Weltwirtschaft

China überzieht die Welt mit Kohlekraftwerken

Lesezeit: 8 min
13.11.2021 11:01  Aktualisiert: 13.11.2021 11:01
Im ersten Teil seiner großen Analyse zeigt Michael Bernegger auf, wie China hunderte von Kohlekraftwerken baut - während Deutschland seine Energieversorgung aufs Spiel setzt.
China überzieht die Welt mit Kohlekraftwerken
Ein Kohlekraftwerk in Xining in Zentral-China. (Foto: dpa)

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Die globalen CO2-Emissionen scheinen unaufhaltsam anzusteigen. 2021 wird ein neues Rekordjahr werden, mit einer regelrechten Explosion der Schadstoff-Ausstöße. Wobei diese auf die unterschiedlichen Wirtschaftsräume ungleich verteilt sind. Das heißt, während sie in Europa seit 1980 und in den USA seit 2005 zurückgehen, sind sie in Asien explodiert, vor allem – besonders seit der Jahrtausendwende - in China. Der Volksrepublik allein sind mindestens 60 Prozent des Zuwachses der globalen CO2-Emissionen seit 2000 zuzuschreiben, wobei es effektiv eher noch mehr sind, wie in diesem Artikel gezeigt werden wird. Und damit nicht genug: Dieses Jahr und erst recht 2022 werden die CO2-Emissionen in China explosionsartig ansteigen.

Während in Glasgow Politiker und Experten über die Klimakrise debattieren und es nicht an Aufrufen zu entschiedenem Handeln mangelt, wird anderswo, genauer gesagt in Peking, kurz und bündig entschieden und gehandelt, allerdings nicht im Sinne der COP26-Konferenz: Die chinesische Führung hat im Oktober 2021 die Weichen in der Energiepolitik neu gestellt und setzt wieder voll auf Kohle, nachdem sie (die chinesische Politik) sich in unauflösbare Widersprüche verrannt hatte, welche zur derzeitigen globalen Lieferkrise führten und die Position Chinas als Fabrik der Welt gefährdeten. Dieser Artikel versucht, die Hintergründe und die Konsequenzen aufzuzeigen.

Für die Weltwirtschaft stellt Chinas Politik-Änderung ein zusätzlicher Inflationstreiber dar. Mittel- und längerfristig setzt Peking voll auf ein merkantilistisches Wirtschaftsmodell und verstärkt die Abkehr von der globalen Kooperation. Symbolisiert wird dies durch die Abwesenheit von Präsident Xi Jinping bei der Konferenz, was auch eine Strafaktion gegen die neue Militär-Achse USA / Großbritannien / Australien im Pazifik darstellt.

Pro-Kopf-Emission an CO2: Welche Länder liegen vorn?

Die Pro-Kopf Emissionen geben einen ersten Hinweis darauf, wie die einzelnen Länder mit ihren Emissionen umgehen – und in Zukunft gemäß der Klima-Abkommen umzugehen haben. Sie sind - neben den bisherigen, den historischen Emissionen - ein weiterer Indikator, welcher im Rahmen des Pariser Abkommens für die Spielräume der einzelnen Länder herangezogen wird.

Es sticht sofort hervor, welche Länder sehr hohe CO2-Emissionen haben: Es sind zum einen die großen Produzentenländer fossiler Energie (also beispielsweise die Staaten der arabischen Halbinsel) und zum anderen die Länder mit einem starken Industrie-Sektor und hoher Bauaktivität. Die folgenden Graphiken dokumentieren dies eindrücklich.

