Politik

Polen an EU-Kommission: Wir lassen uns nicht erpressen

Der zwischen Polen und der EU-Kommission geführte Streit über die Kompetenzen des EuGH droht nach einer Debatte im Europaparlament weiter zu eskalieren. Mit unabsehbaren Folgen.
19.10.2021 14:18
Aktualisiert: 19.10.2021 14:18
Lesezeit: 2 min
Polen an EU-Kommission: Wir lassen uns nicht erpressen
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki spricht im EU-Parlament, während die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zuhört. (Foto: dpa) Foto: Ronald Wittek

Die polnische Regierung droht die Europäische Union in eine neue schwere Krise zu stürzen. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki machte am Dienstag im Europaparlament deutlich, dass sein Land im Streit um das Verhältnis von EU-Recht und nationalem Recht nicht an ein Einlenken denkt. Der nationalkonservative Regierungschef warf der EU-Kommission «Erpressung» vor. Man werde nicht zulassen, dass dies als Mittel der Politik gegenüber EU-Mitgliedsstaaten eingesetzt werde, sagte er an die Adresse von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gerichtet. «Die Kompetenzen der EU haben ihre Grenzen, wir können nicht länger schweigen, wenn sie überschritten werden.»

Von der Leyen hatte Polen kurz zuvor wegen des Infragestellens von EU-Recht schwere Sanktionen angedroht. «Wir können und wir werden es nicht zulassen, dass unsere gemeinsamen Werte aufs Spiel gesetzt werden», sagte sie in der teilweise sehr emotional geführten Debatte im Straßburger Europaparlament.

Als konkrete Optionen nannte von der Leyen nun ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren, die Nutzung eines neuen Verfahren zur Kürzung von EU-Mitteln sowie erneute Anwendung des sogenannten Artikel-7-Verfahrens. Letzteres könnte sogar zum Entzug der polnischen Stimmrechte bei EU-Entscheidungen führen. Europaabgeordnete von Parteien wie der CDU/CSU, SPD, Grünen, FDP und Linken unterstützten in der Diskussion den harten Kurs gegen die polnische Regierung. Unter anderem die AfD nahm Morawiecki hingegen in Schutz.

Hintergrund des eskalierenden Streits ist ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, nach dem Teile des EU-Rechts nicht mit Polens Verfassung vereinbar sind. Diese Entscheidung wird von der EU-Kommission als höchst problematisch angesehen, weil sie der polnischen Regierung einen Vorwand geben könnte, ihr unliebsame Urteile des EuGH zu ignorieren.

Das Urteil stelle die Grundlagen der Europäischen Union infrage, kritisierte von der Leyen am Dienstag im Parlament. «Es ist eine unmittelbare Herausforderung der Einheit der europäischen Rechtsordnung. Nur eine gemeinsame Rechtsordnung ermöglicht gleiche Rechte, Rechtssicherheit, gegenseitiges Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten und daraus resultierend gemeinsame Politik.»

Morawiecki verwies hingegen darauf, dass auch die obersten Gerichte in anderen EU-Ländern keinen absoluten Vorrang von EU-Recht sehen und warf dem EuGH Kompetenzüberschreitungen vor. Um seinen Standpunkt zu untermauern, zitierte er aus Urteilen des Obersten Gerichtshofes in den Niederlanden, des französischen Verfassungsrats und des Bundesverfassungsgerichts. Allerdings hat bislang kein Gericht eines EU-Lands Teile des gemeinsamen Rechts grundsätzlich in Frage gestellt.

«Diese Situation kann und muss gelöst werden», sagte von der Leyen nun. Wie diese Lösung aussehen könnte, ist jedoch völlig unklar. Aus Sicht von Ländern wie Luxemburg oder der Niederlande müsste Länder wie Polen eigentlich aus der EU austreten, wenn sie sich nicht vollständig an Gemeinschaftsrecht halten wollen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnte hingegen zuletzt mit deutlichen Worten Dialogbereitschaft auch von Seiten der EU an. «Wir haben große Probleme, aber ich rate dazu, sie im Gespräch zu lösen und Kompromisse zu finden», sagte sie. Zu glauben, dass man politische Differenzen und vielleicht auch Differenzen in der Wahrnehmung der Europäischen Union nur durch Gerichtsverfahren klären könne, finde sie nicht richtig.

