Finanzen

Roubini hat Unrecht: Wir kriegen keine Inflation - dafür aber weitere Schuldenberge

Lesezeit: 5 min
10.10.2021 10:00
Letzte Woche veröffentlichten wir einen Artikel des weltberühmten Ökonomen Nouriel Roubini, in dem dieser eine baldige wirtschaftliche Überhitzung verbunden mit einer hohen Inflation vorhersagt. DWN-Autor Bernd Murawski hält Roubinis Prognose für falsch.
Roubini hat Unrecht: Wir kriegen keine Inflation - dafür aber weitere Schuldenberge
Die Berge - hier der Mount Everest - sind wunderschön. Der Schuldenberg dagegen ist ausgesprochen hässlich. (Foto: dpa)

In seinem am 3. Oktober in den DWN erschienenen Artikel stellt Nouriel Roubini vier mögliche Szenarien im Hinblick auf die konjunkturelle Entwicklung vor. Für am wahrscheinlichsten hält der Ökonom eine wirtschaftliche Überhitzung. Im Folgenden soll begründet werden, weshalb eine solche allenfalls von kurzer Dauer sein wird und schon bald durch eine baldige Rückkehr zu schwachem Wachstum und geringer Inflation abgelöst werden dürfte.

Wenn Nouriel Roubini Prognosen anstellt, dann wird ihm zugehört. Einen hohen Bekanntheitsgrad erreichte der promovierte Wirtschaftswissenschaftler, als er im Jahr 2008 die Subprime-Krise - die die bald darauf folgende Finanzkrise auslöste - voraussah und sich dabei gegen den wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream positionierte. Aus heutiger Sicht bedurfte es hierzu keiner besonderen Theorie- und Faktenkenntnisse, sondern eher Unvoreingenommenheit und den Mut, gegen den Strom zu schwimmen. Tatsächlich waren die Märkte seinerzeit durch ein Glaubensspektakel betäubt, an dem neben verantwortungslosen Geldinstituten und Rating-Agenturen die Politik einen wesentlichen Anteil hatte.

Nun meldet sich Roubini erneut zu Wort, indem er für die Nach-Corona-Zeit vier mögliche Szenarien benennt. Dabei gesteht er ein, dass heute eine Voraussage schwieriger ist, als in der Endphase der US-Immobilienspekulation vor 13 Jahren. Er entscheidet sich schließlich für das - in seinem Artikel an zweiter Stelle genannte - Szenarium einer wirtschaftlichen Überhitzung. Seine Wahl begründet er wie folgt:

„In diesem Fall würde sich das Wachstum beschleunigen, während die Engpässe auf der Angebotsseite beseitigt werden, jedoch würde die Inflation auf einem höheren Niveau verharren, weil sich herausstellt, dass die Ursachen nicht vorübergehend sind. Da die nicht ausgegebenen Ersparnisse und die aufgestaute Nachfrage bereits hoch sind, würde die Fortsetzung der ultralockeren Geld- und Fiskalpolitik die Gesamtnachfrage noch weiter ankurbeln. Das daraus resultierende Wachstum wäre mit einer anhaltenden, über dem Zielwert liegenden Inflation verbunden und würde die Annahme der Zentralbanken widerlegen, dass der Preisanstieg nur vorübergehend ist.“

Bevor wir uns mit dieser Prognose befassen, sollen die anderen Alternativen, die Roubini aufführt und als wenig realistisch zurückweist, kurz vorgestellt werden.

Die erste Szenarium ist das eines – offiziell verkündeten - anhaltenden Wachstums bei einem Rückgang der Inflation auf moderate Werte. Da die Zentralbanken jedoch wiederholt signalisierten, bald zu einer restriktiveren Geldpolitik zurückkehren zu wollen, entziehen sie optimistischen Wachstumserwartungen den Boden. Dass ein sich selbst tragendes Wachstum erreicht werden könnte, erscheint angesichts der Vor-Corona-Erfahrungen als unwahrscheinlich. Zu jener Zeit gelang es nicht einmal mittels massiver geldpolitischer Maßnahmen, Investitionsschübe in Gang zu bringen. Mit anderen Worten: Erstes Szenarium kann ausgeschlossen werden.

Als drittes Szenarium (das zweite ist, wie gesagt, dasjenige, die Roubini für wahrscheinlich hält, und mit der wir uns in diesem Artikel näher befassen werden) nennt Roubini eine Stagflation, die sich als Resultat gleichzeitig eintretender negativer Entwicklungen einstellen könnte. Solche wären zunehmender Protektionismus mit dem Auseinanderbrechen von Lieferketten, ein sich vertiefender Konflikt zwischen den USA und China sowie ein verstärkter Kampf gegen den Klimawandel mit der Folge steigender Rohstoffpreise.

