Der Hohe Repräsentant für Bosnien-Herzegowina, Christian Schmidt, warnt davor, dass ein Zerfall des Westbalkan-Landes die ganze Region destabilisieren und den EU-Kurs Serbiens gefährden könnte. „Es wird schwieriger“, sagte Schmidt in einem am Samstag veröffentlichten Interview der Nachrichtenagentur Reuters auf die Frage, was eine Abspaltung des serbischen Teils Bosniens für die EU-Beitrittsgespräche Serbiens bedeuten würde. „Serbien (…) sollte ein Eigeninteresse haben, dass Bosnien-Herzegowina zusammenbleibt“, betonte er mit Blick auf Spekulationen, dass die Regierung in Belgrad Unabhängigkeitsbestrebungen des bosnisch-serbischen Präsidentschaftsmitglied Milorad Dodik unterstützen könnte. Ein punktueller Zerfall in der Vielvölkerregion würde immer die gesamte Region erfassen. Er habe aber auch den Eindruck, dass dies alle Nachbarn Bosnien-Herzegowinas so sehen.
Eine neue Landkarte für den Balkan, die von der slowenischen Zeitung „Necenzurisano“ vor wenigen Monaten veröffentlicht wurde, sorgte in mehreren Balkan-Staaten für eine große Verunsicherung und Verwirrung. In der deutschen Öffentlichkeit wurde die Enthüllung dieses Geheimplans vollständig ignoriert.
Die neue Balkan-Karte soll angeblich vom Büro des slowenischen Premier Janes Janza bereits im Februar 2021 nach Brüssel geschickt worden sein. Das Papier enthüllt Ideen für die Teilung von Bosnien Herzegowina, den Anschluss der Republika Srpska an Serbien und die Vereinigung des Kosovo mit Albanien. „Im Kosovo wollen 95 Prozent der Bevölkerung sich mit der ursprünglichen albanischen Nation vereinen. In Albanien ist die Situation ähnlich. Die Grenze zwischen Albanien (einem NATO-Mitglied) und dem Kosovo existiert praktisch nicht“, heißt es in dem Dokument.
Dem serbischen Teil des Kosovo soll nach dem Vorbild Südtirols ein Sonderstatus zuerkannt werden. „Die serbische nationale Frage kann weitgehend gelöst werden, indem ein Teil der Republika Srpska an Serbien annektiert wird. In diesem Fall ist Serbien bereit, der Vereinigung des Kosovo und Albaniens zuzustimmen“, heißt es weiter. Andere Vorschläge, die in dem Dokument präsentiert werden, umfassen die Lösung der Kroatenfrage, der Bosniakenfrage und was die Europäische Union tun muss.
Das Dokument sieht auch Schritte zur Umsetzung des Plans vor, darunter sollen zwei „bereits im Gange“ sein:
„Im stillen Verfahren werden die Möglichkeiten zur Umsetzung des Plans mit Entscheidungsträgern in der Region geprüft“ und „im stillen Verfahren wird die Unterstützung des Plans mit Entscheidungsträgern in der internationalen Gemeinschaft verifiziert“.
Nach Abschluss dieser Schritte muss ein umfassendes Kommunikationsprogramm erstellt werden, um den Plan der Öffentlichkeit vorzustellen. Das Dokument unterstreicht, dass die Besonderheiten des Balkans und die „verschiedenen Atmosphären“ in verschiedenen Teilen davon im Auge behalten werden sollten.
Falls die internationalen Partner dem zustimmen, sollte die EU dies formalisieren und Schritte zur Umsetzung des Plans unternehmen, fügt das Dokument hinzu und weist darauf hin, dass ein Prozess der Kommunikation mit der Öffentlichkeit, um bilaterale Schritte zu unternehmen, folgen sollte.
Die slowenische Europaabgeordnete Tanja Fajon hielt zuvor eine Pressekonferenz in Ljubljana ab und betonte, dass sich der mutmaßliche Autor des Papiers Premierminister Janez Jansa, dazu äußern sollte, da Slowenien demnächst die Präsidentschaft übernehmen wird der Europäischen Union.
„Sloweniens Rolle besteht darin, sich für die Erweiterung des Westbalkans einzusetzen – nicht für eine Abspaltung“, sagte sie.
In der Einschätzung, dass das Dayton-Abkommen jeden militärischen Konflikt beendete und dass jedes Problem im Dialog gelöst werden sollte, schätzte Fajon ein, dass die Idee der Auflösung Bosnien-Herzegowinas gefährlich sei, weil das Land „bereits einen hohen Preis bezahlt“ habe.
Die slowenische Außenministerin Anze Logar wies die Behauptungen über das Papier zuvor zurück und sagte, es handele sich um „eine Manipulation und einen Versuch, die Regierung und den Präsidenten Sloweniens zu kompromittieren“.
Der CNN-Partnersender „N1“ berichtete, dass die Europäische Kommission zuvor die Existenz des besagten Dokuments geleugnet habe, und fügte hinzu, dass das Papier nicht an die Kommission, sondern an den Europäischen Rat geschickt wurde, dem alle Staats- und Regierungschefs angehören.
Die führenden europäischen Institutionen, der Rat der EU, die Europäische Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) weigerten sich, die Existenz des Papiers zu kommentieren oder zu bestätigen, meldete die Nachrichtenagentur „Beta“.
