Finanzen

Der Fall Archegos – ein kurzer Blick auf die Spitze des Eisbergs im Billionen-Casino namens Finanzsystem

Lesezeit: 5 min
03.04.2021 08:40  Aktualisiert: 03.04.2021 08:40
Der spektakuläre Crash des Hedgefonds Archegos erschüttert derzeit mehrere Großbanken. Es sind Episoden wie der Archegos-Fall, die einen kurzen Einblick in die Abläufe im gigantischen Casino namens Finanzsystem erlauben.
Der Fall Archegos – ein kurzer Blick auf die Spitze des Eisbergs im Billionen-Casino namens Finanzsystem
Ein Roulette-Tisch. (Foto: dpa)

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In New York ist in der vergangenen Woche der Hedgefonds Archegos Capital Management kollabiert. Obwohl er auch Insidern bisher weitgehend unbekannt war, hat sein Zusammenbruch ein Erdbeben im Finanzsektor ausgelöst. Bisheriger Höhepunkt war ein Krisentreffen der US-Aufsichtsbehörde Securities and Exchange Commission (SEC) mit Vertretern führender Investmentbanken am Montag.

Archegos war am Freitag vergangener Woche zum Ziel eines „Margin Calls“ mehrerer Großbanken geworden. Ein Margin Call erfolgt, wenn Gläubiger das Vertrauen in ihre Schuldner verlieren und von ihnen umgehende Sicherheiten verlangen.

Ursache für den Vertrauensverlust war ein Kurssturz der Aktien des Konzerns ViaComCBS, auf den Archegos hohe Wetten abgeschlossen und diese extrem hoch „gehebelt“ hatte. „Hebelung“ bedeutet in diesem Zusammenhang nichts anderes als dass Archegos sich von mehreren Großbanken Geld geliehen hatte, um seinen Wetteinsatz zu erhöhen.

Wie inzwischen bekannt geworden ist, sind die Wall-Street-Giganten Morgan Stanley, Goldman Sachs, die beiden größten Schweizer Banken UBS und Credit Suisse sowie der japanische Finanzkonzern Nomura als Archegos‘ Kreditgeber durch die Pleite in Mitleidenschaft gezogen worden.

Da Morgan Stanley und Goldman Sachs als erste auf die drohende Insolvenz reagiert haben, sind sie offensichtlich glimpflicher davongekommen als ihre internationalen Konkurrenten. Die höchsten Verluste tragen nach bisherigen Informationen Credit Suisse mit geschätzten vier bis fünf Milliarden US-Dollar und Nomura mit bestätigten zwei Milliarden Dollar.

Wer steht hinter Archegos?

Archegos gilt als „Family Office“, also als private Vermögensverwaltung des 56jährigen US-Amerikaners Bill Hwang, einer der schillerndsten Figuren der internationalen Finanzwelt. Der als Sohn eines Priesters in Korea geborene und als Kind in die USA eingewanderte Hwang begann seine Karriere in den frühen 1990er Jahren als Aktienverkäufer für Hyundai Securities.

Von 1996 bis 2000 arbeitete Hwang für die Firma „Tiger Management“ des legendären US-Investors Julian Robertson, der durch Wetten am Derivatemarkt Milliarden einnahm. 2001 machte sich Hwang mit seinem eigenen Hedgefonds „Tiger Asia Management“ selbständig, mit dem er bis 2007 insgesamt acht Milliarden Dollar verdiente.

Innerhalb der folgenden fünf Jahre wuchs sein Vermögen auf geschätzte 12 Milliarden Dollar an. 2012 jedoch musste Hwang seinen Hedgefonds schließen, nachdem die Aufsichtsbehörden in Hongkong und den USA ihn wegen Betruges und Insiderhandels ins Visier genommen und zu hohen Geldstrafen verurteilt hatten.

Die Zwangspause dauerte allerdings nicht lange. 2013 gründete Hwang den Hedgefonds Archegos (griechisch für: „Der, der den Weg anführt“) Capital Management. Zwar verweigerten zahlreiche Großbanken ihm wegen seiner Vorstrafen zunächst die Zusammenarbeit, doch das störte ihn wenig. Durch erfolgreiche Wetten im Derivatebereich erwarb er sich schnell einen Ruf als hochkarätiger Spekulant und ließ die Vorbehalte der Banken, die gern an seinen Einnahmen teilhaben wollten, schon bald dahinschmelzen.

Auch in Fragen der Steuervermeidung gilt Hwang, der sich auf Grund seiner evangelikalen Einstellung als „Werkzeug Gottes“ versteht, als Meister. Er hat eine eigene Stiftung mit dem Namen „The Grace and Mercy Foundation“ („Gnade-und-Barmherzigkeit-Stiftung“) gegründet, deren Vermögen 2018 mit 500 Millionen Dollar angegeben wurde und die ihm hilft, bei kurzfristigen Aktienverkäufen die US-Kapitalertragssteuer von immerhin 37 Prozent zu umgehen.

Das Derivate-Casino: CFDs – Roulettespiel an den Finanzmärkten

Archegos hat sich in den vergangenen Jahren fast ausschließlich im Derivate-Bereich engagiert. Derivate sind nichts anderes als Wetten auf steigende oder fallende Kurse, Preise oder Zinssätze. Mit Derivaten lässt sich in kurzer Zeit sehr viel Geld verdienen, im Falle von Fehlspekulationen allerdings auch extrem viel Geld verlieren.