Das vierte Szenarium betrifft einen Wachstumseinbruch infolge einer übereilten Reduzierung geld- und fiskalpolitischer Anreize.

Sowohl das dritte als auch das vierte Szenarium beruhen weitgehend auf politischen Entscheidungen. Da sich die wirtschaftliche Lage der Bürger verschlechtern würde, wären Proteste zu erwarten. Konnten der Bevölkerung in der Vergangenheit mit Verweis auf die Corona-Gefahren noch Entbehrungen abverlangt werden, so ist die Grenze der Belastbarkeit inzwischen erreicht. Die Staatslenker dürften daher bemüht sein, das Risiko eines wachsenden Widerstands gering zu halten.

Unzureichende Berücksichtigung der Einkommensverteilung

Kann Roubinis Zurückweisung der Varianten eins, drei und vier vorbehaltlos zugestimmt werden, so soll die von ihm favorisierte Annahme einer wirtschaftlichen Überhitzung im Folgenden geprüft werden. Sie beruht auf dem Tatbestand, dass Privathaushalte der reichen Länder des Westens während der Corona-Krise bedeutende Ersparnisse angehäuft haben. Für eine Beurteilung der Konsumrelevanz ist die alleinige Betrachtung der Sparquote jedoch unzureichend. Zusätzlich wäre erforderlich, eine Differenzierung nach Einkommensklassen vorzunehmen.

In seinem Werk „Schwarzbuch Corona“ konstatiert Jens Berger, dass reiche und arme Bürger von den Anti-Corona-Maßnahmen recht unterschiedlich betroffen sind. Er verweist auf eine Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung vom Herbst 2020, nach der während der Pandemie bei Einkommen bis 900 Euro Verluste von 49 Prozent und bei Einkommen über 4500 Euro von nur 26 Prozent entstanden sind. Doch nicht allein die Corona-Restriktionen haben nach Bergers Erkenntnissen eine Schieflage bewirkt, sondern die „Unterstützungsleistungen durch den Staat sind ebenfalls alles andere als gerecht und benachteiligen insbesondere arme Menschen“.

Je höher das Einkommen eines Privathaushalts ist, desto größer ist allgemein die Sparneigung. Dies ergibt sich allein aus dem Faktum, dass sich persönliche Bedürfnisse nicht grenzenlos steigern lassen. Dagegen kann angenommen werden, dass Geringverdiener ihre Geldbezüge in nahezu vollem Umfang konsumieren. Wächst nun die Schere von Einkommen und Vermögen, dann führt dies unausweichlich zu einem tendenziellen Nachfrageschwund. Aus dem statistisch ermittelten größeren Sparvolumen eine höhere Konsumnachfrage abzuleiten, ist daher nur eingeschränkt zulässig. Diese dürfte aktuell deutlich niedriger sein als das während der Corona-Krise gebildete Rücklagenplus privater Haushalte.

Zeitlich begrenzte Nachfrageeffekte

Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt, der gegen eine Überhitzung spricht, die von hohen Inflationswerten begleitet würde. Es müsste eine Angebotsknappheit angenommen werden, die für einen längeren Zeitraum Bestand hat. Eine solche besteht aktuell bei einigen Rohstoffen und Komponenten für die Weiterverarbeitung, was sich in Preissprüngen etwa bei Energieträgern niederschlägt. Wie in der Vergangenheit ist dennoch anzunehmen, dass es sich um ein vorübergehendes Phänomen handelt. Allein die Existenz unausgelasteter Kapazitäten dürfte dafür sprechen, dass die meisten Engpässe in angemessener Zeit beseitigt werden. Nachdem die Produktion wieder hochgefahren ist, würde sich zwar mancherorts ein Bedarf an Erweiterungsinvestitionen offenbaren. Deren normales Volumen dürfte dennoch nicht wesentlich überschritten werden.

Dagegen wird eingewendet, dass die massiven finanziellen Unterstützungen anlässlich der Corona-Epidemie eine zusätzliche Nachfrage generiert hätten. Diese Annahme wird durch zwei Fakten gestützt. Zum einen werden die Gewinner der Anti-Corona-Politik, zu denen beispielsweise der Versandhandel gehört, nicht zur Finanzierung der Hilfsprogramme herangezogen. Zum anderen wird eine Corona-Hysterie vielerorts als Vorwand genutzt, um die Realisierung wünschenswerter Projekte etwa in Sachen Infrastruktur oder des ökologischen Umbaus politisch durchzusetzen. Während die neue US-Administration Wahlversprechen einlösen möchte, wird in Europa die Gelegenheit genutzt, dem EU-Stabilitätskorsett zu entfliehen.

