Technologie

Innovation: Löwenzahn liefert Kautschuk für Autoreifen

Wissenschaftler aus Münster arbeiten an der Herstellung von Rad- und Autoreifen aus Kautschuk - aus Löwenzahn-Kautschuk, um genau zu sein. Erste Produkte sind bereits erhältlich.
07.02.2022 10:14
Lesezeit: 2 min
Innovation: Löwenzahn liefert Kautschuk für Autoreifen
Aus Löwenzahn kann Naturkautschuk gewonnen werden. (Foto: dpa) Foto: Stefan Sauer

Mit Hilfe von Kautschuk aus Löwenzahn wollen Forscher auf nachhaltige Weise Reifen etwa für Autos und Fahrräder herstellen. Radfahrer können die ersten Reifen heute bereits kaufen. Das Projekt der Forscher von der Uni Münster ist für den Deutschen Zukunftspreis nominiert. Die mit 250 000 Euro dotierte Auszeichnung wird am Mittwoch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verliehen. Die Wissenschaftler treten dabei gegen eine starke Konkurrenz an: Unter den Nominierten sind auch die Erfinder des mRNA-Impfstoffs gegen das Coronavirus vom Mainzer Unternehmen Biontech.

Die Molekularbiologen Dirk Prüfer und Christian Schulze Gronover arbeiten seit rund zehn Jahren am Löwenzahn-Kautschuk. Die Idee an sich ist nicht neu. Bereits vor rund 90 Jahren wurde der russische Löwenzahn als Kautschukquelle und damit als Alternative zum Kautschukbaum (Hevea Brasiliensis) entdeckt. Die Wissenschaftler aus Münster erforscher derzeit vor allem die Frage, wie alle Prozessschritte für eine konkurrenzfähige Produktion hochgefahren werden können, zum Beispiel beim Anbau des Löwenzahns. „Wie kann ein Landwirt das sähen und wie am Ende am besten ernten? Das haben wir erforscht“, erklärt Gronover.

Beim Löwenzahn stellt sich etwa die Frage, „wie bekommen wir den Kautschuk raus?“, erklärt Prüfer, auch Leiter des Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie in Münster. Mit Anritzen wie bei den Kautschukbäumen geht das nicht, die Wurzeln müssen dazu mechanisch bearbeitet werden. Am Ende steht ein Stoffgemisch aus Wasser und Kautschuk. Da sich beide Stoffe nicht vermischen, können sie ohne Lösungsmittel leicht getrennt werden. Pro Hektar ernten die Landwirte beim russischen Löwenzahn eine Tonne Kautschuk. Das sei vergleichbar mit dem Ertrag in den Tropen.

Derzeit gibt es vor allem im Süden Deutschlands und in Mecklenburg-Vorpommern Anbauflächen - viele Landwirte müssen sich an den Gedanken des Löwenzahn-Anbaus erst gewöhnen. „Sie sollen etwas anbauen, was sie ja eigentlich als Unkraut wegspritzen würden“, sagt Prüfer. Der russische Löwenzahn hat kleinere, aber dafür mehr Blüten. Die wachsen allerdings sehr flach. Das Zuchtziel ist, dass sie höher wachsen, damit sie besser aus der Erde gezogen werden können. Die Wildform der Pflanze hat einen Kautschukanteil von 1 bis 2 Prozent, bei der Zucht sind es 15 bis 20 Prozent.

Nach der Ernte stehen andere Fragen im Vordergrund: Im Reifen muss der Löwenzahn-Kautschuk die richtigen Eigenschaften haben. „In der Produktion geht es um das Dreieck aus Abrieb, Bremswirkung und Widerstand“, sagt Schulze Gronover. Verändere man das eine, habe es Folgen für das andere. «Ziel war es immer, den Abrieb zu vermindern. Das ist uns in den vergangenen Jahren gelungen. Der ist um 30 bis 40 Prozent besser geworden.» Ein Erfolg für die Umwelt. Denn über den Abrieb von Reifen gelangen jährlich tonnenweise Kunststoffe in die Umwelt und verbleiben dort, wie es beim Umweltbundesamt in Dessau heißt. Zudem sei der Reifenabrieb eine bedeutende Feinstaubquelle.

