Finanzen

Explosion der Zombie-Firmen führt unvermeidlich in neue Finanzkrise

Lesezeit: 4 min
03.12.2021 10:01  Aktualisiert: 03.12.2021 10:01
Noch nie war die Welt so schlecht auf einen Zinsanstieg vorbereitet wie aktuell. Eine neue Finanzkrise scheint unvermeidlich.
Explosion der Zombie-Firmen führt unvermeidlich in neue Finanzkrise
Fed-Chef Jerome Powell bemüht sich, eine neue Finanzkrise hinauszuzögern. (Foto: dpa)
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Wenn die Federal Reserve die Zinssätze wieder erhöht, könnte dies eine neue Finanzkrise auslösen. Dass die Gefahr real ist, zeigt sich deutlich etwa darin, dass die US-Notenbank seit Jahren äußerst vorsichtig ist, wenn sie sich öffentlich darüber äußert, ob, wann und wie schnell sie die Zinsen möglicherweise wieder erhöhen will. Sie will die Märkte nicht verschrecken, die vom scheinbar unaufhörlich fließenden billigen Geld abhängig sind.

Die Frage ist derzeit also sicherlich nicht, ob eine Zinserhöhung ein erhebliches Risiko darstellt, sondern wie groß das Risiko tatsächlich ist. Und einiges spricht dafür, dass es tatsächlich sehr groß ist. Der Analyst Lance Roberts weist etwa darauf hin, "dass das gesamte Finanzökosystem stärker als jemals zuvor gehebelt ist". So hat etwa der Aktienkauf auf Pump bei Kleinanlegern gerade ein neues Rekordhoch erreicht.

Vor diesem Hintergrund sieht Roberts das entscheidende Risiko derzeit in einem Phänomen, dass er die "Instabilität der Stabilität" nennt. Seiner Ansicht nach ist die Federal Reserve von der Annahme abhängig, dass die Marktteilnehmer rational agieren. Doch gerade wenn die Zinsen beginnen zu steigen sei dies historisch in der Regel nicht der Fall gewesen. Unweigerlich habe jemand "den großen roten Knopf gedrückt", so Roberts.

Nach mehr als zwölf Jahren des extremer geldpolitischer Programme versuche die Federal Reserve, die wachsenden systemischen Risiken in den Griff zu bekommen. Doch dies gestaltet sich zunehmend schwierig, da es heute nicht nur in einem Bereich, sondern in praktisch allen Bereichen des Marktes und der Wirtschaft Übertreibungen gebe.

Roberts erinnert darin, dass es in den frühen 70er Jahren Übertreibungen bei "Nifty Fifty"-Aktien gab, dann ein paar Jahre später bei mexikanischen und argentinischen Anleihen, dann Mitte der 80er Jahre bei "Portfolio-Versicherungen", dann im Jahr 1999 bei allem was mit "Dot.com" zu tun hatte. Der Immobilienmarkt sei etwa jedes zweite Jahrzehnt in einer Blase gewesen, vor allem aber im Jahr 2007.

Doch derzeit gibt es Roberts zufolge überall Übertreibungen: etwa bei Immobilien, bei FANG-NATM-Aktien (Facebook, Apple, Netflix, Google, Nvidia, Amazon, Tesla und Microsoft), bei Elektroautos (Tesla ist über 1 Billion Dollar wert), bei Unternehmensanleihen, bei Krediten, bei Private Equity, bei SPACs, bei Börsengängen, bei Meme-Aktien, bei Optionsspekulation.

Um an den Finanzmärkten investieren zu können, braucht man verfügbares Einkommen verfügen, das man investieren kann. Doch auch wenn die Fed die größte Finanzblase der Geschichte geschaffen hat, so steigerte sie mit ihren massiven Eingriffen doch weder Wirtschaftswachstum noch Wohlstand. Daher besitzen die obersten 10 Prozent der Einkommensbezieher etwa 90 Prozent des Finanzmarktvermögens.

Nach mehr als einem Jahrzehnt ultra-lockerer Geldpolitik ist die Risikobereitschaft in die Höhe geschossen, da die Marktteilnehmer nach Ansicht von Roberts zu der Überzeugung gelangt sind, dass es dank der Fed gar kein Risiko mehr gibt. In der Folge haben Anleger keinen Grund mehr gesehen, warum sie nicht immer noch mehr Risiko eingehen sollten. Und genau das haben sie dann auch getan.