Der globale Durchschnitt an CO2-Emissionen beträgt rund 4,5 Tonnen pro Person, wobei der überwiegende Teil der Welt unter dem Durchschnitt liegt und eine relativ geringe Anzahl von Ländern sehr weit über dem Durchschnitt liegt. Die großen Produzentenländer von fossiler Energie erreichen ein Vielfaches vom Durchschnitt, am meisten Katar. Auch die Länder mit großem Industriesektor erreichen ein Mehrfaches, am meisten die Vereinigten Staaten, welche eine Mischung von Energieproduzent und Industrieland darstellen. China hat in absoluten Zahlen die bei weitem höchsten CO2-Emissionen. Allerdings nicht pro Kopf der Bevölkerung – da sind sie zwar überdurchschnittlich, liegen jedoch nicht außerordentlich hoch. Das heißt, etwas niedriger als in Deutschland, und erst recht als in den USA, Japan und Korea. Ein erheblicher Teil der chinesischen Bevölkerung lebt immer noch in den ländlichen Regionen und dürfte einen sehr niedrigen Ausstoß haben. Damit scheint China vom Pariser Abkommen her Spielräume nach oben zu haben, welche das Land dann auch reichlich nutzen wird.

Die folgende Analyse wird alle Illusionen bezüglich Klimapolitik und Klimawandel in China, welche bei Klimaforschern und in der Öffentlichkeit vorherrschen, ein für allemal beseitigen

Chinas verzerrte CO2-Bilanz

Die folgende Graphik zeigt im Vergleich über lange Zeiträume, wie China sich bezüglich der Produktion und dem Endkonsum von primärer Energie entwickelt hat.

In dieser Graphik repräsentieren die blauen Balken die inländische Produktion, die grünen Balken den inländischen Endverbrauch und die rote Linie den Anteil der inländischen Produktion am Endkonsum von Primärenergie.

Was sofort auffällt, ist die enorme Explosion des Energiekonsums und der Energieproduktion, die sich zwischen 2000 und 2020 fast vervierfacht hat. Die Produktion hat sich mehr als verdreifacht. China produziert Energie vor allem durch Kohlekraftwerke. Die Volksrepublik allein verbraucht heute rund 50 Prozent der weltweit produzierten Kohle und rund 30 Prozent der globalen Primärenergie, beides mit explosiver Aufwärtsdynamik. Das Land ist auch der größte Kohleproduzent der Welt, wiederum mit einem Anteil von rund 50 Prozent. Kein Wunder, dass China zum bei weitem wichtigsten Treiber der Explosion des globalen CO2-Ausstoßes in den letzten 20 Jahren geworden ist. Die Dynamik nach oben ist nach einer kurzen Verschnaufpause nach 2015 /16 ungebrochen. China war lange Energie-Selbstversorger, heute ist der Anteil der im eigenen Land produzierten Energie auf 80 Prozent zurückgefallen. Damit steht das Land im internationalen Vergleich aber immer noch sehr gut da.

Für die Zukunft hat China aufgrund des Pariser Klimaabkommens keine Verpflichtung, seine CO2-Emissionen zu senken. Im Gegenteil: Für das Land besteht keine quantitative Limitierung seines CO2-Ausstoßes. Es ist lediglich vorgesehen, dass der CO2-Ausstoß Chinas bis 2030 seinen Höhepunkt erreichen soll. Der Staats- und Partei-Chef Xi Jinping hat im Sommer 2021 angekündigt, dass dieser Höhepunkt schon etwas früher, nämlich bis 2028, erreicht werden wird. Darüber hinaus wolle China bis 2060 CO2-neutral werden. Der seit 2005 bei weitem größte Emittent von Treibhausgasen ist also für die laufende Dekade vom Pariser Abkommen ausgenommen.

China kann dabei eine der vielen Schwachstellen des Pariser Abkommens ausnutzen: Das Land hat schon vor Jahren ein groß angelegtes Programm zum Bau von Hunderten neuer Kohlekraftwerke im In- und Ausland angekündet. Gegenwärtig sind in China allein 386 Kraftwerke mit einer Kapazität von 187 Gigawatt geplant, fast die Hälfte aller geplanten Kohlekraftwerke weltweit. Auch der Rest der geplanten Kohlekraftwerke konzentriert sich auf Asien, vor allem auf Indien, Indonesien und Vietnam. Und China finanziert fast 80 Prozent der weltweiten geplanten neuen Kraftwerke, während Japan und Korea, die früher dominierten, sich weitgehend aus diesem Geschäft zurückgezogen haben.

