Politik

Kalter Krieg oder friedliche Partnerschaft: Der Westen hat die Wahl

Lesezeit: 11 min
09.01.2022 15:16  Aktualisiert: 09.01.2022 15:16
Der Westen besetzte China und demütigte die große Kulturnation auf entsetzliche Weise. Rüdiger Tessmann vertritt die Meinung, dass Europa und die USA gegenüber dem Reich der Mitte immer noch imperialistisch auftreten und den Anspruch haben, es zu belehren. Doch das muss sich die Volksrepublik nicht länger gefallen lassen. Ein meinungsstarker Artikel unseres Autors, der Anlass zu lebhaften Diskussionen geben wird.
Kalter Krieg oder friedliche Partnerschaft: Der Westen hat die Wahl
Touristen posieren für Fotos bei der 33. Harbin Sun Island International Snow Sculpture Art Ausstellung. (Foto: dpa)

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Ein fremdes, großes Land

China ist uns Europäern fremd und fern. Kürzlich las ich von einem polnischen Bankier, der in den USA zu Vermögen gekommen war und im Pensionsalter in seiner Wahlheimat blieb.

Sein Sohn war als Banker ebenfalls erfolgreich, und zwar in China. Er sagte allerdings, er werde im Alter in die USA zurückkehren. Ein Pole könne - so meinte er - ohne Schwierigkeiten Amerikaner werden, aber er werde, selbst nach vielen Jahren erfolgreichen Arbeitens im Reich der Mitte, nie ein Chinese werden.

Häufig öffnet uns die Musik eines anderen Volkes die Seele, gibt uns die Möglichkeit, das fremde Volk zu verstehen. Aber ein Europäer, der an Verdi-Arien gewöhnt ist, wird sich beim Hören einer chinesischen Oper eher Ohrenstöpsel wünschen.

Meine erste Begegnung mit der chinesischen Welt war das Kinderlied von den drei Chinesen mit dem Kontrabass. Man sang es mit verfremdeten Vokalen, und das „Dri Chinisen mit dem Kintribis“ symbolisierte, wie unendlich fremd uns das Chinesische sein müsse.

In einem meiner Schulbücher sah ich das Bild eines abgemagerten chinesischen Kulis, der eine Rikscha durch die schmutzigen Straßen von Schanghai zieht, auf dem ein wohlgenährter Europäer mit Hut und Zigarre sitzt.

Aus den 50er Jahren erinnere ich mich an den amerikanischen Spielfilm „Susi Wong“, der in einer chinesischen Stadt spielt, in der es nur so wimmelt von amerikanischen Matrosen, die als Besatzungssoldaten Liebschaften mit hübschen jungen Chinesinnen unterhalten. Susi Wong muss als Mätresse Geld verdienen, um ihren kleinen Sohn zu ernähren. Ein Gefühl für die tiefe Demütigung eines großen und einstmals stolzen Kulturvolkes kam bei den europäischen Kinobesuchern nicht auf – sie empfanden den Film einfach nur als süß.

Nach dem Sieg der Bauernarmee Mao Zedongs über die von den USA ausgerüstete und bewaffnete Armee von Tschiang Kai-schek lag China am Boden, und wir sahen Chinesen in Einheitskleidung, die in Reih und Glied stehend Lobeshymnen auf den Großen Führer sangen.

Wer mit der großen Kulturgeschichte Chinas vor dem Jahr 1800, das heißt vor der Kolonialzeit, nicht vertraut war, konnte sich nicht vorstellen, dass das chinesische Volk irgendwann einmal wieder eine wichtige Rolle in der Weltpolitik spielen könne. Mao Zedong hatte das in seiner „Mao-Bibel“, dem kleinen roten Büchlein, das von den 68er-Studenten begeistert geschwenkt wurde, zwar vorausgesagt, aber außer den Studenten las das Werk kaum jemand, man hielt es für „die übliche“ kommunistische Propaganda.

