Politik

Russland hält sich an Verträge - Europas Gasknappheit ist hausgemacht

Immer wieder wird in deutschen Medien suggeriert, dass Russland die Zufuhr von Erdgas nach Europa aus politischen Motiven drossele. Nichts davon ist wahr.
28.12.2021 11:23
Aktualisiert: 28.12.2021 11:23
Lesezeit: 2 min

Durch die Erdgas-Pipeline von der russischen Halbinsel Jamal nach Mitteleuropa fließt das Erdgas auf dem letzten Abschnitt gegenwärtig entgegen der üblichen Richtung, nämlich von Deutschland nach Polen. Es folgen Hintergrundinformationen zu der Situation.

WIE WICHTIG IST DIE JAMAL-PIPELINE?

Nach Daten von 2020 wurden rund 260 Terawattstunden (TWh) Gas über den Grenzübergabepunkt Mallnow nach Deutschland importiert, das waren 18 Prozent der gesamten Importmenge. Die Kapazität ist deutlich geringer als die der Hauptröhre Nord Stream 1. Generell importiert Deutschland mehr Gas, als es selbst kauft, denn ein Teil wird an europäische Nachbarländer weitergeliefert.

WARUM WIRD GAS DERZEIT AUS DEUTSCHLAND ZURÜCKGEPUMPT?

Die über Belarus und Polen verlaufende Jamal-Pipeline versorgt einige Abnehmer in Polen mit Erdgas. Gazprom verkauft dabei über deutsche Händler. Der russische Präsident Wladimir Putin sagte, deutsche Unternehmen verkauften Gas gewinnbringend an Nachbarländer, das sie über Langfristverträge mit günstigeren Preisen anschafften. Das sei möglich, sagte Georg Zachmann, Energieexperte vom Forschungsinstitut Bruegel. Die Bundesregierung lehnte einen Kommentar dazu ab.

RUSSLAND HÄLT SICH AN VERTRÄGE

Dem Bundeswirtschaftsministerium zufolge kommt Russland seinen Lieferverpflichtungen nach. Auch Gazprom erklärt, es erfülle seine Verpflichtungen gegenüber den Kunden in Europa. Auch die Gazprom-Kunden RWE und Uniper teilten mit, der russische Konzern erfülle seine Verträge. Putin zufolge ist die Pipeline im Umkehrfluss, weil es keine Bestellungen von Käufern gebe.

Früher habe Gazprom in der Regel mehr als die georderte Menge geliefert und diese Praxis jetzt geändert, hieß es von Branchenexperten. Gazprom hat den Vorwurf zurückgewiesen, der Konzern drehe bei Jamal den Hahn zu, um die umstrittene Pipeline Nord Stream 2 zu füllen. Spekuliert wird in manchen Staaten des Westens außerdem, dass Russland so im Konflikt über die Ukraine und Nord Stream 2 seine Muskeln spielen lässt. Auch das weist die Regierung in Moskau zurück.

WAS HEISST DAS FÜR DIE VERSORGUNGSSICHERHEIT?

Unmittelbar wirkt sich das nicht aus. Es fließt noch genug Gas aus Russland, und die Speicher sind derzeit nach Angaben der Initiative Energien Speichern (INES) zu 55 Prozent befüllt. Zum Teil könnte Norwegen mit höheren Lieferungen Lücken stopfen.

Sollte der Brennstoff aber weiterhin begrenzt fließen, könnte die Lage Anfang kommenden Jahres bei einem strengen Winter kritisch werden. Seit dem 22. November sinken die Füllstände der Speicher. "Setzen sich die Ausspeicherungen der vergangenen Wochen unverändert fort, wird der Füllstand in der ersten Februarhälfte auf unter 30 Prozent absinken", prognostizierte INES. Das wäre historisch wenig. Nach einer Studie des Bundeswirtschaftsministeriums von 2015 wäre bei extremer Kälte ein Mindestfüllstand von 40 Prozent notwendig. Schon bei Unterschreiten von 50 Prozent lässt der Druck in den Tanks so stark nach, dass das Gas langsamer ins Netz fließt.

Der seit Monaten steigende Gaspreis in Europa wird durch die Knappheit weiter angetrieben - auch die Verbraucher müssen mit weiteren Erhöhungen rechnen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen Krypto-Crash: Wie Zinsen und KI die Kryptomärkte unter Druck setzen
21.11.2025

Die jüngsten Turbulenzen an den Kryptomärkten stellen Anleger, Unternehmen und Regulierer gleichermaßen auf die Probe. Welche Kräfte...

DWN
Politik
Politik Koalition unter Druck: Bundesrat zwingt Merz-Regierung in den Vermittlungsausschuss
21.11.2025

Die Stimmung in der Koalition mau, der Rentenstreit noch längst nicht ausgestanden – jetzt legt sich auch noch der Bundesrat quer. Er...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Ein Mundscan reicht: Das Healthtech DentalTwin erstellt KI-basierte Modelle für Zahnersatz
21.11.2025

Mithilfe KI-basierter Datengenerierung verlagert das Start-up DentalTwin die Zahnprothetik ins Digitale. Das dürfte nicht nur Praxen und...

DWN
Politik
Politik EU lockert Datenschutz: Digitaler Omnibus reformiert Regeln für KI
21.11.2025

Europa steht bei der Digitalpolitik vor einem Wendepunkt, an dem Wettbewerbsfähigkeit und Schutz von Bürgerrechten neu austariert werden....

DWN
Politik
Politik US-Wirtschaftselite, Ex-Präsidenten und die Epstein-Akten: Verbindungen zu Politik und Tech-Milieu offengelegt
21.11.2025

Mit jeder neuen Aktenveröffentlichung im Fall Jeffrey Epstein treten weitere Verbindungen zwischen politischen Entscheidern, Finanzeliten...

DWN
Panorama
Panorama Ansteigende Gewalt gegen Frauen - Dobrindt: „Nicht-Deutsche Tatverdächtige deutlich überrepräsentiert“
21.11.2025

Frauen werden stündlich Opfer von körperlicher, sexueller oder psychischer Gewalt, so das Bundeskriminalamt. Das Dunkelfeld dürfte um...

DWN
Politik
Politik Schwarzarbeit bekämpfen: Sozialschutz für Paketboten soll dauerhaft gewährleistet werden
21.11.2025

Der Schutz von Paketboten vor Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung wird dauerhaft gestärkt: Der Bundesrat hat die Verlängerung der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Handelsriesen setzen Verbraucher unter Druck – Gutachten kritisiert Marktmacht
21.11.2025

Steigende Lebensmittelpreise sorgen bei vielen Verbrauchern für Unmut – und laut einem aktuellen Gutachten der Monopolkommission liegt...