Für die Produktion von Fahrradreifen reicht der jetzt angebaute Kautschuk aus Löwenzahn bereits aus. Für große Reifen mit einer höheren Stückzahl genügt der Ertrag noch nicht. „Die Hersteller haben Sorge, dass die Produktion nach schlechten Erntejahren einbricht. Von daher wollen sie erst ihre Lager füllen“, erklärt Prüfer. 2020 sei ein zu trockenes Jahr mit schlechter Ernte gewesen.

Nachhaltigkeit steht auch ein paar Kilometer weiter im Mittelpunkt der Forschung: An der Uni Paderborn, der Hochschule Hamm-Lippstadt und des Aachen-Maastricht Institute for Biobased Materials (AMIBM) suchen Wissenschaftler nach neuen umweltfreundlichen Materialien, die erdölbasierte Kunststoffe für Scheinwerfer, Linsen oder Reflektoren ersetzen könnten. Die Forscher hier arbeiten die Wissenschaftler an pflanzenbasierten Ersatzstoffen aus Milchsäuren. Man erhalte letztlich einen den klassischen Kunststoffen vergleichbaren Werkstoff, der aber nicht aus dem Erdöl entnommenen Bausteinen hergestellt wurde, sondern aus Bausteinen von fermentierenden Pflanzen, erläutert Professor Klaus Huber von der Uni Paderborn.

Beim Anbau sieht Hubert, ebenso wie die Forscher in Münster, kein Problem, will es aber im Auge behalten: „Nach Berechnungen aus dem Jahr 2013 der Uni Hannover wäre für den kompletten Ersatz von Kunststoffen aus Erdöl durch Biokunststoffe nur 5 Prozent der weltweiten Ackerflächen nötig“, sagt Hubert.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Landtagswahlen Baden-Württemberg 2026: AfD liegt vor den Grünen – eine Partei gewinnt noch mehr
09.05.2025

Die AfD überholt erstmals laut Insa-Umfrage die grüne Partei in Baden-Württemberg, die seit 13 Jahren regiert und die größte...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Kunstmarkt: Familienangelegenheiten im Auktionshaus Lempertz - und was Unternehmer davon lernen können
09.05.2025

Lempertz in Köln ist das älteste Auktionshaus der Welt in Familienbesitz. Isabel Apiarius-Hanstein leitet es in sechster Generation. Erst...

DWN
Immobilien
Immobilien Wohnquartiere als soziale Brennpunkte: Armut, Migration und Überalterung – Ghettobildung nimmt zu
09.05.2025

Armut, Migration, Wohnungsmangel, Überalterung und Einsamkeit: Immer mehr Wohnquartiere in Deutschland sind überfordert. Eine neue Studie...

DWN
Finanzen
Finanzen Commerzbank-Aktie auf Rekordkurs nach starkem Quartalsgewinn – und nun?
09.05.2025

Die Commerzbank-Aktie hat zum Start in den Börsenhandel am Freitag zugelegt – und im Handelsverlauf ein neues Jahreshoch erreicht. Das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft EU schlägt zurück: Diese US-Produkte stehen nun im Visier von Brüssel
09.05.2025

Die Europäische Kommission hat eine umfassende Liste von US-Produkten veröffentlicht, auf die im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Daimler-Sparprogramm: Was plant Daimler Truck in Deutschland?
09.05.2025

Der Nutzfahrzeughersteller Daimler Truck strebt an, seine Wettbewerbsfähigkeit in Europa zu erhöhen und hat sich mit dem...

DWN
Panorama
Panorama Endlos-Hitze droht im Sommer: Wetterextreme betreffen jüngere Generationen erheblich stärker
09.05.2025

Endlos-Hitze droht im Sommer - diese Schlagzeile geistert an diesem Freitag durch die Medien. Klar ist, dass die Folgen der globalen...

DWN
Technologie
Technologie Datenfalle USA: Warum viele Unternehmen in Gefahr sind - ohne es zu merken
09.05.2025

Viele Unternehmen übertragen täglich Daten in die USA – und merken nicht, dass sie damit in eine rechtliche Falle tappen könnten. Das...