Für die Notwendigkeit einer Einigung im Dialog spricht auch, dass die von der EU-Kommission angedrohten Sanktionsverfahren nur dann vorangetrieben werden können, wenn eine große Mehrheit der anderen EU-Staaten dies unterstützt. Dies ist bislang alles andere als sicher. Hinzu kommt, dass Polen in Reaktion auf Strafmaßnahmen einstimmig zu treffende EU-Entscheidungen blockieren und so zum Beispiel die gesamte EU-Außenpolitik lahm legen könnte.

Dass Polen über das bereits laufendes Artikel-7-Verfahren die EU-Stimmrechte entzogen werden könnten, gilt derzeit wegen der Mehrheitsverhältnisse im zuständigen EU-Ministerrat als ausgeschlossen. Der EU-Kommission bliebe damit lediglich die Möglichkeit, weiter die Auszahlung von EU-Corona-Hilfen hinauszuzögern und darauf zu hoffen, dass der EuGH im Fall von nicht eingehaltenen Urteilen Zwangsgelder verhängt. Letztere könnten mit EU-Zahlungen an Polen verrechnet werden. Das Land ist größter Netto-Empfänger. Aus dem regulären EU-Haushalt erhielt das Land allein im vergangenen Jahr netto rund 12,4 Milliarden Euro.

Erwartet wird nun, dass der Streit beim EU-Gipfel an diesem Donnerstag und Freitag Thema wird. Da Entscheidungen dort nur einstimmig getroffen werden können, hat Polen jedoch nichts zu befürchten. Einen Austritt aus der EU Polens schloss Morawiecki am Dienstag erneut entschlossen aus. Die EU sei Polens Platz, das Land bewege sich nicht irgendwohin fort, sondern schaue, was es der Staatengemeinschaft geben könne, sagte er.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Wie schützt man seine Krypto-Wallet? CLS Mining ermöglicht Nutzern eine stabile tägliche Rendite von 6.300 €.

Der Kryptowährungsmarkt erholte sich heute umfassend, die Stimmung verbesserte sich deutlich. Meme-Coins führten den Markt erneut an....

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Krypto-Crash: Wie Zinsen und KI die Kryptomärkte unter Druck setzen
21.11.2025

Die jüngsten Turbulenzen an den Kryptomärkten stellen Anleger, Unternehmen und Regulierer gleichermaßen auf die Probe. Welche Kräfte...

DWN
Politik
Politik Koalition unter Druck: Bundesrat zwingt Merz-Regierung in den Vermittlungsausschuss
21.11.2025

Die Stimmung in der Koalition mau, der Rentenstreit noch längst nicht ausgestanden – jetzt legt sich auch noch der Bundesrat quer. Er...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Ein Mundscan reicht: Das Healthtech DentalTwin erstellt KI-basierte Modelle für Zahnersatz
21.11.2025

Mithilfe KI-basierter Datengenerierung verlagert das Start-up DentalTwin die Zahnprothetik ins Digitale. Das dürfte nicht nur Praxen und...

DWN
Politik
Politik EU lockert Datenschutz: Digitaler Omnibus reformiert Regeln für KI
21.11.2025

Europa steht bei der Digitalpolitik vor einem Wendepunkt, an dem Wettbewerbsfähigkeit und Schutz von Bürgerrechten neu austariert werden....

DWN
Politik
Politik US-Wirtschaftselite, Ex-Präsidenten und die Epstein-Akten: Verbindungen zu Politik und Tech-Milieu offengelegt
21.11.2025

Mit jeder neuen Aktenveröffentlichung im Fall Jeffrey Epstein treten weitere Verbindungen zwischen politischen Entscheidern, Finanzeliten...

DWN
Panorama
Panorama Ansteigende Gewalt gegen Frauen - Dobrindt: „Nicht-Deutsche Tatverdächtige deutlich überrepräsentiert“
21.11.2025

Frauen werden stündlich Opfer von körperlicher, sexueller oder psychischer Gewalt, so das Bundeskriminalamt. Das Dunkelfeld dürfte um...

DWN
Politik
Politik Schwarzarbeit bekämpfen: Sozialschutz für Paketboten soll dauerhaft gewährleistet werden
21.11.2025

Der Schutz von Paketboten vor Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung wird dauerhaft gestärkt: Der Bundesrat hat die Verlängerung der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Handelsriesen setzen Verbraucher unter Druck – Gutachten kritisiert Marktmacht
21.11.2025

Steigende Lebensmittelpreise sorgen bei vielen Verbrauchern für Unmut – und laut einem aktuellen Gutachten der Monopolkommission liegt...