Der Sprecher des Präsidenten des Europäischen Rates antwortete auf die Frage des Brüsseler Portals „EURACTIV“, ob ein solches Dokument auf offiziellem oder inoffiziellem Weg in Michels Büro gelangt sei, mit den Worten: „Ich kann dazu keinen Kommentar abgeben.“
Die Europäische Kommission und der Gemeinsame Dienst für Außen- und Sicherheitspolitik des EAD unter der Leitung von Josep Borrell sagten, sie wüssten nichts von dem angeblichen Dokument über die Neuziehung der Balkangrenzen.
Während einige regionale Medien behaupten, der slowenische Premierminister selbst habe die Medienvorwürfe zurückgewiesen, berichten andere, dass Jansa das Dokument mehrfach kommentiert, aber auch nie genau bestätigt oder bestritten hat, dass es existiert.
Jansa reagierte verspätet auf Twitter. Zu dem Nachrichtenartikel des kroatischen Mediums „24 sata“ mit dem Titel: „Jansas Plan für den endgültigen Zerfall von BiH und die Teilung der Territorien ist durchgesickert“, schrieb er auf Englisch: „Fake map from fake ‚24 sata‘“. Er werde sich nicht mehr dazu äußern.
Auch das serbische Mitglied der Präsidentschaft von Bosnien-Herzegowina, Milorad Dodik, und der serbische Präsident Aleksandar Vučić äußerten sich zu dem Dokument. Dodik, der sich öffentlich für die Trennung der Republika Srpska von Bosnien und Herzegowina einsetzt, sagte in Belgrad, die Trennung des Kosovo von Serbien sei untrennbar mit dem Überleben des bosnischen Staates verbunden.
Er sagt, dass die Idee einer friedlichen Auflösung von Bosnien Herzegowina nicht neu ist und dies eine Reaktion auf die Funktionsunfähigkeit von Bosniens Herzegowina ist.
„Alle sind sich darin einig, dass es nicht so bleiben kann, wie es ist, und wenn das der Fall ist, dann ist es gut, über eine friedliche Trennung zu sprechen“, sagte Dodik.
Er gab bekannt, dass er nach Belgrad gereist sei, um Vučić von der „friedlichen Auflösung“ von Bosnien Herzegowina zu überzeugen.
Vučić war vorsichtiger in seiner Kommentierung der neue Karte. Vučić gab bekannt, dass er keine Informationen zu diesem Dokument hat. Er sagte gegenüber Reportern, dass er einen „ausgeprägten Chauvinismus“ unter einem Teil der serbischen „pseudo-quasi“-Elite beobachtet habe.
Bosnische Politiker hingegen behaupteten, Jansa werde einen neuen Krieg provozieren. Die Präsidentschaftsmitglieder von Bosnien Herzegowina, Željko Komšić und Šefik Džaferović, gaben bekannt, dass der slowenische Präsident Borut Pahor sie am 5. März 2021 inoffiziell gefragt habe, ob eine friedliche Auflösung von Bosnien Herzegowina möglich sei, berichtet „N1“.
Der Vizepräsident des Repräsentantenhauses der Parlamentarischen Versammlung von BiH und der ehemalige Vorsitzende des Ministerrats von Bosnien Herzegowina, Denis Zvizdić (SDA), argumentierten, dass die Ideen aus dem Papier über die Auflösung Bosnien Herzegowinas nie realisiert werden.
„Wir lesen in den Medien, dass es ein Papier gibt, das angeblich im Büro des derzeitigen slowenischen Ministerpräsidenten Janez Jansa erstellt wurde und in dem die Aufspaltung von Bosnien Herzegowina vorgeschlagen wird, damit die Republika Srpska-Einheit zu Serbien gehört“ und ein Teil des Kantons an Kroatien geht. Das wird möglich sein, wenn die slowenische Region Kärnten zu Österreich gehört, Goriska zu Italien und die gesamte Piraner-Bucht zu Kroatien“, twitterte Zvizdić.
Die Unverletzlichkeit der Grenzen international anerkannter Staaten sei die Grundlage der internationalen Ordnung. Die Außenministerin von Bosnien Herzegowina, Bisera Turković, betonte, dass die territoriale Integrität von Bosnien Herzegowina unbestreitbar ist.
Während die Länder des Westbalkans diskutieren, ob dieses Dokument aus dem Amt des slowenischen Ministerpräsidenten stammt, gibt Nordmazedonien bekannt, dass ihnen der Plan zur Neuziehung der Grenzen nicht bekannt ist, berichtet der „Kosovo Sever Portal“.
Bei keinem der Treffen zwischen dem Präsidenten Nordmazedoniens Stevo Pendarovski und seinem slowenischen Amtskollegen Borut Pahor in der vergangenen Zeit wurde über eine mögliche Neuziehung der Grenzen auf dem Balkan gesprochen, teilte das Kabinett des Präsidenten Nordmazedoniens „Radio Free Europe/Radio Liberty“ mit.
„Eine Neuordnung der Grenzen auf dem Balkan wird nicht zur Stabilisierung der Region beitragen. Präsident Pendarovski ist überzeugt, dass solche Ideen zur Neuordnung der Grenzen auf dem Balkan die EU nicht unterstützen wird. Der einzige Weg, der zu einem besseren Leben und Wohlergehen der Bürger und des Staates führt, ist die Erfüllung der notwendigen Reformen, die für unseren Beitritt zur europäischen Familie entscheidend sind“, heißt es in der Erklärung.