Weltwirtschaft

Analysten erwarten schwieriges Jahr für Schwellenländer

Lesezeit: 2 min
08.01.2022 10:00
Von Reuters befragte Analysten rechnen mit Blick auf die aufstrebenden Märkte im neuen Jahr mit Gegenwind.
Analysten erwarten schwieriges Jahr für Schwellenländer
Ein Mann läuft vor einer riesigen Anzeigetafel an der Börse Jakarta vorbei. (Foto: dpa)
Foto: Adi Weda

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die Folgen der Corona-Pandemie für die öffentlichen Haushalte und eine eingedämmte Geldflut der Notenbanken werden es Anlegern in Schwellenländern Anlage-Strategen zufolge im neuen Jahr schwer machen. Auch politische Unsicherheiten wie beispielsweise in der Türkei und Lateinamerika trüben die Aussichten. "Die Hürde für Investoren, wieder in Schwellenländer zu strömen, ist viel höher als zuvor", behauptet Paul Greer, Manager für Schwellenländeranleihen bei Fidelity.

Bereits 2021 erfüllten sich die Hoffnungen auf ein erfolgreiches Börsenjahr nicht: Schwellenländeraktien verloren rund sieben Prozent, während die Börsen in USA und Europa von einem Rekordhoch zum nächsten eilten. Im Vergleich zu Aktien der Industrieländer werden Papiere aus den aufstrebenden Volkswirtschaften mit dem größten Abschlag seit 17 Jahren gehandelt. Dabei hatten Marktteilnehmer ursprünglich dank einer Erholung der Rohstoffpreise und der Suche nach Anlage-Alternativen zu teuer aussehenden entwickelten Märkten große Erwartungen. 2021 sei eine "Katastrophe" gewesen, sagt David Hauner, Anlageexperte bei BofA. "Jetzt ist es unmöglich, jemanden zu finden, der für Schwellenmärkte optimistisch ist, was ein sehr scharfer Kontrast zu letztem Jahr ist, als man keine einzige Person finden konnte, die pessimistisch war."

Seit Jahren kommen die aufstrebenden Märkte auf keinen grünen Zweig: Abgesehen von 2010 und 2017 ist das entsprechende Börsenbarometer des Indexanbieters MSCI in jedem Jahr hinter dem maßgeblichen US-Pendant zurückgeblieben.

Fällt die Wachstumslokomotive aus?

China spielt dabei eine entscheidende Rolle. Das Wirtschaftswachstum der Volksrepublik hinkte zuletzt den Erwartungen hinterher. Investoren fürchten, dass der von der Regierung verfolgte "Wohlstands"-Plan mit der Umverteilung von Vermögen das Ende der einstmals hohen Wachstumsraten bedeuten könnte. Zudem gibt es große Probleme am Immobilienmarkt, der aufgrund seiner Größe wichtig für die Konjunktur dort ist. "Insofern gilt es im kommenden Jahr genau hinzuschauen, ob die Chinesen es schaffen, diese Probleme in den Griff zu bekommen, um auf den alten Wachstumspfad zurückzukommen oder ob gegebenenfalls China als Wachstumslokomotive der Weltkonjunktur ein weiteres Jahr ausfallen wird", sagt Daniel Hupfer, Leiter Portfolio-Management bei M.M. Warburg.

Die negativen Schlagzeilen aus China rund um die Schuldenkrise des Immobilienentwicklers Evergrande und staatliche Regulierung haben Anleger bei Schwellenländer-Investments insgesamt zögern lassen. BofA-Experte Hauner zufolge spielt dabei aber auch eine Rolle, dass "keiner der anderen Emerging Markets momentan eine wirklich großartige Geschichte hat."