Wenn nun zusätzliche Finanzmittel in die Realwirtschaft fließen, bleibt zu untersuchen, was mit ihnen im weiteren Verlauf geschieht. Zum einen profitieren Privathaushalte in Gestalt von Unterstützungszahlungen und Steuerermäßigungen, zum anderen werden staatliche Projekte angeschoben. Indem mit diesen Geldern Waren und Leistungen erworben werden, gehen sie jeweils in die Hände anderer Wirtschaftssubjekte über. Dabei gelangt das Gros der geschaffenen Liquidität über eine Vielzahl von Transaktionen schließlich in den Besitz von Kapitalanlegern. Finanzielle Zuschüsse und andere Vorleistungen für Unternehmen kommen ihnen auf direkterem Weg zu.

Je schneller sich dieser Prozess vollzieht, desto geringer sind Umfang und Zeitspanne, in denen die neu geschaffene Kaufkraft auf dem Gebrauchsgütermarkt nachfragewirksam ist. Dies hat Folgen für die Investitionstätigkeit, da den Unternehmen deren allmähliches Verpuffen nicht verborgen bleibt. Insbesondere bei Entscheidungen über die Schaffung zusätzlicher Produktionskapazitäten werden sie Vorsicht walten lassen. Die Risikoaversion der Unternehmen zeigt sich gleichfalls in deren Personalpolitik, wo bei Neueinstellungen sofort einsetzbare Fachkräfte bevorzugt werden, die zu einem Abschluss zeitlich begrenzter Arbeitsverträge bereit sind.

Wahrscheinliche Rückkehr zum Status quo ante

Statt Roubinis Erwartung einer wirtschaftlichen Überhitzung spricht daher auf mittlere Sicht mehr für eine Rückkehr zu Verhältnissen der Vor-Corona-Zeit. Diese war geprägt durch eine niedrige Investitionsquote, ein geringes Wachstum der Realwirtschaft und eine schwache Inflation. Begleitet wurde sie von einer stetigen Verschuldungszunahme privater und vor allem öffentlicher Haushalte.

Indem die Zentralbanken Staatsanleihen in ihre Bücher nahmen, pumpten sie zugleich Liquidität in die Märkte. Das Nachfrage-Niveau hat sich in dessen Folge dennoch nicht signifikant erhöht, wie mancherorts erhofft wurde, sondern konnte meist gerade stabilisiert werden.

Zwar durfte die EZB staatliche Wertpapiere gemäß ihrem Statut nicht direkt erwerben. Allerdings wurde ihr durch das im Januar 2015 beschlossene Liquiditätsprogramm gestattet, europäischen Banken und Finanzunternehmen solche Wertpapiere abzukaufen. Innerhalb der drei folgenden Jahre stieg die Bilanzsumme der EZB auf den mehr als doppelten Wert und erreichte 4,5 Billionen Euro. Im Vergleich zu diesem Zuwachs von etwa 2,5 Billionen Euro erscheinen die offiziell ausgewiesenen Summen für die Anti-Corona-Hilfsprogramme fast wie Peanuts.

Dass bereits zuvor die Wirkung von Konjunkturprogrammen schwach und zeitlich beschränkt war, stützt die Annahme eines zügigen Abflusses der für die Realwirtschaft bereitgestellten Finanzmittel in den Anlagesektor. Gleichwohl wurden die Gelder angesichts der zurückbleibenden Nachfrage nicht investiert, sondern landeten auf den Konten reicher Privathaushalte und Ölstaaten wie auch bei Vermögensverwaltern wie Blackrock, Vanguard und State Street.

Einerseits blieb das Volumen an Anlageobjekten beschränkt, andererseits war eine wachsende Geldmenge für deren Erwerb verfügbar. Dieses fortdauernde Missverhältnis von Angebot und Nachfrage auf den Kapitalmärkten spricht eher für eine Fortsetzung der Hausse als für einen größeren Einbruch, wie ihn Roubini befürchtet. Da geringere Erträge in Gestalt von Zinsen, Dividenden oder Mieten immer noch besser als geparktes Geld sind, dürften Assets auch bei einem hohem Kurs- und Preis-Niveau weiter Abnehmer finden.

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