Ein großer Teil der Kreditaufnahme zur Finanzierung von Aktienkäufen - auch Hebelung oder Margin Debt genannt - findet im Verborgenen statt, nämlich auf bei institutionellen Investoren wie Banken und Hedgefonds. In der Regel erfährt die Öffentlichkeit erst in Nachhinein von großen Trades mit Hebelwirkung, wenn diese im großen Stil fehlschlagen.
So hat DWN-Autor Ernst Wolff im Frühjahr über den Fall Archegos berichtet. Der spektakuläre Crash des Hedgefonds war die Folge starker gehebelter Wetten. Archegos hatte sich von mehreren Großbanken hohe Geldsummen geliehen hatte, um auf Aktien des Konzerns ViaComCBS zu wetten. Infolge der Hebelung reichte ein größerer Kurssturz bei ViaComCBS, um den Hedgefonds in die Knie zu zwingen.
Doch auch wenn die Kreditaufnahme zur Finanzierung von Aktienkäufen in der Regel im Verborgenen stattfindet, so existieren doch recht aussagekräftige Daten. Jeden Monat veröffentlicht die US-Wertpapieraufsicht FINRA die Höhe der Margin-Schulden der Makler. Und demnach sind Margin-Schulden am Aktienmarkt im Oktober auf ein neues Allzeithoch von 936 Milliarden Dollar angestiegen.
Allein gegenüber dem Vormonat September ist der Umfang der Kredite zur Finanzierung von Aktienkäufen um 33 Milliarden Dollar angestiegen, wie der Analyst Wolf Richter auf dem Finanzblog WOLF STREET berichtet. Im Vergleich zum Vorjahresmonat beträgt der Anstieg sogar rund 277 Milliarden Dollar. Die Margenverschuldung ist im Jahresvergleich um 42 Prozent und innerhalb der letzten zwei Jahre um 66 Prozent gestiegen.
In Anbetracht der Tatsache, dass der Dollar im Verlauf der letzten 20 Jahre stark an Wert verloren hat, ist in der Grafik oben nicht der absolute Anstieg der Dollarbeträge von Bedeutung, sondern der steile Anstieg der Margenverschuldung vor den Börsencrashs der Jahre 2000 und 2007 - und der aktuelle starke Anstieg seit dem Markteinbruch im März 2020.
Drohender Crash wegen Margin Calls
Wolf Richter weist darauf hin, dass die hohe Verschuldung am Aktienmarkt keinen Hinweis darauf gibt, wann der Markt möglicherweise einbrechen wird. "Sie sagt jedoch voraus, dass es, wenn der Markt stark genug fällt, zu massiven Zwangsverkäufen kommen wird, da Nachschussforderungen gestellt werden und fremdfinanzierte Anleger Aktien verkaufen müssen, um ihre Nachschussforderungen zu begleichen."
Diese Notverkäufe drücken in der Folge die Aktienkurse weiter nach unten, was wiederum weitere Zwangsverkäufe auslöst. Es kommt zum Teufelskreis. "Das ist der Grund, warum Leverage ein Risiko für die Finanzstabilität darstellt. Und deshalb spricht die Fed in ihren Berichten zur Finanzstabilität immer wieder über Leverage", schreibt Richter.
Für viele Investoren machen die anhaltend niedrigen Zinsen den Aktienkauf auf Pump weiterhin attraktiv. Die Politik der Federal Reserve ist somit entscheidend mitverantwortlich für die Entwicklung. "Margin Debt ist der große Beschleuniger auf dem Weg nach oben, da geliehenes Geld auf den Markt kommt und neuen Kaufdruck erzeugt", so Richter.
Umgedreht ist ein hoher Verschuldungsgrad an den Aktienmärkten eine der Voraussetzungen für einen massiven Ausverkauf an den Börsen. Ohne eine hohe Verschuldung ist ein massiver Ausverkauf kaum möglich. Denn die Investoren werden dann nicht durch fallende Kurse zum Verkauf gezwungen, sondern können die Verkäufe beenden, wenn der Preis weit genug gefallen ist.
Hohe Risikobereitschaft wird zum Problem
In ihrem letzten Finanzstabilitätsbericht warnt die Fed vor einer hohen Hebelwirkung insbesondere bei jungen Aktienanlegern. "Der durchschnittliche Verschuldungsgrad jüngerer Privatanleger ist mehr als doppelt so hoch wie der aller Anleger, wodurch diese Anleger potenziell anfälliger für starke Schwankungen der Aktienkurse sind, da sie eine größere Schuldendienstlast haben", heißt es.
"Darüber hinaus wird diese Anfälligkeit noch verstärkt, da die Anleger jetzt zunehmend Optionen einsetzen, die oft die Hebelwirkung erhöhen und Verluste verstärken können", so die Fed. Optionen sind Finanzprodukte, mit denen sich der Käufer die Möglichkeit sichert, ein Finanzprodukt zu einem bestimmten Zeitpunkt und zu einem festgelegten Preis zu kaufen. Bei Kursanstiegen macht der Anleger dabei Gewinn.
Eine hohe Hebelwirkung ist ein Zeichen für eine hohe und wachsende "Risikobereitschaft", wie die Fed es nennt. Und was die Risikobereitschaft dieser Anleger und ihr Vertrauen in die sozialen Medien angeht, so warnt der Bericht: "Ein potenziell destabilisierendes Ergebnis könnte sich ergeben, wenn die erhöhte Risikobereitschaft der Kleinanleger rasch auf ein moderateres Niveau zurückgeht", so die Fed.