Heute jedoch sehen wir ein mächtiges China unter der Führung von Xi Jinping, ein Land, das aufgrund der Erfolge seines Milliardenvolkes sowohl wirtschaftlich als auch militärisch mit den USA gleichzieht. Der Westen, das heißt die USA und ihre europäischen Verbündeten, tun alles daran, in ihren Medien die „westlichen Werte“ hervorzuheben, um ihre – angebliche – Überlegenheit gegenüber einer autoritären Herrschaft, gegenüber einer kommunistischen Diktatur deutlich zu machen. Es ist die Frage, inwiefern die Völker der aufstrebenden Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika sich dieser Ansicht anschließen.

Ich habe mich lange Zeit intensiv mit der Kulturgeschichte sowie der politischen und wirtschaftlichen Tradition Chinas befasst und fühle mich deshalb bemüßigt, dem Leser davon eine so kurz wie möglich gehaltene Zusammenfassung vorzustellen. Auch nach ausführlicher Kenntnisnahme des chinesischen Kulturweges wird der europäische Leser sicher nicht den Wunsch verspüren, nach Ostasien aufzubrechen, um Chinese zu werden. Das Ferne und Fremde wird bleiben, aber er wird vielleicht einen hohen Respekt vor den kulturellen und technischen Leistungen des chinesischen Volkes in den letzten 2000 Jahren verspüren.

Und das ist das eigentlich Wichtige im friedlichen Zusammenleben der Völker: Respekt vor anderen Kulturen zu zeigen, anstatt Kulturwelten, die man nicht kennt und nicht versteht, belehren und korrigieren zu wollen.

Eine einzigartige Kultur

Die archäologisch belegte Geschichte Chinas beginnt 1766 v. Chr. mit der Shang-Dynastie, aus der wir Schriftzeichen und kunstvolle Bronzegefäße kennen. Die nachfolgende Zhou-Dynastie zerfiel ab 1045 v. Chr. durch die Eigenmächtigkeit ihrer Fürsten, und es begann ab 500 v. Chr. die wichtige Phase der „Streitenden Reiche“ und der „Wandernden Philosophen“, zu denen vor allem Konfuzius, Han Fei und Laotse gehören, deren Denken in der Welt bis zum heutigen Tag eine bedeutende Rolle spielt.

Konfuzius ist der Begründer des chinesischen Humanismus. Sein Anliegen ist die Förderung des Edlen im Menschen durch ständiges Lernen und durch Selbstdisziplin. Dazu gehört Respekt vor den Eltern und den Vorgesetzten, die sich aber auch ihrer hohen Verantwortung für gesellschaftliche Harmonie bewusst sein müssen. In Bezug auf die politische Führung sagt er:

„Regiert ihr durch Gesetz, Befehl und Strafen, wird das Volk lernen zu gehorchen, ohne den Sinn des Schamgefühls zu kennen. Regiert ihr entsprechend der Tugend, dann schafft ihr Harmonie mit den Traditionen, und das Volk wird verstehen, was Schamgefühl ist, und es wird spontan zum Guten tendieren.“

Das krasse Gegenteil ist die Denkweise des Han Fei, des wohl wichtigsten Vertreters der Schule der Legalisten. Nach seiner Vorstellung ist das moralische Empfinden der Menschen für die Staatsführung vollkommen irrelevant. Der Staat muss einen Kodex mit klaren Verhaltensregeln schaffen, die drastische Strafen für Zuwiderhandlungen vorsehen.