Der Bereich der Derivate ist in unserer Zeit der mit Abstand größte Sektor im Finanzwesen. Sein Umfang wird von Insidern auf mehr als eine Billiarde Dollar geschätzt, kann allerdings nicht genau beziffert werden, da ein großer Teil des Derivatehandels aus sogenannten OTC-Geschäften besteht. (OTC = over the Counter, zu deutsch: über den Tresen). Dieser außerbörsliche Handel wird kaum kontrolliert und ist daher weitgehend intransparent.

In genau dieser Grauzone hat sich Archegos Capital Management, das als Familiy Office nicht bei der US-Börsenaufsicht registriert sein muss und daher nicht beaufsichtigt wird, bewegt und sich dabei auf besonders riskante Geschäfte spezialisiert. Eines der beliebtesten Instrumente waren dabei Wetten im Bereich von CFDs (Contracts For Difference, zu deutsch: Differenzkontrakte).

CFDs wurden in den 1980er Jahren von der Schweizer Großbank UBS entwickelt, um britische Steuern zu umgehen. Bei ihnen handelt es sich unter anderem um Wetten auf Kursänderungen von Aktien, für die der Spekulant kein Geld bezahlen, sondern nur Sicherheiten bei den finanzierenden Banken hinterlegen muss. Falls sich die Kurse in die falsche Richtung bewegen, haben die Banken das Recht, auf diese Sicherheiten zuzugreifen.

Genau das ist im Fall Archegos Capital Management passiert, und das mit gewaltigen Folgen. Nachdem die kreditgebenden Banken ihren Margin Call platziert hatten und Archegos ihren Forderungen nicht nachkommen konnte, zwangen die Banken den Fonds, Aktien im Wert von weit über 20 Milliarden Dollar zu veräußern.

Weil es sich bei Archegos um einen geschlossenen Fonds handelt, der nur mit Hwangs Geld und dem seiner kreditgebenden Banken, den sogenannten „Prime Brokers“, handelt, ist bisher nicht klar, ob die gemeldeten Verluste nicht möglicherweise noch höher ausfallen als bisher bekannt. Zudem weiß man nicht, ob andere Finanzinstitute in letzter Minute noch auf den Fall des Hedgefonds gewettet und dabei hohe Summen eingesetzt haben, die die Gegenparteien in Schwierigkeiten bringen könnten. Es ist also gut möglich, dass die Affäre sich in den kommenden Tagen und Wochen noch weiter zuspitzt.

Die Archegos-Pleite erinnert an Long Term Capital Management

Die Vorgänge um Hwangs Hedgefonds erinnern stark an den Fall des US-Hedgefonds Long Term Capital Management (LTCM), der 1998 in Schieflage geraten war.

Als bekannt wurde, dass LTCM sich im Devisenhandel verspekuliert und riesige Verluste eingefahren hatte, waren damals kurzfristig zahlreiche Wetten auf seinen Bankrott abgeschlossen worden, deren Auszahlung mehrere Großbanken der Wall Street insgesamt etwa eine Billion Dollar gekostet und das globale Finanzsystem möglicherweise zum Einsturz gebracht hätten. Die Banken retteten sich damals, indem sie den Hedgefonds für ca. vier Milliarden Dollar aufkauften und ihn so am Leben erhielten.

Die Vorgänge um die aktuelle Pleite zeigen deutlich, dass die Risiken, die damals bereits klar zutage getreten sind, keinesfalls geringer, sondern im Gegenteil erheblich größer geworden sind. Dass es allerdings zum gefürchteten „Domino-Effekt“ kommen könnte, ist dennoch eher unwahrscheinlich.

Wie wir spätestens seit der Krise am US-Repomarkt im September 2019 wissen, steht die US-Zentralbank FED inzwischen rund um die Uhr bereit, jede erforderliche Geldsumme zur Verfügung zu stellen, wenn es darum geht, das bestehende Finanzsystem am Leben zu erhalten und die Öffentlichkeit gleichzeitig über die ausgezahlten Summen und deren Empfänger im Dunkeln zu belassen. Beraten wird die FED dabei vom größten Vermögensverwalter der Erde, BlackRock, einem der Großaktionäre von Credit Suisse und Nomura.

Der Fall Archegos verdeutlicht einmal mehr den Ehrenkodex der Großbanken, die kein Problem damit haben, einem vorbestraften Kriminellen Geld zur Verfügung zu stellen, wenn er ihnen nur dabei hilft, es substantiell zu vermehren.

Wie weit sich die Akteure in diesem Spekulations-Karussell inzwischen vom realen Leben entfernt haben, kam in einer Erklärung aus dem Umfeld der ebenfalls betroffenen größten Schweizer Bank UBS zum Ausdruck, in der es beschwichtigend hieß, es handle sich nur um „moderate Verluste im dreistelligen Millionenbereich“.

                                                                            ***

Ernst Wolff, 69, befasst sich mit der Wechselbeziehung zwischen internationaler Politik und globaler Finanzwirtschaft.


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