Finanzen

Inflation erfasst die Börse: Was bedeutet das für die Aktionäre?

Lesezeit: 6 min
10.04.2022 09:28
In Europa und Nordamerika herrscht eine zunehmend grassierende Inflation, während die Wirtschaft vergleichsweise schleppend wächst. In diesem Artikel beleuchten wir, welche Auswirkungen auf die Renditen am Aktienmarkt zu erwarten sind – und welche interessanten Anlage-Alternativen sich Investoren im zunehmend stagflationären Umfeld bieten.
Inflation erfasst die Börse: Was bedeutet das für die Aktionäre?
Ackerflächen sind eine stabile, oft unterschätzte Anlagemöglichkeit. (Foto: dpa)
Foto: Jens Büttner

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Sind Aktien ein guter Inflations-Schutz für Anleger? Diese Frage wird nicht erst diskutiert, seitdem die offizielle Inflationsrate hierzulande fünf Prozent erreicht hat. Oft wird in diesem Kontext argumentiert, dass sich ja die Erträge der Unternehmen durch das höhere allgemeine Preisniveau ebenfalls erhöhen – sozusagen „mitinflationieren“ – würden. Der Gedankengang ist nicht völlig falsch, aber man muss immer zwischen nominalen und realen Erträgen unterscheiden.

Nur reale Gewinne zählen

Jeder erfolgreiche Investor betrachtet seine Rendite nicht nominal, sondern real, also nach Abzug der Inflationsrate. Dasselbe gilt für die Unternehmen selbst. Zumal es Firmen gibt (insbesondere Zulieferer mit langfristigen Lieferverträgen zu fixen Preisen), die in inflationären Zeiten erst einmal nur höhere Kosten und gleichbleibende oder nur geringfügig steigende Erträge haben.

Hinzu kommt, dass in einem halbwegs normalen, nicht zu stark von Zentralbanken manipulierten Zinsumfeld die Zinsen mit der Inflation steigen und daher zusätzlich die Zinskosten der Unternehmen in die Höhe schießen. Warum steigen die Zinsen normalerweise mit der Inflation? Investoren, die Anleihen halten, wollen natürlich keine realen Verluste erleiden. Bei steigender Inflation werden alte, mit niedrigem Zins-Kupon versehene Anleihen abverkauft (die Rendite beziehungsweise „Risikoprämie“ dieser Anleihen steigt) und stattdessen – überwiegend neu aufgelegte – Anleihen mit höherem Zins-Kupon gekauft (die Rendite solcher Anleihen sinkt). Unter dem Strich gleichen sich die Anleihe-Renditen an und das Zinsniveau insgesamt sollte steigen – zumindest in der Theorie, wenn die Zentralbanken nicht massenhaft alte (und neue) Anleihen aufkaufen und damit die Anleihe-Renditen niedrig halten.

Viele Unternehmen haben keine oder nur eine begrenzte Preismacht

Die Inflation zieht sich immer durch die gesamte Wirtschaft. Für das einzelne Unternehmen ist entscheidend, ob man die zwangsläufig höheren Kosten überhaupt an den Kunden weitergeben kann. Denn: Bei weitem nicht alle Unternehmen haben echte Preismacht. In der Wirtschaftswelt schätzt man häufig, dass vier von fünf Unternehmen bei einer Inflationsrate von fünf Prozent ihre erhöhten Kosten nicht oder nur teilweise an die Kunden weitergeben können, also real Geld verlieren würden. Man muss das als Richtwert verstehen, der natürlich nicht universell anwendbar ist.

Nur rund 20 Prozent der Firmen haben demnach eine so dominante Marktstellung, dass sie nicht direkt negativ vom drastisch steigenden Preisniveau betroffen wären. Genau solche Aktien von Unternehmen mit starker Preismacht sollte man dann in einer Phase hoher Inflation halten, wenn man als Anleger keine realen Verluste erleiden oder sogar von der Inflation profitieren möchte.

In hart umkämpften Branchen und bei Produkten, die bei einer sinkenden Kaufkraft der Konsumenten weniger nachgefragt werden, ist die Preismacht in der Regel sehr gering. Wenn dagegen die Markteintrittsbarrieren in einem Sektor sehr hoch sind, dann kann die Preismacht der im Markt etablierten Unternehmen gewaltig sein. Wenig überraschend ist die Preismacht bei großen Konzernen in der Regel höher als bei mittelständischen Unternehmen. In der neuesten „CFO Umfrage“ der Federal Reserve Bank of Richmond gaben 18 Prozent der kleinen und nur 12 Prozent der großen US-Unternehmen an, dass sie im Moment komplett auf den gestiegenen Kosten sitzenbleiben. Rund 60 Prozent der Kleinunternehmen versus lediglich 45 Prozent der Großunternehmen geben maximal die Hälfte der Kostenanstiege an ihre Kunden weiter.

Der Aktienmarkt insgesamt gibt nur den gewichteten Durchschnitt der börsennotierten Unternehmen wieder, das heißt, dort tummeln sich entsprechend auch die zahlreichen Unternehmen ohne Preismacht. Da ist es nicht überraschend, dass der breitgefasste US-Aktienindex S&P 500 in Phasen hoher Inflation wie beispielsweise in der Ölkrise und Stagflation in den 1970er-Jahren massiv real (inflationsbereinigt um den CPI-Index) an Wert einbüßte.

In einer Stagflation tritt gleichzeitig eine ungewöhnlich hohe Inflationsrate – damals zeitweise über zehn Prozent pro Jahr – und eine wirtschaftliche Stagnation auf. Die Stagflation in den USA von grob 1970 bis 1982 ist besonders interessant, weil sie mit den hohen Energiepreisen und riesigen Staatshaushalts-Defiziten große Parallelen zum heutigen prekären konjunkturellen Umfeld (mit zunehmender Wahrscheinlichkeit einer Stagflation) aufweist.