Diese Inland- und Auslandsaktivität Chinas im Kohlebereich verdient es, näher analysiert zu werden, nicht nur im Kontext des Pariser Klimaabkommens, sondern in Bezug auf ihre Wirkung auf globale Inflation, Konjunktur und langfristiges Wirtschaftswachstum.

Die Auslandsaktivität im Kohle-Sektor verstößt im Grundsatz diametral gegen Sinn und Geist des Pariser Klimaabkommens. Denn dort ist explizit vorgesehen, dass in Schwellenländern keine neuen Kohlekraftwerke mehr finanziert und gebaut werden sollen. Die bisher dominierenden Länder sowie die multilateralen Finanzierungsinstitutionen wie die Weltbank haben sich dann auch aus dieser Aktivität zurückgezogen. China ist in diese Lücke hineingesprungen und hat ein zunächst groß dimensioniertes Programm nach eigenem Gusto lanciert.

China plant, finanziert und baut diese Kraftwerke mit eigenen Belegschaften, Maschinen und Materialien, so dass Beschäftigungs- und Kopplungseffekte auf vor- und nachgelagerte Branchen im betreffenden Land sowie der Know-how-Gewinn für lokale Produzenten gering sind. Dieser Export von Know-how ist zudem beschränkt. Nach einem Bericht basierten erhebliche Anteile der Investitionen in neue Kraftwerke zunächst auf veralteter Technologie, während China zuhause Kraftwerke mit neuester Technologie projektiert. Übersieht man die ganze Kreditvergabe des chinesischen Bankensystems im Ausland, so zeigt sich eine Konzentration auf solche Kohlekraftwerke. Sie sind die bei weitem größte Position, weit vor Transport- und Logistik-Infrastruktur.

Diese Kraftwerke haben eine weitere Dimension. Sie finden sich vor allem in Ländern, welche an der Seidenstraße-Initiative teilnehmen, und dienen dazu, in diesen Ländern eine Basis-Infrastruktur für den Aufbau zukünftiger Exportmärkte Chinas und für den Transport in weiter entfernte Exportmärkte wie beispielsweise nach Europa zu etablieren. In der Statistik werden die CO2-Emissionen dieser neuen Kraftwerke den betroffenen Ländern zugeschrieben werden. Effektiv entspringen sie jedoch in jeglicher Dimension der Initiative Chinas. Die Seidenstraße-Initiative kann durchaus als neokoloniales, wenn auch nicht als imperialistisches Projekt charakterisiert werden, das der weit überdimensionierten Schwer- und Export-Industrie Chinas auf Jahre und Jahrzehnte hinaus Aufträge garantiert. Der Anteil Chinas an der Explosion der Treibhausgas-Emissionen in den letzten Jahren und erst recht in der Zukunft dürfte also noch deutlich höher liegen als das, was in der auf Nationalstaaten basierenden Statistik des Pariser Abkommens erscheint. Ein weiterer Faktor kommt hinzu: Das explosive Wirtschaftswachstum Chinas hat über Zulieferungen auch das Wirtschaftswachstum hauptsächlich in Asien und generell im Pazifikraum angetrieben: Kohlelieferungen aus Australien und Südafrika, Rohstoffe aller Art aus Afrika und Südamerika, Industrieprodukte aus Japan, Südkorea, Taiwan und Vietnam haben diesen Wirtschaftsraum so dynamisch gemacht. Indirekt oder ökonomisch ist die Wirkung Chinas auf den globalen CO2-Ausstoß noch massiver. Er kommt nur in der offiziell ausgewiesenen Statistik nicht zum Ausdruck.

