Viel ist in den vergangenen Wochen von einer drohenden Gasknappheit in Deutschland geschrieben worden. Allerlei Gründe wurden dafür genannt - etwa der besonders kalte Winter im Vorjahr und daraus abgeleitet niedrige Reserven, anhaltende Brüche in den weltweiten Lieferketten oder angebliche Erpressungsversuche Russlands vor dem Hintergrund der Spannungen um die Ukraine. Letzteres Argument wurde widerlegt, Russland hielt sich in den vergangenen Monaten an seine vertraglich verankerten Lieferverpflichtungen.
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Wenig bekannt hingegen ist der wichtigste Faktor, der den Zustrom von Erdgas nach Deutschland seit Wochen massiv behindert, den Aufbau robuster Reserven dadurch blockiert und zu den massiven Preissteigerungen hierzulande maßgeblich beiträgt: die Aktivitäten deutscher Gas-Spekulanten.
Diese verkaufen nämlich seit mehr als einem Monat im großen Stil Gas, welches aus Russland nach Deutschland geliefert wird, nach Polen weiter. Diese Geschäftemachereien sind der Grund dafür, warum Erdgas seit mehr als vier Wochen in der strategisch wichtigen Pipeline „Jamal“ nicht wie üblich von Ost nach West fließt, sondern umgekehrt von Deutschland nach Polen.
Der englischsprachige Dienst von Reuters berichtete am 20. Januar, dass das Gas seit 31 Tagen von West nach Ost fließe. Da derzeit keine gegenteiligen Berichte bekannt sind, dürfte der Richtungswechsel nun schon seit 38 Tagen anhalten.
Jens Berger skizziert das Unterfangen auf den Nachdenkseiten folgendermaßen: „
Der polnische Wunsch nach einer energiepolitischen Unabhängigkeit von Russland ist dabei ein äußerst lukratives Geschäft für deutsche Gashändler. Die kaufen das Gas preiswert aus den in langfristigen Lieferverträgen vereinbarten Abnahmemengen aus Russland ein und verkaufen es dann zu den weitaus höheren Preisen auf dem Spotmarkt und den Futuremärkten an Polen weiter. Noch verrückter wird die ganze Geschichte, wenn man sich die physischen Lieferwege anschaut. Deutschland bezieht dieses Gas hauptsächlich aus Russland über die durch Polen verlaufende Jamal-Pipeline. Und über eben diese Pipeline liefern die Händler dann auch das Gas im Rückwärtsbetrieb an Polen weiter.
Genau das passiert durchgängig seit nunmehr 36 Tagen. Nach Meldungen des deutschen Netzbetreibers Gascade liefert die Jamal-Pipeline seitdem nicht etwa russisches Gas in deutsche Speicher, sondern umgekehrt russisches Gas aus deutschen Speichern ostwärts nach Polen und von dort aus sogar in die Ukraine. Zurzeit beträgt das Liefervolumen sagenhafte 13 Millionen Kilowattstunden pro Stunde. Das ist, gemessen am derzeitigen Gaspreis an den Spotmärkten, Gas im Wert 1,3 Millionen Euro pro Stunde, 31,2 Millionen Euro pro Tag. Leider ist nicht bekannt, zu welchem Preis die Händler das Gas zuvor aus Russland eingekauft haben. Wenn der Preis sich jedoch an dem langfristigen Durchschnittspreis auf dem Future-Markt orientiert, so kann man davon ausgehen, dass sie zurzeit mindestens 400% Gewinn machen.
Nun ist es aber nicht nur so, dass nur deutsche Spekulanten sich mit diesem Dreieckhandel die Taschen vollstopfen. Gas, das eigentlich für deutsche Kunden bestimmt ist, fließt nach Polen und in die Ukraine und gleichzeitig kommt kein neues Gas aus Russland durch die Jamal-Pipeline in die deutschen Gasspeicher, da diese ja im Rückwärtsbetrieb Gas aus den Speichern gen Osten transportieren muss. Die Folge: Die Speicher leeren sich und auf dem deutschen Gasmarkt treibt die Knappheit den Preis in die Höhe. Die Versorger geben diese Preissteigerungen an die Verbraucher weiter.