Finanzen

Steuert Erdoğan die Türkei auf einen Währungskollaps zu?

Die türkische Lira beschleunigt ihren Wertverfall in bedrohlichem Ausmaß, die Zentralbank darf nicht gegensteuern.
17.11.2021 14:36
Aktualisiert: 17.11.2021 14:36
Lesezeit: 2 min
Steuert Erdoğan die Türkei auf einen Währungskollaps zu?
Bürger tauschen in einer Wechselstube in Istanbul Lira in US-Dollar um. (Foto: dpa) Foto: Francisco Seco

Vor einer wichtigen geldpolitischen Entscheidung der türkischen Zentralbank am Donnerstag hat sich Präsident Recep Tayyip Erdoğan erneut deutlich für niedrige Zinsen ausgesprochen und diese generell als „Plage“ bezeichnet. „Wir werden die Zins-Plage von den Schultern unseres Volkes nehmen“, sagte Erdogan am Mittwoch vor der Fraktion seiner islamisch-konservativen Regierungspartei AKP in Ankara. „Wir werden definitiv nicht zulassen, dass Zinsen unser Volk in die Knie zwingen“, sagte er. „Solange ich in diesem Amt bin werde ich meinen Kampf gegen die Zinsen bis zuletzt weiterführen. Und ich werde auch meinen Kampf gegen die Inflation fortführen.“

Entgegen der gängigen Lehre ist der Präsident der Meinung, dass hohe Zinsen Inflation verursachen, statt sie zu bekämpfen. Erdoğan betonte am Mittwoch: „Zinsen sind die Ursache, Inflation das Resultat.“ Mit Befürwortern von hohen Zinsen könne er nicht zusammenarbeiten. Er beklagte zudem, dass Investoren trotz Zinssenkungen davonliefen. „Was seid ihr für Menschen?“

Deutlicher Wertverfall

Der Wertverfall der türkischen Landeswährung nimmt inzwischen bedrohliche Ausmaße an. Derzeit müssen 10,60 Lira für einen US-Dollar und 12 Lira für einen Euro bezahlt werden - beides sind Allzeit-Tiefstände. Zum Vergleich: vor fünf Jahren kosteten sowohl ein Dollar als auch ein Euro noch etwa 3,50 Lira.

Der langfristige Wertverfall hatte sich in den vergangenen Monaten noch einmal kräftig beschleunigt, weil Staatspräsident Erdogan die Zentralbank zu Zinssenkungen gezwungen hatte, obwohl die Inflation im Land zunehmend außer Kontrolle geraten war und inzwischen offiziellen Angaben zufolge bei 20 Prozent liegt. Dieser Wert wird von unabhängigen Beobachtern angezweifelt, welche eher mit einer Teuerung um die Marke von 30 Prozent rechnen. Besonders die Preise für Artikel des täglichen Bedarfs wie Obst und Gemüsen ziehen rapide an. In den vergangenen Wochen hatte die Lira beinahe täglich Allzeit-Tiefstände markiert.

Wird die Notenbank die Leitzinsen senken?

Die durch Erdoğan veranlasste Entlassung dreier Notenbankchefs sowie mehrerer geldpolitischer Berater innerhalb weniger Jahre hat inzwischen zu einer frommen Hörigkeit der formell unabhängigen Zentralbank gegenüber dem Präsidentenpalast geführt. Am Donnerstag werden die Währungshüter den Leitzins (Repo-Zinsrate für einwöchige Ausleihungen) weiter von derzeit 16 auf 15 Prozent absenken, erwarten von Bloomberg befragte Beobachter. Anfang September lag der Referenzzins noch bei 19 Prozent.

Vom Niedrigzinsregime profitiert in erster Linie die türkische Exportwirtschaft, weil ihre Güter auf den Weltmärkten zu attraktiven Preisen angeboten werden können. Die großen Verlierer sind - wie auch im Fall der ultralockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank - die Bürger, deren Einkommen massive Kaufkraftverluste erleiden. Um ihr Vermögen wenigstens teilweise zu schützen, flüchten diese in Scharen in Fremdwährungen wie Dollar und Euro sowie in Edelmetalle wie Gold und Silber.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Technologie
Technologie Künstliche Intelligenz-Erfinder warnt: „Meine Schöpfung kann uns vernichten“
22.11.2025

Er gilt als einer der „Väter der Künstlichen Intelligenz“ – jetzt warnt Yoshua Bengio vor ihrer zerstörerischen Kraft. Der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Zwischen Škoda-Erfolg und Chinas Einfluss: Was die Abhängigkeit für deutsche Autobauer bedeutet
22.11.2025

Elektromobilität ist längst kein Nischenphänomen mehr, sondern prägt zunehmend den europäischen Massenmarkt. Doch wie gelingt es...

DWN
Panorama
Panorama Weihnachtsmarkt-Sicherheit: Was bringen Beton, Kameras und Co. auf Weihnachtsmärkten wirklich?
22.11.2025

Deutsche Weihnachtsmärkte stehen für Atmosphäre, Tradition und Millionen Besucher. Gleichzeitig wächst die Debatte über Schutz,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Ticketsteuer sinkt: Flugbranche verspricht mehr Verbindungen – Passagiere bleiben skeptisch
22.11.2025

Die Bundesregierung will den Luftverkehr mit einer Absenkung der Ticketsteuer ab Mitte nächsten Jahres entlasten. Die Flug- und...

DWN
Politik
Politik New York-Wahl: Was Mamdanis Sieg für Europa bedeutet
22.11.2025

Der Sieg eines radikalen Sozialisten in New York, Deutschlands Stillstand und Polens Aufstieg: Ein Kommentar darüber, wie politische und...

DWN
Finanzen
Finanzen Krypto-Crash: Wie Zinsen und KI die Kryptomärkte unter Druck setzen
21.11.2025

Die jüngsten Turbulenzen an den Kryptomärkten stellen Anleger, Unternehmen und Regulierer gleichermaßen auf die Probe. Welche Kräfte...

DWN
Politik
Politik Koalition unter Druck: Bundesrat zwingt Merz-Regierung in den Vermittlungsausschuss
21.11.2025

Die Stimmung in der Koalition mau, der Rentenstreit noch längst nicht ausgestanden – jetzt legt sich auch noch der Bundesrat quer. Er...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Ein Mundscan reicht: Das Healthtech DentalTwin erstellt KI-basierte Modelle für Zahnersatz
21.11.2025

Mithilfe KI-basierter Datengenerierung verlagert das Start-up DentalTwin die Zahnprothetik ins Digitale. Das dürfte nicht nur Praxen und...