der Mehrwertsteuereffekt. Mitte 2022 dürfte die Inflationsrate wieder unter zwei Prozent fallen, erwartet etwa die Chefvolkswirtin der Förderbank KfW, Fritzi Köhler-Geib.

Die stark steigenden Preise rufen auch FDP-Parteichef Christian Lindner auf den Plan, der sich im Wahlkampf für Steuersenkungen ausgesprochen hatte. "Die höchste Teuerungsrate seit 1993 ist ein weiterer Anlass, die Entlastung der Mitte der Gesellschaft und die Rückkehr zu soliden Staatsfinanzen im Blick zu behalten", sagte Lindner.

Aber auch die Gewerkschaften könnten die gestiegene Inflation zum Anlass nehmen, ihre Lohnforderungen hochzuschrauben. "Der Kaufkraftverlust, den die Verbraucher jetzt zu spüren bekommen, wird deutliche Nachholforderungen bei den kommenden Tarifrunden zur Folge haben", ist sich der Chefvolkswirt von HQ Trust, Michael Heise, sicher.

Kommt es so, könnte die von Notenbanken gefürchtete Spirale in Gang gesetzt werden, bei der sich Preise und Löhne gegenseitig immer weiter nach oben schaukeln. Dann könnte sich die Inflation verfestigen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen Finanzmärkte zum Jahresende: Wie sich Anleger zwischen Rallye und Korrekturgefahr absichern
24.12.2025

Zum Jahresende verdichten sich an den globalen Finanzmärkten die Signale für Chancen, Risiken und mögliche Wendepunkte. Stehen Anleger...

DWN
Politik
Politik Cyberangriff auf Aeroflot: Wie Hacker Russlands Luftverkehr störten
24.12.2025

Ein Cyberangriff brachte die IT-Systeme von Aeroflot binnen Stunden zum Stillstand und zwang den Flugbetrieb in den Notmodus. Welche...

DWN
Politik
Politik Putins neue Gegnerin und ihr Appell an Europa
24.12.2025

Europa ringt mit seiner Haltung gegenüber Russland und der Frage nach Konsequenz und Abschreckung. Wie sollte der Westen mit einem Kreml...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Handwerkspräsident: "Demokratie muss nun liefern"
24.12.2025

Die Stimmung im deutschen Handwerk ist angespannt, die Wirtschaft schwächelt seit Jahren. Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbands...

DWN
Politik
Politik DWN-Jahresrückblick 2025: Schulden, Krieg, KI – und Europas Zerreißprobe
24.12.2025

Schulden in Billionenhöhe, neue Kriegsängste, technologische Abhängigkeiten: 2025 hat Gewissheiten zerlegt, die lange als stabil galten....

DWN
Technologie
Technologie The Good City: Die Stadt der Zukunft ist leise, sauber und elektrisch
24.12.2025

Lärm, Abgase, Platzmangel – urbane Probleme kennt jeder. Doch Renault Trucks zeigt: Die Zukunft der Stadt ist elektrisch, leise und...

DWN
Finanzen
Finanzen Ripple XRP: Zwischen ETF-Fantasie und anhaltendem Kursdruck
24.12.2025

Ripple XRP verliert an Boden, während der Kryptomarkt insgesamt vorsichtiger wird. Technische Schwäche, unterschrittene Schlüsselmarken...

DWN
Technologie
Technologie Exponentielles Wachstum durch KI: Chancen und Grenzen für Wirtschaft und Gesellschaft
24.12.2025

Die künstliche Intelligenz entwickelt sich rasant und verändert zunehmend Wirtschaft, Forschung und Gesellschaft. Doch kann dieser...