Laotse ist der Begründer des Daoismus, einer Lehre von der Harmonie zwischen dem Menschen und der ihn umgebenden Natur. Durch sein Handeln könne der Mensch die Natur zerstören. Nichthandeln ist dagegen häufig mit Weisheit gleichzusetzen. Neben dem Sein ist auch das Nicht-Sein, das heißt die absolute Leere, ein wichtiger Bestandteil unserer Welt. Von Laotse ist das kleine Buch mit dem Titel „Daodejing“ überliefert, das in kurzen Absätzen die Philosophie des Daoismus erklärt. So wie das Wasser den Stein höhlt, so kann das Weiche über das Harte und das Schwache über das Starke siegen. Wir Europäer haben daraus die Erkenntnis gewonnen, dass auch aus der Ruhe Kraft kommen kann. Der Mensch ist nicht der Herr, sondern nur ein kleiner Teil der Natur, die er nicht zerstören sollte.

Urprinzipien der Welt und des Lebens sind das „Männliche“ und das „Weibliche“, dargestellt in der Figur der verschlungenen Fische Yin und Yang.

Der erste Kaiser von China, Ying Zheng, regierte nur kurze Zeit, und zwar von 221 bis 207 v. Chr. Er war ein Tyrann - hinterließ jedoch auch eine gewaltige Spur, ein gewaltiges Werk. So ließ er Straßen von Korea bis Vietnam bauen sowie Kanäle zwischen den großen Flüssen Chinas ziehen. Darüber hinaus vereinheitlichte er die Schrift sowie die Hohl- und Längenmaße und reformierte das Militärwesen. Sein riesiges unterirdisches Grab mit der eindrucksvollen Terrakotta-Armee ist bis heute Touristenattraktion.

Für Ying Zheng was das Volk ein Heer von Sklaven zur Realisierung seiner Ideen. Deshalb wurde sein Sohn und Nachfolger sehr bald vertrieben. Mao liebte es übrigens, sich mit dem Despoten zu identifizieren.

Die Han-Dynastie wurde von einem Bauernsohn mit dem Namen Liu Bang gegründet und dauerte von 206 v. Chr. bis 220 n. Chr. In dieser Zeit, die etwa der des Römischen Imperiums entspricht, entwickelte sich China zu erstaunlicher Modernität. Nach einer Volkszählung wurde ein funktionierendes System der Steuererhebung möglich. Auch existierte ein schnelles Nachrichtensystem für das riesige Gebiet des Reiches.

Der Kaiser unterhielt einen Stab aus Beamten, die sowohl geschulte Fachleute, aber auch kulturell bewandert sein mussten. Der Adel wurde dadurch aus dem Staatswesen ausgeschaltet und entmachtet.

Die Industrie stellte unter anderem Seide und Brokat her. Die Stahlproduktion erfolgte in einer Vorform des Siemens-Martin-Verfahrens mit Steinkohle-Heizung und Belüftung durch wassergetriebene Kolbendruckpumpen. Militärisch expandierte das Reich, und über die Seidenstraße gewann es Anschluss an das Persische und an das Römische Reich.

Es entwickelte sich eine Prosa-Literatur mit anspruchsvollen unterhaltsamen Erzählungen.

Durch den Aufstand einer Sekte namens „Gelbe Turbane“ wurde die Han-Dynastie schließlich gewaltsam beendet. Es begann das chinesische Mittelalter mit Eintritt des Buddhismus aus Indien.

Die Tang-Dynastie (618 bis 907 n. Chr.) brachte mit Li Bo und Du Fu berühmte Dichter hervor. Durch den Buchdruck erfolgte eine rasche Verbreitung literarischer Werke.

In der Song-Dynastie (960 bis 1234) war die Entwicklung der Tuschmalerei ein hervorstechendes Merkmal der künstlerischen Entwicklung. Die Maltechnik mit Pinsel auf Seide oder Papier erforderte ein meditatives Seelentraining, denn ein Strich konnte nur einmal

gemacht werden - verlief die Tusche anders als geplant, war das Bild verdorben. In einem Zitat heißt es: „Berge und Ströme haben ihre Seele in den Menschen gelegt. Der Maler hat sie verinnerlicht und schafft sie durch die Pinselführung neu.“

Die Ming-Dynastie (1368 bis 1644) ist charakterisiert durch die berühmten Porzellan-Vasen, die in großen Schiffsladungen exportiert wurden. Die kaiserliche Macht verfiel am Ende durch Dekadenz.

