Politik

China hat Russland eine Falle gestellt - Putin ist in sie hineingetappt

Lesezeit: 4 min
03.04.2022 08:15  Aktualisiert: 03.04.2022 08:15
Putin glaubt, in Xi einen Verbündeten zu haben. Doch für den chinesischen Präsidenten ist sein russischer Kollege nur ein Werkzeug zur Durchsetzung chinesischer Interessen.
China hat Russland eine Falle gestellt - Putin ist in sie hineingetappt
Chinas Präsidente Xi Jinping (r) erhält die Ehrendoktorwürde der "Staatlichen Universität St. Petersburg" (Juni 2019). Links im Bild Russlands Präsident Wladimir Putin. (Foto: dpa)
Foto: Dmitri Lovetsky

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Wladimir Putin scheint zu glauben, dass er durch Unterzeichnung eines scheinbaren Bündnisvertrags mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping am 4. Februar in Peking so etwas Weitreichendes wie US-Präsident Richard Nixon bei dessen historischem Besuch in China im Jahr 1972 erreicht hat. Doch genau wie die Sowjetunion der große Verlierer der chinesisch-amerikanischen Annäherung des Jahres 1972 war, dürfte sich Russland als der große Verlierer der Übereinkunft zwischen Putin und Xi erweisen.

Nixons Besuch bei Mao Zedong war ein entscheidender Moment in der Geschichte des Kalten Krieges, der größere Auswirkungen auf dessen Verlauf hatte als selbst die Kubakrise. Die Beziehungen zwischen China und der Sowjetunion waren anschließend viel stärker von Verbitterung gekennzeichnet als dem größten Teil der Welt, einschließlich der meisten Amerikaner, je bewusst war.

Wobei die deutliche Verschlechterung der Beziehungen zwischen den beiden kommunistischen Giganten bereits 1956 begonnen hatte, und zwar mit Nikita Chruschtschows in einer nicht-öffentlichen Sitzung des 20. Kongresses der Kommunistischen Partei gehaltenen „Geheimrede“, in der er sich von Stalin distanzierte. Diese Rede und Chruschtschows umfassende Destalinisierungs-Kampagne verärgerten Mao, der sie als revisionistisch verurteilte, da er vermutlich fürchtete, dass ihm eines Tages eine ähnliche Ächtung zuteilwerden könnte.

Die ideologischen und politischen Meinungsunterschiede führten zu einem Zusammenbruch der politischen Beziehungen, der im chinesisch-sowjetischen Zerwürfnis von 1960 gipfelte. Neun Jahre später lieferten sich sowjetische und chinesische Streitkräfte sieben Monate lang erbitterte Gefechte entlang des Ussuri in der Nähe zur Mandschurei. Ein größerer Krieg konnte gerade noch abgewendet werden.

Als sich Nixon nach China aufmachte, war es sein Ziel, diese Feindseligkeit zwischen den beiden weltweit führenden kommunistischen Mächten auszunutzen. Doch weder er selbst noch sein nationaler Sicherheitsberater Henry Kissinger hätten vorhersagen können, wie erfolgreich der US-Präsident sein würde. Leonid Breschnews trägem, schwerfälligem Kreml erschien es, als hätte China im Kalten Krieg die Seiten gewechselt.

Angesichts des Alptraums eines Zwei-Fronten-Kriegs (im Sinne Bismarcks)gegen die NATO im Westen und gegen ein verbittertes China im Osten erwärmte sich Breschnew rasch für Kissingers Vorstellung einer Entspannung zwischen den USA und der UdSSR. Er ging sogar so weit, die Helsinki-Verträge zu unterzeichnen, die den Westen in die Lage versetzten, den sowjetischen Totalitarismus auf Basis der Menschenrechte in Frage zu stellen.

Kissinger verdient, nebenbei gesagt, weniger Anerkennung für diese Erfolge, als er wiederholt beansprucht hat; Nixon hatte sich bereits für eine Öffnung gegenüber China ausgesprochen, bevor er 1969 sein Amt als Präsident antrat. Wie dem auch sei: Putin jedenfalls glaubt womöglich, dass er Amerikas diplomatischen Coup wiederholt hat. Er scheint der Meinung zu sein, dass er sich durch eine Vertiefung der Beziehungen zu China einen wertvollen Verbündeten in seinem Kampf gegen den Westen verschafft hat.

Jedoch hat sich Chinas Entfremdung von den USA schon seit fast einem Jahrzehnt zunehmend verschärft – ein Trend, den der ehemalige US-Präsident Donald Trump beschleunigt hat und für dessen Abmilderung Präsident Joe Biden bisher kaum etwas getan hat. Angesichts dieser wachsenden Gegnerschaft zum Westen ist es China, das Russland auf seine Seite bekommen wollte und nicht umgekehrt – und auch nicht als gleichberechtigten Partner.

