Technologie

EU: Erdgas und Atomkraft sollen als nachhaltig klassifiziert werden

Alles deutet darauf hin, dass Erdgas- und Atomkraftwerke als „nachhaltige Übergangstechnologien“ klassifiziert werden.
03.01.2022 09:46
Aktualisiert: 03.01.2022 09:46
Lesezeit: 3 min
EU: Erdgas und Atomkraft sollen als nachhaltig klassifiziert werden
Dampf steigt aus den Kühltürmen des Atomkraftwerks Grohnde auf (Langzeitbelichtung). (Foto: dpa) Foto: Julian Stratenschulte

Die Bundesregierung hat am Sonntag die von der EU-Kommission vorgeschlagene Klassifizierung von Gaskraftwerken als nachhaltige Übergangstechnologien begrüßt, aber ihre Ablehnung der Atomkraft bekräftigt. "Für die Bundesregierung ist Erdgas vor dem Hintergrund der Ausstiege aus der Kernenergie und aus der Kohleverstromung eine wichtige Brückentechnologie auf dem Weg zur Treibhausgas-Neutralität", sagte ein Regierungssprecher der Nachrichtenagentur Reuters mit Blick auf Vorschläge der EU-Kommission zur Nachhaltigkeits-Klassifizierung von Energieträgern. "Daher ist es zu begrüßen, dass dazu Bestimmungen enthalten sind." Die Einstufung der Atomkraft als nachhaltig lehne die Bundesregierung aber weiter ab.

Die Stellungnahme hat damit eine etwas andere Tonlage als die Kommentare von Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck sowie Umweltministerin Steffi Lemke (beide Grüne) am Samstag. "Die Vorschläge der EU-Kommission verwässern das gute Label für Nachhaltigkeit", hatte Habeck erklärt. Er nannte die Einstufung von Atomenergie ein "Greenwashing", fügte aber hinzu: "Fraglich ist auch, fossiles Gas mit in die Taxonomie aufzunehmen." FDP-Chef Christian Lindner sagte der "Süddeutschen Zeitung" dagegen: "Deutschland benötigt realistischerweise moderne Gaskraftwerke als Übergangstechnologie, weil wir auf Kohle und Kernkraft verzichten." Er sei der Kommission dankbar, dass sie deutsche Argumente aufgegriffen habe.

An Erdgas führt kein Weg vorbei

Die EU-Kommission hatte in der Silvesternacht einen Vorschlag verschickt, zu dem die 27 EU-Regierungen nun bis zum 12. Januar Stellung nehmen sollen. Die Klassifikation für "grüne" Technologien in der sogenannten Taxonomie soll dazu beitragen, dass private Investitionen verstärkt in erneuerbare Energien fließen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte ebenso wie die EU-Kommission darauf verwiesen, dass es nur um Richtlinien für private, nicht aber für öffentliche Investitionen gehe.

Die EU-Kommission unterschied in ihrem Vorschlag zwischen grünen Technologien wie Solar- und Windenergie sowie denen für Atom und Gas. Für diese beide Bereiche soll es Auflagen für die Klassifizierung geben. Danach sollen Investitionen in Atomkraftwerke als nachhaltig gelten, wenn diese die Entsorgung radioaktiver Abfälle sicherstellen und vor 2045 genehmigt werden. Der Staatssekretär im Wirtschafts- und Klimaministerium, Sven Giegold (Grüne), kritisierte dies als nicht ausreichend.

Erdgaskraftwerke wiederum sollen das entsprechende Label erhalten können, wenn sie unter bestimmten CO2-Grenzwerten bleiben, eine umweltschädlichere Anlage ersetzen und bis zum 31. Dezember 2030 genehmigt werden. Habeck sagte, dass die EU immerhin deutlich den Übergangscharakter von Erdgas festschreiben wolle. "So müssen neue Gaskraftwerke schon jetzt auf Wasserstoffbetrieb ausgerichtet werden; ab 2035 sind sie noch mit grünem Wasserstoff oder kohlenstoffarmem Gas zu betreiben."

"Erdgas ist für die Grundversorgung des Industrielands Deutschland eine zwingend notwendige Brückentechnologie", sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), Wolfgang Große Entrup. Der Ausstieg aus Kohle und Kernenergie mache bei einem schleppendem Ausbau der erneuerbaren Energien den Einstieg in neue Gaskraftwerke notwendig. "Sonst gehen in der Industrie die Lichter aus", warnte er. "Investitionen in wasserstofffähige Gaskraftwerke sind zwingend notwendig für den Übergang in eine vollständig klimaneutrale Energieversorgung in der Europäischen Union", sagte auch die Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Kerstin Andreae.