Das Volk der Mandschu (auch Mandschuren genannt) aus dem Nordosten Chinas eroberte 1644 das chinesische Reich und beherrschte es bis zur Kolonialisierung durch die Engländer, die rund 200 Jahre später begann. Die Mandschu-Dynastie (auch Qing- oder Chìng-Dynastie genannt) bestand formal bis in das Jahr 1911, jedoch waren die letzten Kaiser nur noch Marionetten der Kolonialmächte.

Das 18. Jahrhundert war eine Epoche höchster kultureller Blüte Chinas. In Europa war es die Zeit der Aufklärung. Durch Jesuiten, die als Missionare ins Land kamen und zusammen mit chinesischen Intellektuellen am Kaiserhof tätig waren, erfolgte ein gegenseitig befruchtender Austausch der philosophischen, wissenschaftlichen und mathematischen Ideen und Erkenntnisse.

Die europäischen Intellektuellen wie Leibnitz, Diderot und Voltaire, bewunderten die Schriften aus China in hohem Maße. Die Tatsache, dass sich dort eine hohe Kultur entwickelt hatte, ohne die Offenbarungs-Religion eines Gottes und ohne Dogmen des Klerus´, die das Denken einschränken, wirkte auf die Philosophen der Aufklärung vorbildlich.

Chinesische Romane kamen nach Europa. Als Goethe einen solchen las und sein Sekretär Eckermann ihn darauf ansprach, antwortete er: „Die Chinesen schrieben solche Romane schon, als unsere Vorfahren noch in den Wäldern lebten.“

Chinesische Architektur wurde zur Mode in Europa, und chinesische Produkte aus Seide und Porzellan waren begehrte Artikel.

Es soll an dieser Stelle hervorgehoben werden, dass das gebildete Europa in dieser Epoche der Aufklärung höchsten Respekt vor den geistigen und technischen Leistungen Chinas hatte.

Ein tiefer Fall – ein glorreicher Aufstieg

Das änderte sich vollkommen im 19. Jahrhundert, das für China das Jahrhundert der Demütigung werden sollte. Das Reich der Mitte wurde zur Beute der europäischen Kolonialmächte, deren Vertreter auf die Chinesen verachtungsvoll herabblickten. Die einzige Funktion, welche die Einheimischen in den Augen ihrer neuen Herren hatten, war die, als Diener zu fungieren. Schließlich begann Großbritannien, in großem Stil Opium aus Indien einzuführen und die Chinesen zu zwingen, das Rauschgift als Zahlungsmittel für kostbare chinesische Waren anzuerkennen. Als der chinesische Kaiser dies ablehnte, weil es sein Volk krank und elend machte, kam es zu zwei Opium-Kriegen, die China beide verlor, was in die völlige Abhängigkeit und in die politische, wirtschaftliche und vielerlei Hinsicht auch in die soziale Katastrophe führte.

Schließlich kam es zum sogenannten Boxeraufstand - der sich gegen den europäischen und japanischen Imperialismus richtete -, an dessen Niederschlagung auch deutsche Truppen beteiligt waren, die darüber hinaus auch an der Plünderung Pekings beteiligt waren. Anschließend wurde China durch Kriegsentschädigungsforderungen in unbezahlbarer Höhe vollständig in die Knie gezwungen.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde im Versailler Vertrag China japanisches Protektorat. Tibet fiel von China ab, und das Reich der Mitte begann, von Warlords beherrscht und ausgeplündert zu werden.

