Finanzen

EZB-Bankenaufsicht: Pandemie war „Wendepunkt“, auf die Bürger kommen neue Minuszinsen zu

Der oberste Aufseher der Eurozone warnt: Die von der EZB gegen die Banken verhängten Nullzinsen werden zum Problem - und zunehmend an die Bürger weitergereicht.
15.11.2021 09:00
Lesezeit: 3 min
EZB-Bankenaufsicht: Pandemie war „Wendepunkt“, auf die Bürger kommen neue Minuszinsen zu
Andrea Enria. (Foto: dpa) Foto: Olivier Hoslet

Das Dauerzinstief im Euroraum belastet Banken nach Einschätzung der Bankenaufseher der Europäischen Zentralbank (EZB) zunehmend. Bis etwa Mitte 2020 sei das Niedrigzinsumfeld noch alles in allem positiv für die Finanzinstitute gewesen, sagte der Chef der EZB-Bankenaufsicht, Andrea Enria, am Dienstag in einem Interview mit Bloomberg TV. Zwar sanken die Gewinne, aber die Kreditvolumina weiteten sich aus. „Es stimmt, dass in der letzten Periode der Margeneffekt überwogen hat, so dass es einen negativen Effekt auf die Bankmargen gibt“, sagte Enria. Dies werde wahrscheinlich für eine Weile anhalten.

„Es gab eine lange Zeit, in der die europäischen Banken auf den Godot der Zinserhöhung zu warten schienen, um ihre Margen wiederherzustellen“, sagte Enria. „Die Corona-Pandemie war ein Wendepunkt.“ Nicht alle, aber viele Banken hätten inzwischen verstanden, dass sie handeln müssen.

„Banken sollten sich auf Kostenoptimierung und die Neuausrichtung ihres Geschäftsmodells konzentrieren und vielleicht eine Konsolidierung in Erwägung ziehen, das heißt sie sollten versuchen, ihr Geschäftsmodell nachhaltig zu gestalten, anstatt auf etwas aus dem Weltall zu warten, das ihnen helfen könnte“, riet Enria.

Die EZB hält den Leitzins im Euroraum seit März 2016 auf dem Rekordtief von null Prozent. Geschäftsbanken, die Geld bei der Notenbank parken, müssen dafür seit Juni 2014 Strafzinsen zahlen. Aktuell liegt dieser Einlagenzins - im Fachjargon Einlagefazilität genannt - bei minus 0,5 Prozent. Seit einiger Zeit gewährt die Notenbank Freibeträge für bestimmte Summen, um die Institute zu entlasten. Etliche Geldhäuser geben die Kosten für die Negativzinsen jedoch an ihre Kunden weiter. Ein Ende des Zinstiefs ist bislang nicht in Sicht.

Bürger am unteren Ende der finanziellen „Nahrungskette“

Steigende Gebühren und weniger Filialen - Bankkunden müssen sich nach Einschätzung der Bundesbank auf eine Fortsetzung dieses Trends einstellen. „Damit unsere Banken auch mittelfristig stabil und rentabel bleiben, werden unpopuläre Geschäftsentscheidungen im Privatkundenbereich weiter notwendig sein, wie beispielsweise das Schließen von Filialen und die Aufgabe von Eigenständigkeit“, sagte Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling Anfang Oktober in Frankfurt. „Banken werden vermehrt Negativzinsen an Kunden weitergeben und Gebühren erhöhen müssen.“

Kreditinstitute verschärfen nach Angaben des Vergleichsportals Verivox zunehmend bestehende Negativzinskonditionen für Privatkunden. Zugleich steigt die Zahl der Banken und Sparkassen, die das sogenannte Verwahrentgelt erheben. 392 Institute zählte Verivox Ende des dritten Quartals (Stand 29.9.). Seit Jahresbeginn kamen demnach 214 Geldhäuser hinzu. Das Verbraucherportal Biallo.de kam zuletzt sogar auf rund 490 Institute, die Negativzinsen auf private Guthaben verlangen (Stand: 27.8.).

„Wir sehen nach wie vor eine große Dynamik bei Negativzinsen, doch während im ersten Halbjahr nahezu täglich neue Banken Verwahrentgelte einführten, hat sich diese Entwicklung momentan etwas verlangsamt“, erläuterte Oliver Maier, Geschäftsführer der Verivox Finanzvergleich GmbH. Ein Ende des Negativzins-Trends sei aber nicht in Sicht. Im Gegenteil: Allein im dritten Quartal hätten 30 Kreditinstitute bestehende Regelungen verschärft - 68 seit Jahresbeginn.