Paris plädiert für Atomkraft, Berlin für Erdgas

In der EU-Kommission hieß es, der Vorschlag beziehe bewusst die zum Teil sehr unterschiedlichen Ausgangslagen in den verschiedenen Mitgliedstaaten mit ein. Die vorgeschlagene Klassifizierung der Energieträger werde alle drei Jahre überprüft. Auf die Einstufung der Atomenergie hatte deshalb vor allem Frankreich gepocht, das einen Großteil seines Stroms aus Atomkraftwerken bezieht. Auf den Status von Gas als Übergangstechnologie hatte dagegen die frühere große Koalition gedrungen. Auch der Ampel-Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP sieht den Bau neuer Gaskraftwerke vor, wenn diese für eine spätere Wasserstoff-Nutzung umgerüstet werden können. Unklar bleibt, wie die immensen Mengen Strom produziert werden sollen, welche bei der Herstellung von Wasserstoff benötigt werden.

Eine Mehrheit der EU-Staaten oder das EU-Parlament könnten die Vorschläge der EU-Kommission zur sogenannten Taxonomie noch blockieren. Schon die frühere Kanzlerin Angela Merkel hatte im Reuters-Interview allerdings darauf verwiesen, dass dies sehr unwahrscheinlich sei, weil mindestens 20 der 27 EU-Mitgliedsländer eine Blockade-Mehrheit organisieren müssten. Das ist nicht in Sicht. Auch Habeck räumte ein, dass dies schwierig werde.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Immer mehr XRP- und ETH-Inhaber wenden sich still und leise an OPTO-Miner, um 3.000 Dollar pro Tag zu verdienen

Im derzeit unberechenbaren Kryptomarkt entscheiden sich immer mehr Anleger dafür, langsamer zu werden und sich nicht mehr von...

DWN
Politik
Politik Kommt die Senkung der Stromsteuer für alle? Bundesregierung droht Dämpfer im Bundesrat
09.07.2025

An der Entscheidung der Bundesregierung, die Stromsteuer nicht – wie im Koalitionsvertrag angekündigt – auch für alle Bürger und...

DWN
Finanzen
Finanzen Deutsche Goldreserven: Hoher Goldpreis, explodierende Staatsschulden – sollte die Bundesbank Gold zu Geld machen?
09.07.2025

Rekordschulden, Rekordausgaben: Der Bundeshaushalt steuert unter der schwarz-roten Regierung bis 2029 auf ein 850 Milliarden Euro schweres...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft OPEC+ erhöht Förderung deutlich – Ölpreise unter Druck
09.07.2025

Die OPEC+ überrascht mit einer weit stärkeren Förderausweitung als erwartet – mit möglichen Folgen für die Weltwirtschaft,...

DWN
Technologie
Technologie Rekordfahrt auf Strom: Lucid überquert Alpen – E-Auto schafft 1205 Kilometer
09.07.2025

Ein neuer Reichweitenrekord zeigt, wie leistungsfähig moderne Elektroautos inzwischen sind: Ein Fahrzeug des US-Herstellers Lucid hat mit...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Wirtschaft und KI: Jeder zweite Arbeitnehmer zweifelt an Deutschlands wirtschaftlicher Zukunft
09.07.2025

Eine aktuelle Umfrage zeigt: Viele Beschäftigte sind skeptisch, ob Deutschland im Zeitalter der künstlichen Intelligenz wirtschaftlich...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Grünes Image unter Druck: EU plant strengere Regeln für Umweltwerbung
09.07.2025

Begriffe wie „klimaneutral“ oder „biologisch abbaubar“ begegnen Verbraucherinnen und Verbrauchern inzwischen fast überall – von...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutschlands 500-Milliarden-Euro-Infrastrukturplan: Eine Chance für europäische Bauunternehmen?
09.07.2025

Deutschland plant das größte Infrastrukturprogramm seiner Geschichte. Doch es fehlen Bauarbeiter. Können andere europäische Firmen und...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs stabil trotzt Milliardenbewegung: Anleger bleiben dennoch vorsichtig
08.07.2025

80.000 Bitcoin aus der Satoshi-Ära wurden bewegt – doch der Bitcoin-Kurs blieb stabil. Was hinter dem Rätsel steckt, warum Investoren...