1919 kam es zu einer Massenveranstaltung auf dem Tian´anmen Platz (auch „Platz des Himmlischen Friedens“ genannt), welche als Geburt der Vierte-Mai-Bewegung angesehen werden kann. Ihre Idee war die Schaffung eines neuen Chinas. Im grausamen Chinesischen Bürgerkrieg – der von 1927 bis 1949 dauerte, wobei es in der Zeit der japanischen Besatzung von 1937-1945 ein Stillhalte-Abkommen gab -, wurde die Machtfrage entschieden. Und zwar schließlich zugunsten der Kommunisten unter Mao Zedong, obwohl sie keinerlei Unterstützung aus dem Ausland erhielten (Mao hatte sogar mit Stalin gebrochen). Die geschlagenen Nationalchinesen unter Tschiang Kai-schek flohen schließlich nach Taiwan, wo Tschiang Kai-schek zunächst als Diktator herrschte. Erst später entwickelte sich auf der Insel - unter amerikanischem Schutz - eine Demokratie nach westlichem Vorbild.

Nach seinem Sieg herrschte Mao über ein zerstörtes und gänzlich verarmtes Riesenreich, das - ohne fremde Hilfe - neu aufgebaut werden musste. Hierbei beging er mit seinen Ideen vom „Großen Sprung“ und der „Kulturrevolution“ schreckliche Fehler (die Schätzungen der Zahl der Toten, welche die beiden Maßnahmen kosteten, variieren zwischen 15 und 75 Millionen). Aber er gab dem von Kolonialismus und Imperialismus gedemütigten chinesischen Volk seine Selbständigkeit und seine nationale Würde wieder. Dafür wurde und wird er auch heute noch von einem großen Teil des Volkes verehrt.

Seine Nachfolger im Präsidentenamt schufen das System eines staatlich gelenkten Kapitalismus mit Marktöffnung zur übrigen Welt und erzielten damit erstaunliche Erfolge. Mao bezeichnete die von ihm geplante Staatsform als eine „Demokratische Diktatur des Volkes“, deren Führer die Kommunistische Partei ist.

Der von der Partei auf Lebenszeit gewählte Staatspräsident Xi Jinping hat eine Rolle eingenommen, die sehr an die Tradition der früheren Kaiserdynastien erinnert, die China nach katastrophalen Brüchen immer wieder zu Glanz und Erfolg geführt hatten. Mit einem fachlich geschulten Ministerrat kann er sowohl kurzfristige Pläne als auch auf lange Sicht geplante Großprojekte ohne Zeitverlust umsetzen.

Die großen Pläne hat Mao in seinem Werk „Worte des Vorsitzenden Mao Zedong“ („Mao-Bibel“) formuliert. Es heißt dort:

„Die Kommunistische Partei ist das Rückgrat des chinesischen Volkes und wird China industrialisieren und die Landwirtschaft modernisieren. Dazu gehören Fleiß und Genügsamkeit und Kampf gegen Verschwendung.

Wir müssen Überheblichkeit, Unbesonnenheit und Großmacht-Chauvinismus gründlich und restlos beseitigen. Die Funktionäre der Kommunistischen Partei müssen mit Leib und Seele dem Volk dienen. Entscheidend sind die richtigen Worte und die richtigen Taten. Wichtig ist, dazu beizutragen, das aus verschiedenen Nationalitäten bestehende Volk zu einigen und es nicht zu spalten.

Ein friedliches – aber wehrhaftes Land

Das Verhältnis zwischen China und dem Westen ist teilweise äußerst angespannt. Die Frage erhebt sich: Müssen wir Angst vor einem weiteren Erstarken Chinas haben? Und ich möchte noch eine weitere Frage stellen: Müssen wir China immer wieder zur Einhaltung der Menschenrechte ermahnen?

Meiner Auffassung nach liegen militärische Expansion und das Intervenieren in die Angelegenheiten anderer Staaten nicht in der Tradition chinesischer Politik. Darüber hinaus gab es in China nie eine Religion, die anderen Völkern aufgezwungen werden sollte. Wenn die Chinesen in der Welt auftraten, dann als Händler. Im 18. Jahrhundert waren ihre Waren aus Porzellan und Seide in Europa heiß begehrt. Vor Jahrzehnten begann das Reich der Mitte den Handel mit billiger Massenware, hat sich aber mittlerweile auf hochqualitative Technologie umgestellt.