So befinden sich unter anderem Brasilien und Kolumbien vor den Wahlen im kommenden Jahr in schwierigem Fahrwasser. "Die sozialen Folgen des oft mittelmäßigen Umgangs mit der Pandemie in Lateinamerika waren heftig und haben die politische Debatte polarisiert", sagt Erick Muller, Anlageexperte beim Vermögensverwalter Muzinich. Zudem haben hohe Inflationsraten die großen Zentralbanken Lateinamerikas veranlasst, bereits im laufenden Jahr die Leitzinsen mehrfach anzuheben. Für 2022 sei mit weiteren Zinsschritten zu rechnen, was das Kreditwachstum und die Unternehmensinvestitionen in der Region insgesamt dämpfen sollte, fasst Deutsche-Bank-Anlagestratege Ulrich Stephan zusammen.

Amerikas Tech-Aktien im Risiko

Einen Zinsschock wie beim sogenannten Taper Tantrum 2013 wird es für Schwellenländer in dieser Form aber wohl nicht mehr geben, behaupten viele Experten. Damals sendete die Ankündigung eines Zurückfahrens der Anleihenkäufe der US-Notenbank Schockwellen durch die Börsen und sorgte für einen massiven Kapitalabfluss. Die Länder stünden hinsichtlich ihrer Schuldenprofile und Handelsbedingungen aber besser da als damals und seien weniger verwundbar, sind sich viele Experten einig.

Mit einem Crash-Jahr rechnet also kaum einer - auch weil es bei so vielen eingepreisten schlechten Nachrichten nicht viel schlimmer werden könne, sagen Börsianer. Das höhere Risiko liege eher da, wo sich viele Investoren tummelten, erläutert Ruchir Sharma, Investmentstratege bei Morgan Stanley. "Und diese Überfüllung liegt aktuell meiner Ansicht nach eher bei den Aktien von Tech-Riesen in den USA als in Schwellenländern."


Mehr zum Thema:  

DWN
Unternehmen
Unternehmen Neue Verträge: Nach dem KaDeWe sind auch Oberpollinger und Alsterhaus gerettet
26.07.2024

Die berühmten Flaggschiffe der deutschen Warenhäuser scheinen nach der Pleite des Immobilien-Hasardeurs René Benko endlich gerettet zu...

DWN
Politik
Politik Ukraine-Hilfsgelder von Russland: EU gibt Erträge aus dem eingefrorenen Vermögen frei
26.07.2024

Die Europäische Union hat jetzt die ersten Zinserträge aus dem im Westen eingefrorenem russischen Staatsvermögen freigegeben. Die...

DWN
Politik
Politik Der Chefredakteur kommentiert: Islamisches Zentrum Hamburg - ein längst überfälliges Verbot, Frau Faeser!
26.07.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Bundeskanzler Scholz zu irregulärer Migration: „Die Zahlen müssen runter“
26.07.2024

Erwerbsmigration nach Deutschland sei erwünscht, meint der Kanzler. Problematisch findet er unerlaubte Einreisen. Eine Innenexpertin der...

DWN
Panorama
Panorama ADAC warnt: Es droht schlimmstes Stau-Wochenende der Saison
26.07.2024

Wer nun in den Urlaub fährt, sollte etwas mehr Zeit einplanen und mitunter starke Nerven haben. Der ADAC rechnet mit vielen Staus. Lassen...

DWN
Politik
Politik Außenministerin Baerbock: Seegerichtshof in Hamburg wird an Bedeutung gewinnen
26.07.2024

In Hamburg informiert sich die Außenministerin bei ihrer Sommerreise über die Arbeit des Internationalen Seegerichtshofs. Anschließend...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB nach Stresstest: Banken haben Verbesserungsbedarf bei Cyber-Angriffen
26.07.2024

Seit der Finanzkrise 2008 wird genauer hingeschaut bei den Banken. Im Euroraum müssen sich die Institute nach Einschätzung der...

DWN
Politik
Politik Verfassungsschutz weist auf russische Sabotageversuche hin
26.07.2024

Der deutsche Inlandsgeheimdienst beobachtet schon länger verstärkte russische Geheimdienstaktivitäten. Neue Hinweise veranlassen ihn...