Natürlich unterstützt China trotz seines häufig wiederholten Mantras, wonach nationale Souveränität und territoriale Integrität sakrosankt seien, jetzt faktisch Putins Militäraufmarsch entlang der Grenze zur Ukraine: Es hat den Westen gedrängt, Russlands „Sicherheitsbedürfnis“ ernst zu nehmen, und hat seine Ablehnung einer NATO-Erweiterung bekräftigt. Doch dürfte das nicht bedeuten, dass China Russland bei einer Auseinandersetzung mit den USA und der NATO unterstützen wird. Stattdessen hat Xi getan, was notwendig war, um Russland in eine vasallenartige Abhängigkeit von China zu bringen. Und Putin ist ihm in dem Glauben, dass eine Partnerschaft mit Xi ihm in seiner Konfrontation mit dem Westen helfen würde, direkt in die Falle getappt.

Was könnte für China besser sein als eine russische Wirtschaft, die komplett vom Westen abgeschnitten ist? All das Erdgas, das nicht westwärts in Richtung Europa fließt, könnte gen Osten ins energiehungrige China fließen. Alle sibirischen Rohstoffvorkommen, für deren Erschließung Russland westliches Kapital und Know-how brauchte, würden ausschließlich China zur Verfügung stehen, und Gleiches gilt für die Durchführung wichtiger neuer Infrastrukturprojekte in Russland.

Wer noch Zweifel an der Hemmungslosigkeit hat, mit der Xi Russlands Isolation ausnutzen wird, braucht sich nur das Vorgehen von Xis Amtsvorgängern Hu Jintao und Jiang Zemin vor Augen zu halten. Zunächst erschienen die Beziehungen zwischen Peking und Moskau freundlich: Putin unterzeichnete 2001 einen Freundschaftsvertrag mit China, und das Reich der Mitte stellte angesichts der finanziellen Isolation Russlands Ende 2004 einen Kredit von sechs Milliarden Dollar bereit, damit Russlands staatseigene Ölgesellschaft Rosneft den Kauf der größten Produktionseinheit der Yukos Oil Company finanzieren konnte (ein Unternehmen, das Putins Regierung 2006 erfolgreich in den Bankrott trieb - aber das ist eine andere Geschichte).

Im Jahr 2005 jedoch nutzte China - in einem nach Ansicht vieler Beobachter direkt an den Yukos-Kredit geknüpften Schritt - seinen Einfluss auf Russland, um den Kreml - im Austausch gegen die Rücknahme von anderen chinesischen Gebietsansprüchen - zur Rückgabe von strittigen Gebieten in der Größe von rund 337 Quadratkilometer zu zwingen. Darüber hinaus scheint Putin zu ignorieren, dass Chinas Führung und Bevölkerung Russland als korrupten Staat betrachten, der im 19. Jahrhundert mehr chinesische Gebiete gestohlen hat als jedes andere Land. Erst vor zwei Jahren wurde ich selbst Zeugin dieser Verachtung, als ich eine Fähre über den Amur von Blagoweschtschensk in Russland in die chinesische Kleinstadt Heihe nahm. Die örtlichen chinesischen Händler verspotteten die Russen offen, während sie ihnen billige Handys und minderwertige Pelzimitate verkauften.

China wird weder den eigenen Wohlstand riskieren, indem es die USA durch die Verteidigung Russlands offen herausfordert, noch die russische Wirtschaft stützen, indem es dort in einem Maße investiert, wie es zum Ausgleich der gewaltigen Sanktionen erforderlich ist, die der Westen als Antwort auf den Einmarschs Putins in die Ukraine verhängt hat. Stattdessen wird das Reich der Mitte das bloße Minimum tun, um Russland in die Lage zu versetzen, seine Konfrontation mit dem Westen aufrechtzuerhalten, und so die Aufmerksamkeit des Westens von der von China selbst ausgehenden strategischen Herausforderung abzulenken. Diese minimale chinesische Unterstützung mag gerade so ausreichen, um Putin im Kreml zu halten – das Einzige, was für ihn zählt. Doch wird der Kreml-Herrscher dabei über eine russische Volkswirtschaft regieren, die langsam ausblutet.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Copyright: Project Syndicate, 2022.

www.project-syndicate.org

Zur Autorin: 

Nina L. Chruschtschowa (geb. 1962 in Moskau) ist Professorin für Internationale Angelegenheiten an der  renommierten Forschungseinrichtung "New School" in Manhattan. Sie ist die Enkelin von Nikita Chruschtschow. 


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