Lange Zeit wurde vor allem bei großen Summen ab 100.000 Euro ein Verwahrentgelt fällig. Inzwischen erheben der Auswertung zufolge mindestens 135 Institute Negativzinsen ab einem Gesamtguthaben von 50.000 Euro oder weniger pro Kundin und Kunde. Bei einigen Instituten werden bereits ab 5.000 Euro oder weniger Negativzinsen fällig.

Die meisten Sparkassen und Banken orientieren sich bei der Höhe des Verwahrentgeltes an dem Zins von 0,5 Prozent. 13 Institute belasten Guthaben ihrer Privatkunden allerdings mit 0,55 bis 1 Prozent Strafzinsen.

Die Negativzinsen treffen vor allem Neukunden. Will eine Bank von Bestandskunden ein Verwahrentgelt verlangen, muss sie das mit den Betroffenen individuell vereinbaren. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hält Negativzinsen auf Giro- und Tagesgeldkonten von Verbrauchern allerdings grundsätzlich für unzulässig - unabhängig davon, ob es sich um Neu- oder Bestandskunden handelt.

Verivox wertet die im Internet veröffentlichten Preisaushänge von etwa 1.300 Banken und Sparkassen aus. Da nicht alle Institute ihre Negativzinsen frei zugänglich auf ihrer Website veröffentlichten, dürften mehr als 392 Banken Verwahrentgelte erheben. Überwiegend gelten diese für Tagesgeldkonten, teilweise werden sie aber auch für Giro- und Verrechnungskonten erhoben.

Um Kosten zu senken, haben etliche Institute ihr Zweigstellennetz zudem bereits erheblich ausgedünnt. Denn immer mehr Kundinnen und Kunden nutzen digitale Kanäle für Bankgeschäfte. Der Abschied von der Filialwelt sei „nicht mehr zu leugnen“, befand Bundesbank-Vorstand Wuermeling. „Digitale, niedrigschwellige Informationen und Angebote werden immer wichtiger.

Branchenvertreter betonen immer wieder, dass dennoch niemand auf persönliche Beratung verzichten müsse. „Banken bieten diese schließlich nicht nur in der Filiale, sondern auch telefonisch oder per Video an. Und natürlich wird es auch künftig - gerade bei komplexeren Bankgeschäften - die Möglichkeit zum persönlichen Kontakt geben“, sagte ein von der dpa zitierter Sprecher des BdB.

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin 2026: Droht der nächste Crash oder ein neuer Reifegrad des Marktes?

Wie sich Bitcoin im Jahr 2026 verhalten wird, lässt sich nicht eindeutig voraussagen. Was sich jedoch belastbar analysieren lässt, sind...

DWN
Politik
Politik Anschlag geplant? Terrorverdächtiger in Magdeburg reiste legal ein
16.12.2025

Mit Visum kam er nach Deutschland, dann informierte er sich über Waffen und glorifizierte Anschläge. Zu dem 21-jährigen Mann in...

DWN
Politik
Politik Sudan führt auch 2026 Krisenliste von Hilfsorganisation an
16.12.2025

Die Hilfsorganisation IRC erstellt jeden Dezember eine Liste von Krisenstaaten, die im Folgejahr zu beachten sind. Der Sudan steht im...

DWN
Finanzen
Finanzen Bargeld: Barzahlen wird bei Behörden zur Ausnahme - Bundesbank sieht Akzeptanzlücken
16.12.2025

Bargeld ist in Deutschland nach wie vor beliebt, doch in Ämtern und Behörden stößt man damit nicht immer auf offene Türen. Die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Finanzielle Unabhängigkeit für Führungskräfte: So sichern Sie echte Entscheidungsfreiheit
16.12.2025

Die meisten Führungskräfte träumen davon, unabhängig Entscheidungen treffen und nach eigenen Überzeugungen handeln zu können. In der...

DWN
Finanzen
Finanzen KGHM-Aktie aktuell: Warum der Kupfer-Boom jetzt zur globalen Gefahr wird
16.12.2025

Die Kupferpreise steigen schneller als jede Prognose und die KGHM-Aktie jagt von Rekordhoch zu Rekordhoch. Doch Analysten preisen nun...

DWN
Politik
Politik Deutsche Soldaten für Ukraine? Europäer bieten Schutztruppe an
16.12.2025

Eine Schutztruppe für die Ukraine? Bundeskanzler Merz und europäische Staatschefs haben einen Plan vorgestellt. Doch wie reagieren die...

DWN
Politik
Politik Bundestag Offline: Internet-Ausfall im Bundestag - kein russischer Cyberangriff
16.12.2025

Das Computernetzwerk des Deutschen Bundestags war flächendeckend ausgefallen. Da das Problem ungefähr zeitgleich mit dem Besuch des...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Rückstand bei Bezahlung: Frauen verdienen weiterhin weniger als Männer
16.12.2025

Hartnäckig hält sich der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern. Nur ein Teil der Lohnlücke ist erklärbar.