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BERNEGGER DECKT AUF Teil zwei: Der Westen muss das Klima retten - damit China es zerstören kann

Lesezeit: 7 min
31.10.2021 11:00
Über die Hälfte des globalen Schadstoffausstoßes findet in Asien statt, über ein Viertel allein in China. Laut Klimaabkommen ist das völlig in Ordnung - einschränken sollen sich andere.
BERNEGGER DECKT AUF Teil zwei: Der Westen muss das Klima retten - damit China es zerstören kann
China ist der mit riesigem Abstand größte Umweltverschmutzer der Welt. Aber das stört niemanden. (Foto: dpa)

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Deutschland ist eine große Industrie-Nation – wird heute jedenfalls immer noch behauptet. Aber die Blütezeit des Landes, gemessen an seinem Anteil an der Weltproduktion, ist längst vorüber; sie währte knapp 100 Jahre, und zwar von etwa 1860 bis zum Zweiten Weltkrieg. In diesem Zeitraum war Deutschland absolute Weltspitze - und hatte einen entsprechend hohen Anteil an den globalen CO2-Emissionen. Heute sind deutsche Industrie-Unternehmen zwar immer noch Weltklasse, nur produzieren sie im großen Maßstab auch im Ausland, so dass ihre Emissionen einer Vielzahl von Ländern zugerechnet werden.

Graphik 4: CO2-Emissionen Deutschlands 1850 bis 2019:

Zwischen 1860 und dem Zweiten Weltkrieg hatte Deutschland Anteile von 12 Prozent und mehr an den globalen CO2-Emissionen. Dieser Anteil ist in der Nachkriegszeit kontinuierlich gefallen und liegt heute gerade noch bei zwei Prozent. Könnte Deutschland heute innerhalb von zehn Jahren seine CO2-Emissionen halbieren, was eine unerhörte Leistung darstellte, sänken - ceteris paribus — die globalen Emissionen über diesen Zeitraum hinweg gerade um weniger als ein Prozent. Denn global steigen die Emissionen ja weiter.

Analoges gilt, in etwas vergrößerten Proportionen, für Europa und, mit erheblichen Abstrichen, selbst für die Vereinigten Staaten.

Graphik 5: CO2-Emissionen der heutigen EU-27 Mitglieds-Länder 1850 bis 2019:

Wiederum: Die großen Zeiten Europas als Industriezentrum der Welt sind vorüber, um über ein Jahrhundert. Europa hat immer noch wichtige Industrien, aber die Schwerindustrie und viele verarbeitende Industrien sind von hier abgewandert. Und das schlägt sich in der Klimabilanz nieder. Im 19. Jahrhundert lag der Anteil der CO2-Emissionen Kontinentaleuropas (als Approximative für die heutige EU-27) bei 30 bis 40 Prozent aller globalen Emissionen, dazu kamen noch die bis 1880 noch höheren Werte des Vereinigten Königreiches. Dessen Anteil nahm bereits bis zum Ersten Weltkrieg auf rund 15 Prozent und bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges auf unter 10 Prozent ab. In der Nachkriegszeit fiel er ununterbrochen weiter und liegt heute noch bei einem Prozent. Der Anteil der heutigen EU-27 Länder fiel im 20. Jahrhundert bis rund 1980 bereits auf 20 Prozent, dies trotz eines kräftigen Anstiegs der CO2-Emissionen. Und seit den 1980er Jahren ist, bei leicht rückläufigen Emissionen, dieser Anteil auf gerade noch acht Prozent (Stand: 2019) zurückgegangen. Selbst wenn die EU-27 ihre Emissionen bis 2030 halbieren würde, hätte dies also einen Effekt von weniger als vier Prozent auf die globalen Emissionen (weil diese aufgrund der Entwicklung Chinas und Asiens ja weiter steigen dürften).

Wenden wir uns den Vereinigten Staaten zu, dem - historisch gesehen - größten Klimasünder der Geschichte. Gemäß den Daten des „Global Carbon Project“ sind deren Emissionen seit dem Bürgerkrieg kontinuierlich gestiegen, mit drei substanziellen Einbrüchen - der Depression der frühen 1930er Jahre, der Ölkrise Mitte der 1970er Jahre und in den zehn Jahren während und nach der Großen Finanzkrise. Doch betrachtet man die Anteile an den globalen Gesamtemissionen, so waren sie wirklich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dominant und sehr hoch, bei 40 bis 50 Prozent. In der Nachkriegszeit sind sie bereits bis Ende der 1970er Jahre auf 20 bis 25 Prozent und seit der Großen Finanzkrise auf rund 15 Prozent gefallen.

Graphik 6: CO2-Emissionen der Vereinigten Staaten 1850 bis 2019:

Würden die USA bis 2030 ihre Treibhausgas-Emissionen halbieren, was gemessen am historischen Trend unglaublich erscheint und einen tiefen Strukturbruch bedeuten würde, so würde dies die globalen Emissionen maximal um rund sieben Prozent reduzieren (denn andernorts wachsen sie ja weiter).