Die oben zitierten Worte des Ersten Vorsitzenden Maos gelten auch in Zukunft als unumstößliche Grundsätze politischen Handelns der chinesischen Regierungen. Insofern halte ich Chinas Politik auch in Zukunft für berechenbar. Kriegerische Ambitionen Chinas gegenüber europäischen Staaten oder den USA sind nicht zu befürchten.

Der Grundsatz der Einheit des chinesischen Viel-Völker-Staates gilt als unumstößlich. Das heißt, Hongkong und Taiwan werden irgendwann wieder zu dem international als einzigen Staat anerkannten „China“ gehören, und die muslimische Region Xinjiang im Nordwesten sowie Tibet im Süden werden niemals von China abgespalten.

Es gilt auch der Grundsatz, dass das große China sich niemals vom Ausland moralisch belehren lassen wird. Die Pflichtübung vieler westlicher Politiker, die bei Chinabesuchen immer die Einhaltung der Menschenrechte anmahnen, laufen ins Leere. Es gehört zum Grundsatz der chinesischen Höflichkeit gegenüber Gästen, nicht zu kritisieren und zu belehren. Chinesische Diplomaten werden deshalb auch den Westen niemals darauf hinweisen, wo und wann er die Menschenrechte grob verletzt hat.

Mark Leonhard, Leiter der Denkfabrik des European Council on Foreign Relations schrieb in seinem Buch „Was denkt China“ (Sept. 2009), dass in westlichen Medien immer sehr aufgeregt darüber berichtet wird, wenn Oppositionelle in China gelegentlich für einige Zeit „verschwinden“. In China wird das anders gesehen. Staatskritische Intellektuelle erscheinen nach kurzer Zeit wieder in wichtiger Stellung im Staatswesen. So war es beispielsweise vor Kurzem mit dem Alibaba-Gründer Jack Ma.

Der absolutistische Führungsstil gibt Xi Jinping die Möglichkeit, einen harten Kurs gegen Korruption und Steuerflucht zu fahren und mit seinem Programm für „Verteilung des Wohlstandes“ eine extreme Schere zwischen Arm und Superreich zu vermeiden. Er muss dabei nicht einmal Angst vor Milliardären wie Jack Ma haben.

Auf Grund einer konfuzianischen Tradition ist der Respekt vor Eltern und Vorgesetzten und das Sich-Einfügen in die vorgegebene Ordnung in der chinesischen Mentalität höher angesiedelt als das eigenwillige Durchsetzen individueller vermeintlicher Freiheitsrechte des Einzelnen, wie wir es zurzeit in Europa bei den Demonstrationen der Impfgegner sehen.

Wenn die USA mit Hilfe der NATO an den schon von Mao formulierten eisernen Grundsätzen Chinas ernsthaft rütteln wollen, müssen sie mit einem Krieg rechnen, der so zerstörerisch sein wird, dass ihn niemand gewinnen kann.

Angesichts der vielen Kriege, die von den USA zum „ewigen“ Schutzversprechen im asiatischen und arabischen Raum begonnen und verloren wurden, von Vietnam bis Afghanistan, wäre es richtig, unseren amerikanischen Freunden zu raten, die Weisheit des Daoismus bedenken, in der es heißt, dass Nichthandeln manchmal Weisheit bedeutet.

Von Xi Jinping hörte man neulich, dass der Rüstungswettlauf mit nuklearen Super-Raketen eine Dummheit sei. Er sagte: „Wir wissen, dass die Amerikaner uns fünfzehnmal vernichten können. Uns genügt es, wenn wir wissen, dass wir die USA einmal vernichten können.“ Angesichts von Klimawandel und Corona-Pandemie sind Kriegsdrohungen das Letzte, was wir für das Leben auf unserer Erde brauchen.


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