In seinem berühmtem Buch "A Margin Of Safety" beschreibt Seth Klarman die Anleihenmanie der 1980er Jahre, bevor sie implodierte. Damals gaben viele Unternehmen Anleihen aus, obwohl sie sich die Zinszahlungen nicht leisten konnten. Heute spricht man von "Zombie-Unternehmen", die sich nur noch mithilfe von billigen Schulden am Leben erhalten. Die Marktkapitalisierung dieser "Zombies" steht derzeit auf einem Rekordniveau.

"Derzeit ist die Welt von finanzieller Alchemie überschwemmt. Derzeit gibt es eine Rekordzahl von Unternehmen, die nicht in der Lage sind, ihre Zinskosten aus den Gewinnen zu decken", so Kailash Concepts. Doch was passiert, wenn die Zombie-Unternehmen ihre Schulden nicht mehr refinanzieren können? Kailash Concepts analysiert die Lage so:

"Seit 2007 hat sich ein großer Teil der amerikanischen Schuldenkrise vom Finanzsektor auf zu hoch verschuldete Nicht-Finanzwerte verlagert. Wir glauben, dass die Mischung aus Rekordverschuldung und Rekordaktienbewertungen wahrscheinlich ein Nebeneffekt der realen Zinssätze ist, die sich den niedrigsten Werten seit 1973 nähern. Unabhängig davon, ob wir mit der Kausalität richtig oder falsch liegen, sind die Fakten unserer Meinung nach erschreckend.

Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Welt noch nie so schlecht vorbereitet oder ausgerüstet war, um mit einem möglichen Ausbruch der Inflation oder einem Rückzug der US-Notenbank umzugehen."

Es handelt sich jedoch nicht nur um eine Blase bei der Verschuldung von Unternehmen. Es handelt sich wie bereits erwähnt auch um eine Blase bei der Verschuldung der Anleger, die sich verschulden, um in die überbewerteten Finanzmärkte investieren zu können. Doch so wie Margin Debt jetzt die Hausse anheizt, so wird sie den kommenden Bärenmarkt im gleichen Umfang beschleunigen.

"Wenn die Zinssätze steigen, können sich die Wirtschaft und die Märkte (aufgrund der laufenden Dynamik) kurzfristig den Gesetzen der finanziellen Schwerkraft widersetzen", schreibt Roberts. "Die steigenden Zinssätze wirken jedoch als 'Bremse' für die Wirtschaftstätigkeit, da sich die Zinssätze NEGATIV auf eine stark fremdfinanzierte Wirtschaft auswirken."

Warum steigende Zinssätze die Wirtschaft bremsen, fasst Roberts stichpunktartig so zusammen:

  • Die Zinsen erhöhen den Schuldendienst und verringern künftige produktive Investitionen.
  • Der Wohnungsbau verlangsamt sich.
  • Höhere Kreditkosten führen zu geringeren Gewinnspannen.
  • Die massiven Derivat- und Kreditmärkte werden in Mitleidenschaft gezogen.
  • Die variablen Zinszahlungen für Kreditkarten und Eigenheimkredite steigen.
  • Steigende Zahlungsausfälle beim Schuldendienst werden sich negativ auf die Banken auswirken.
  • Viele Aktienrückkaufpläne und Dividendenausschüttungen von Unternehmen werden durch den Einsatz billiger Kredite realisiert.

"Am wichtigsten ist, dass in den letzten zehn Jahren das Hauptargument für überhöhte Aktienkurse darin bestand, dass niedrige Zinsen die hohen Bewertungen rechtfertigen", so Roberts. Angesichts der steigenden Inflation, die die Gewinnspannen schrumpfen lässt, und der bevorstehenden Zinserhöhung durch die US-Notenbank seien die Bewertungen jedoch wahrscheinlich ein größeres Problem, als die meisten vermuten.

Auch der einflussreiche Investment-Manager Mohammed El-Erian sagte kürzlich in einem Interview: "Die Anleger sollten das Risiko eines abrupten Wechsels von einer relativen zu einer absoluten Bewertung im Auge behalten. Wenn das passiert, sollte man aufhören, sich über seine Rendite Gedanken zu machen, und anfangen, sich über den Erhalt seines Kapitals Gedanken zu machen."


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