Schlussfolgerung auf Basis der statistischen Fakten

Eine erste Konsequenz aus dieser Erkenntnis ist die Tatsache, dass die Zielerreichung des Pariser Abkommens beim zunächst vorgeschlagenen und bis heute priorisierten Weg rein rechnerisch ein Ding der Unmöglichkeit ist. Dieser Weg besagt, dass primär die fortgeschrittenen Industrieländer des OECD-Raumes vorangehen und ihren CO2-Ausstoß drastisch einschränken müssen, um den globalen Temperaturanstieg auf zwei Prozent – oder sogar noch weniger - zu beschränken. Selbst wenn noch die Anteile von Kanada, Australien (je ein Prozent) sowie Süd-Korea (1.5 Prozent) und Japan (3 Prozent) hinzugezählt werden, würde das ziemlich wenig bringen.

Das Kernproblem ist das riesige Gewicht Chinas (fast 30 Prozent) und Indiens (7,5 Prozent und steigend) sowie der meisten anderen asiatischen Länder (kombiniert 20 Prozent, Japan und Süd-Korea eingeschlossen). Bleiben deren Emissionen unverändert, so ist ein deutlicher Rückgang der globalen Emissionen unmöglich. Steigen sie aber noch weiter, wie dies China, Indien explizit und den meisten anderen Ländern Asiens, außer Japan, Südkorea und Taiwan, de facto zugestanden ist, so nehmen die globalen Emissionen einfach weiter zu.

Die zentrale Strategie des Pariser Abkommens erscheint als auf Sand gebaut und ignoriert die quantitativen Dimensionen. Sie gesteht dem seit langem größten Emittenten weitgehende Freiheit für die Zukunft zu und legt den alten Industrieländern viel zu hohe Anforderungen auf kurze Frist auf, die sie nicht oder nur unter drakonischen wirtschaftlichen Rosskuren erfüllen können, noch dazu ohne jegliche Erfolgsaussichten für das Weltklima.

Um die globalen Treibhausgas-Emissionen zu begrenzen respektive scharf abzusenken, muss auf vielen Ebenen vorgegangen werden. Aber die zentrale Aufgabe besteht darin, auch die CO2-Emissionen Chinas und der anderen asiatischen Länder drastisch hinunterzufahren, und diesen Ländern nicht ein weiteres Jahrzehnt jegliche Handlungs-Freiheit nach oben zu belassen.

Alles auf die alten Industrieländer abzuladen, weil sie historisch hohe Anteile an den Treibhausgas-Emissionen hatten, verkennt etwas Grundlegendes. Das Vereinigte Königreich, Kontinentaleuropa und abgeschwächt selbst die USA hatten dominante Anteile zu einem Zeitpunkt, als die globalen Emissionen im Vergleich zu heute oder den letzten 40 Jahren noch sehr niedrig waren und kein besonders großes Problem darstellten. Für die letzten 40 Jahre und speziell für die letzten 20 Jahre, in denen die Emissionen viel höher liegen, sind China und Asien ganz maßgeblich an den globalen Emissionen beteiligt.

Ich bin kein Klima-Experte. Aber es stellt sich schon die Frage, ob die CO2-Emissionen von 1970, 1920, 1870 oder noch früher die gleiche Bedeutung haben für das Risiko der jetzt stattfindenden globalen Erderwärmung wie die Emissionen der letzten 20 Jahre. Das wird in vielen Papieren zur globalen Klimaerwärmung impliziert, indem einfach alle historischen CO2-Emissionen aggregiert werden, alle mit dem gleichen Gewicht. Damit wird eine möglicherweise falsche Rechtfertigung dafür geschaffen, dass China und andere asiatische Länder von der Notwendigkeit zur sofortigen Einschränkung der Emissionen ausgenommen werden. Es wird nämlich in einer verqueren Weise argumentiert, dass diese Länder in der Summe bisher weniger Emissionen verursacht hätten als Europa oder die Vereinigten Staaten und damit noch ein Quasi-Recht auf ein Nachholpotential hätten. Chemisch-physikalisch dürfte dies nicht korrekt sein. Nach den mir bekannten Untersuchungen wird das CO2 in einem komplexen Austausch mit Ozeanen und Land rund zur Hälfte innerhalb einiger Jahrzehnte in der Erdatmosphäre abgebaut, der Rest hat dann aber eine Verweildauer von mehr als tausend Jahren. Die Emissionen Europas und der Vereinigten Staaten vor 1980 dürften zu einem erheblichen Prozentsatz von mehr als zwei Dutzend Prozenten bereits aus der Erdatmosphäre abgebaut sein, diejenigen vor 1950 rund zur Hälfte.