Mit großen und antizyklischen Werten kann man der Inflation am Aktienmarkt teilweise trotzen

Eine hohe Inflation bedeutet höhere Unsicherheit bezüglich künftiger Erträge, die in einem solchen Szenario schwerer kalkulierbar sind. Junge Unternehmen, die sich gerade in der initialen Wachstumsphase befinden und dabei in der Regel noch keine Gewinne erwirtschaften, gelten nicht zu Unrecht als deutlich riskanteres Investment als bereits seit Jahrzehnten etablierte Konkurrenten mit riesigen Umsätzen, einer grundsoliden Substanz und einer guten Bilanzqualität. Von höherer Inflation und höheren Zinsen werden solche risikoreichen Wachstumswerte meist viel härter getroffen als gestandene Konzerne.

Allerdings muss man zwischen unterschiedlichen Branchen differenzieren: Antizyklische Geschäftsmodelle wie Lebensmittel, Medikamente und mit Abstrichen Unterhaltung sind in einer Phase hoher Inflation kaum betroffen oder profitieren sogar, weil die Bevölkerung genauso viel oder mehr solcher Produkte nachfragt. An der Börse gilt in Krisenzeiten generell: Stabilität fürs Portfolio können vor allem Aktien von Unternehmen liefern, die Produkte herstellen, die immer und idealerweise kontinuierlich benötigt werden (das sind vor allem Produkte des täglichen Bedarfs) – vollkommen unabhängig von Konjunkturzyklus, Geldpolitik, Unterstützungszahlungen der Regierungen und Inflationsrate. Hilfreich sind auch monopolistische oder stark oligopolistische Marktstrukturen aufgrund der häufig großen Preissetzungsmacht in diesem Wettbewerbsumfeld.

Selbst bei deutlich zweistelligen Inflationsraten (wie beispielsweise aktuell in der Türkei) gibt es für kreative Investoren noch weitere interessante Möglichkeiten. Eine Idee wäre es, in einem solchen Umfeld in bestimmte Exportwerte zu investieren, deren Ausgaben überwiegend in der zunehmend entwerteten heimischen Währung anfallen, während zugleich die Einnahmen vorwiegend in harter Fremdwährung erfolgen.

Agrarland: Eine Alternative zu Immobilien und Edelmetallen

Wie oben erwähnt, gibt es heute viele Parallelen zur Stagflation der 1970er Jahre. Man kann sich also durchaus einmal genauer anschauen, welche Vermögenswerte damals besonders gut abgeschnitten haben. Aktien waren es, wie oben dargestellt, jedenfalls nicht. Und von Anleihen hatte man sich auch besser ferngehalten, weil die Zinserträge von der Inflation regelrecht aufgefressen wurden.

Rohstoffe haben traditionell eine gute Performance bei hohen Inflationsraten – und das nicht nur relativ gegenüber Aktien. In der Stagflation der 1970er waren insbesondere Zucker, Weizen und Kaffee ein hervorragendes Investment.

US-Immobilien (REITS Index) verdoppelten sich von 1971 bis 1982 nahezu real im Wert. US-Ackerland (NCREIF Farmland Index) schnitt mit realen plus 120 Prozent sogar noch ein bisschen besser ab. Der Goldpreis stieg inflationsbereinigt sogar um rund 300 und Silber gar um 450 Prozent.

Man muss nicht zwangsläufig auf die beliebten Vermögensspeicher Edelmetalle oder Betongold setzen, um sich heutzutage vor der Inflation zu schützen. Immobilien machen immobil, und Edelmetalle sind heute auch aufgrund des Aufkommens der Kryptowährungen nicht mehr so gefragt wie noch vor 50 Jahren. Insbesondere Agrarland ist eine chronisch unterschätzte Assetklasse. Für die Superreichen gelten Ackerflächen seit langem als eine attraktive – so gut wie nicht mit dem Aktienmarkt korrelierende – und stabile Anlageform.

Der durchschnittliche Preis von US-Ackerland im Jahr 1971 betrug rund 140 Dollar je Hektar. Zehn Jahre später lag der Preis bei circa 750 Dollar pro Hektar, ein Anstieg von grob 14 Prozent pro Jahr.

Darin sind potenzielle Erträge aus den Ernten der Agrarflächen noch gar nicht eingerechnet. So hatte sich im selben Zeitraum der Preis für Rindfleisch verdoppelt, für Mais verdreifacht und für Weizen sogar vervierfacht. Keine Anlageklasse – nicht einmal Aktien – konnte in den letzten 50 Jahren so hohe Renditen erzielen wie schnöder Ackerboden. US-Ackerland erzielte seit 1971 eine annualisierte Rendite von grob zehn Prozent, während US-Immobilien nur neun und der US-Aktienmarkt (S&P 500) sowie Gold jeweils nur rund sieben Prozent pro Jahr im Wert zulegten. In den letzten fünfzig Jahren warf US-Agrarland nach Inflation eine durchschnittliche jährliche Rendite von circa sechs Prozent ab.

Man muss natürlich vorsichtig sein und sollte die Performance einer Anlageklasse in den letzten fünfzig Jahren niemals einfach so in die Gegenwart beziehungsweise Zukunft zu übertragen. Es kam zum Jahreswechsel bereits zu einer ersten vorsichtigen Korrektur am US-Aktienmarkt, noch ist es aber zu früh, diese Entwicklung mit den hohen Inflationsraten in Verbindung zu bringen. Genauso wie die Inflation selbst sind auch ihre Auswirkungen auf die Vermögenswerte ein langwieriger Prozess.


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