2015 bis August 2021: Korrekturversuche, um die Auswirkungen auf das eigene Land zu begrenzen

Es ist aber nicht so, dass China respektive seine Führung nicht lern- oder anpassungswillig wären, ganz im Gegenteil. Bereits seit 2013 und erst recht nach der Pariser Klimakonferenz von 2015 fokussierte sich die Volksrepublik auf die Entwicklung erneuerbarer Energien im Inland und hatte innerhalb weniger Jahre durchschlagenden Erfolg beim Aufbau von Kern-, Wind- und Solar-Energie. Wohl nirgends sonst weltweit sind innerhalb weniger Jahre derart substanzielle Kapazitäten im Bereich erneuerbarer Energie aufgebaut worden, mit einem deutlich angewachsenen Anteil an der inländischen Stromproduktion. Der Kohlekonsum stagnierte nach 2015 dagegen auf sehr hohem Niveau und wurde begrenzt durch quantitative Vorgaben der Regierung, die sogenannte Kohle-Obergrenze. Diese Obergrenze wird national, regional und auch lokal nach verschiedenen ökologischen Kriterien festgelegt und hat bindenden Charakter für die Kraftwerke. Sie richtet sich nach den beobachteten Emissionswerten für Feinstaub-Partikel, Schwefeldioxid und andere Schadstoffe, das heißt nach rein gesundheitspolitischen Kriterien. Vor allem um die miserable Luftqualität in den Städten zu verbessern, wurde der Kraftwerks-Park modernisiert, indem neue Kraftwerke praktisch auf dem höchsten Stand der Technik errichtet wurden. Der Bau neuer Kohlekraftwerke im Inland ist geprägt von neuester Spitzentechnologie, primär um diese Schadstoff-Emissionen zu senken, aber auch um die Energie-Effizienz zu erhöhen. Insofern, als dass Kohlekraftwerke mit veralteter Technologie ersetzt werden, ist effektiv eine Reduktion der CO2-Emissionen wahrscheinlich. Das wurde von internationalen Beobachtern so interpretiert, dass möglicherweise die Spitze der CO2-Emissionen bald erreicht werden könnte.

Auch bei den im Ausland erstellten Kraftwerken wurden die Standards im Rahmen einer Empfehlung im Jahr 2019 verschärft. So sollen neue Kraftwerke im Rahmen der Seidenstraße-Initiative hauptsächlich auf erneuerbaren Energien beruhen. Nicht wenige der geplanten Kohlekraftwerke wurden fallengelassen. Der hauptsächliche Grund war schon vor der Coronakrise die mangelnde Energie-Nachfrage und Zahlungsfähigkeit in den Empfängerländern. Dass der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping kürzlich angekündigt hat, die Neufinanzierung von Kohlekraftwerken im Ausland zu stoppen, hat in- und ausländische ökonomische Hintergründe, mindestens genauso wie den Kampf gegen den Klimawandel. Durch die Krise bei den Immobilien-Entwicklern in China, der mit Abstand größten Kategorie von Kreditnehmern in China, sind hohe Summen von ausstehenden Krediten der chinesischen Banken ausfallgefährdet, auch bei den Hypotheken. Sich noch mehr neue ausländische Kredite aufzuladen, die per se problematisch sind, ist auch angesichts der tiefen und möglicherweise anhaltenden Krise vieler Schwellenländer unsicher.

Man kann China nicht vorwerfen, gar nichts versucht oder geändert zu haben, im Gegenteil. Doch die Realitäten haben offenbar die chinesische Führung eingeholt und Mitte Oktober 2021 zu einer Umkehr veranlasst, die bemerkenswert erscheint.

LESEN SIE MORGEN DEN ZWEITEN TEIL VON MICHAEL BERNEGGERS GROSSER ANALYSE:

  • Welche preispolitische Maßnahme China niemals treffen wollte - und jetzt doch treffen musste
  • Wie Chinas Politik die weltweite Inflation anheizen wird
  • Was das alles mit Kohle zu tun hat


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