Über das elementar Rechnerische hinaus kommt eine zweite Frage hinzu: Von den traditionellen Industrieländern viel größere Anstrengungen in Sachen Klimapolitik zu erwarten und gleichzeitig neueren Wirtschaftsmächten sowie Schwellenländern weitere CO2-Zuwächse zuzugestehen, schafft darüber hinaus eine Arbitrage-Möglichkeit für global tätige Unternehmen. Sie bauen CO2-intensive Aktivitäten dort ab, wo die Regierungsvorschriften dies vorsehen, und verlagern ihre Aktivität dorthin, wo Energie billig ist und keine CO2-Begrenzungen vorhanden sind. Mit dem Effekt, dass die globalen CO2-Emissionen munter weiter steigen.

Das Risiko dieser Strategie - Emissionssenkung prioritär für alte Industrieländer, freie Fahrt für China, Indien und die anderen asiatischen Länder - besteht darin, dass genau das Gleiche passiert wie in den letzten 40 Jahren, und dies noch beschleunigt: Dass nämlich die verbliebenen wichtigen Industrien aus den alten Industrieländern nach Asien ausgelagert werden, und dass zusätzlich die Energieerzeugung aus Westeuropa verschwindet, mit dem Effekt, dass die globalen Emissionen erst recht explodieren. Genau das bahnt sich an, und zwar am stärksten in Deutschland auf der einen und in China auf der anderen Seite.

Die Reduktion der CO2-Emissionen des Vereinigten Königreichs seit 1970, von Kontinentaleuropa seit 1980 und von den USA seit 2005 beruhen alle primär auf drei zentralen Faktoren:

  • Erstens einer erhöhten Energieeffizienz, das heißt eines reduzierten Energie-Einsatzes, um die gleiche oder eine ähnliche Produktionsleistung zu erbringen wie in der Vergangenheit. Diese Form der Reduktion ist absolut zentral und zweifellos uneingeschränkt positiv zu bewerten.
  • Zweitens dem Ersatz von Kohle als Brennstoff für Wärmekraftwerke und für Heizungen durch zunächst Heizöl und Kernenergie und später durch Erdgas. Die Verbrennung von Erdgas halbiert ungefähr den CO2-Ausstoß pro Einheit produzierter Energie gegenüber Kohle. Kernenergie ist im Wesentlichen klimaneutral, hat aber andere Nachteile. Erdgas eröffnet auch für Asien eine Möglichkeit, relativ rasch Kohle zu ersetzen. Eine weitere wesentliche Quelle bilden erneuerbare Energien, die es in dieser Form vor 50 Jahren noch nicht gab. Diese Formen der CO2-Reduktion sind positiv, sowohl für die Länder, welche sie vornehmen, als auch für den gesamten Globus.
  • Drittens der Art und Weise, wie die Emissionen in der Länderstatistik der alten Industrieländer verschwunden sind, nämlich in der Verlagerung der Produktion in Tieflohngebiete mit niedrigen Energiekosten und wenig einschränkenden Umweltvorschriften. Diese Form der Emissionsreduktion stellt eine Katastrophe dar: Man verlagert die Industrie ausgerechnet dorthin, wo hauptsächlich mit billiger Kohle enorme Umweltschäden angerichtet und besonders hohe Treibhausgas-Emissionen ausgestoßen werden. Das ist die bittere Bilanz der angeblich so positiven Globalisierung der vergangenen 40 Jahre. Sie hat Einkommen und Arbeitsplätze in den alten Industrieländern zerstört und zu einer Explosion der globalen CO2-Emissionen geführt - eine miserable Kombination.

Freihandel bei falschen, das heißt verzerrten Preisen und Kosten - was die Währung einschließt – die deren negative externen Effekte nicht berücksichtigen, ist nicht der Freihandel des volkswirtschaftlichen Lehrbuchs, bei dem alle von komparativen Vorteilen profitieren. Und alle Theoreme, welche auf Ricardo und klassische Interpretationsmuster zurückgehen, sind im Falle Chinas ohnehin fehl am Platz. Dessen Handelspraktiken sprechen allem Hohn, was das Land bei Eintritt in die Welthandelsorganisation WTO unterschrieben hat. Es ist purer Merkantilismus, was das Land praktiziert. Das laufende Jahrzehnt droht, diesen Trend der Verlagerung von Ost nach West um ein neues Kapitel zu bereichern, diesmal unter dem Titel „Globale Klimasteuerung“.

Bisher war die Verlagerung der Produktionsstätten von Europa und den Vereinigten Staaten nach China und Asien nicht primär klimapolitisch motiviert (hatte aber klimapolitische Konsequenzen). Die Gründe waren im Zeitalter der neoliberalen Globalisierung die Suche nach den billigsten Standorten mit geringer Steuerbelastung, niedrigen Löhnen, langen Arbeitszeiten, billiger Energie und Absenz von Umweltvorschriften, also alles Motive, um die Gewinne der börsennotierten Unternehmen zu steigern. In der Zukunft dürfte die Klimapolitik ein sehr wichtiger Wettbewerbsfaktor werden, und da schneidet ein Land eben ganz besonders schlecht ab: Das Reich der Mitte. Wird das dazu führen, dass weniger westliche Unternehmen in China produzieren werden?

Mit diesem Thema werden wir uns in einem folgenden Artikel befassen.


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