Politik

Diplomatie oder harte Kante: Nato strategisch gespalten über Verhandlungen mit Putin

Im Hinblick auf eine Lösung der Ukraine-Krise zeichnet sich in der Nato offenbar eine strategische Spaltung ab. Welche Zugeständnisse sollte man Putin machen - und welche nicht?
29.03.2022 14:38
Aktualisiert: 29.03.2022 14:38
Lesezeit: 4 min
Diplomatie oder harte Kante: Nato strategisch gespalten über Verhandlungen mit Putin
Beim Nato-Treffen letzte Woche wurde offenbar hart über den Umgang mit Putin gestritten. (Foto: dpa) Foto: Thibault Camus

Die Nato-Staaten sind offenbar gespalten in der Frage, welche Bedingungen die Ukraine für ein Friedensabkommen mit Russland als akzeptabel erachten könnte. Dabei geht es insbesondere um die Sicherheitsgarantien, welche das Militärbündnis anbieten könnte, sowie um die Frage, welche weiteren Waffen dem Kiewer Regime zur Verfügung gestellt werden sollen.

Gestritten wird in der Nato zudem, ob Gespräche mit dem russischem Präsidenten Wladimir Putin hilfreich sind. Dies berichtet Bloomberg mit Verweis auf Insider berichten, die mit den Gesprächen zwischen den Staats- und Regierungschefs der Nato in der vergangenen Woche vertraut sind.

Einige der Differenzen traten am Wochenende offen zutage, als US-Präsident Joe Biden zunächst sagte, Putin könne nicht an der Macht bleiben, und dann, als seine Äußerungen auf Kritik stießen, einen Rückzieher machte.

Frankreich und Deutschland für den diplomatischen Weg

"Wir sollten nicht eskalieren, weder mit Worten noch mit Taten", sagte am Wochenende etwa der französische Präsident Emmanuel Macron, als er zu Bidens Äußerungen befragt wurde. Um eine militärische Konfrontation mit Russland zu vermeiden, sei es das Ziel Frankreichs, auf diplomatischem Wege zunächst einen Waffenstillstand und dann den Abzug der russischen Truppen zu erreichen.

In Berlin ist man auf einer ähnlichen Wellenlänge wie in Paris. Der Sprecher von Bundeskanzler Olaf Scholz, Steffen Hebestreit, sagte am Montag vor Journalisten, dass es jetzt die oberste Priorität sei, einen Waffenstillstand zu erreichen.

Auf dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Nato in der vergangenen Woche hatte Scholz vor übereilten Schritten gewarnt, wie etwa der Aufgabe der Nato-Russland-Grundakte. Eine Aufkündigung dieser Vereinbarung würde Moskau dauerhaft die Tür vor der Nase zuschlagen und für beide Seiten verbindliche Verpflichtungen zur Stationierung von Truppen aufheben, so zwei mit den Gesprächen vertraute Beamte.

Die Bundesregierung sieht die Möglichkeit, dass die Grundakte und ihre Richtlinien eines Tages noch gebraucht werden könnten, sagte ein Insider. Die Grundakte aufzugeben wäre eine symbolische Geste, die nicht dazu beitragen würde, den Krieg zu beenden, sagte ein anderer. Letztendlich müssten die Verbündeten einen Weg finden, mit Putin umzugehen, ob sie wollen oder nicht.

Andere Staaten halten Diplomatie derzeit für kontraproduktiv

Italiens Ministerpräsident Mario Draghi wird voraussichtlich diese Woche mit Putin sprechen und einen Waffenstillstand und humanitäre Korridore fordern. Andere Nato-Staaten halten den Dialog, den Paris und Berlin mit dem Kreml führen, für kontraproduktiv. Diese Art der Diplomatie könnte Putin in die Hände spielen, heißt es in einem Dokument.

Das Vereinigte Königreich, Polen und andere mittel- und osteuropäische Staaten - mit Ausnahme Ungarns - sind laut demselben Dokument skeptisch, dass der russische Präsident es mit den Verhandlungen über ein akzeptables Friedensabkommen ernst meint.

Auf dem Nato-Gipfel fragte etwa der polnische Präsident Andrzej Duda die anderen Staats- und Regierungschefs, ob sie wirklich glaubten, dass Verhandlungen zu den von Putin vorgeschlagenen Bedingungen erfolgreich sein könnten und akzeptabel seien, berichten Insider. Wer diese Bedingungen unterstütze, der unterstütze Russland, sagte einer der Anwesenden.

Wer die Ukraine drängt, einem Friedensabkommen ohne den vollständigen Abzug der russischen Truppen zuzustimmen, "dient Putin", sagte ein Diplomat aus einem osteuropäischen Land. Und wer Putin die Hand reiche, tue dies häufig "nur zum Zwecke des Wahlkampfs" im eigenen Land.

Der britische Premierminister Boris Johnson äußerte sich ähnlich skeptisch über Putins Absichten, so eine weitere Person. Im Vorfeld des Treffens erklärte Johnson gegenüber Reportern, Putin habe mit seinem Vorgehen in der Ukraine bereits eine rote Linie überschritten.

Streit um territoriale Neuordnung der Ukraine

Zwei weitere hochrangige Diplomaten aus der Gruppe der Nationen, die einem Dialog mit Putin skeptisch gegenüberstehen, erklärten gegenüber Bloomberg, sie seien besorgt, dass Macron den ukrainischen Präsidenten Zelenskiy dazu drängen könnte, im Austausch für einen Waffenstillstand einer Neutralität zu Russlands Bedingungen zuzustimmen. Sie wiesen jedoch darauf hin, dass Macron die Forderungen Moskaus in Bezug auf territoriale Änderungen der Ukraine klar zurückgewiesen hat.

Zelenskiy sagte, er sei offen für die Annahme eines neutralen Status als Teil eines Friedensabkommens mit Russland, aber ein solcher Pakt müsse mit Sicherheitsgarantien einhergehen und in einem Referendum abgestimmt werden.

Einer der Diplomaten sagte, dass die offene Frage des ukrainischen Territoriums in künftigen diplomatischen Gesprächen das Risiko berge, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, und den Umfang etwaiger Sicherheitsgarantien erschweren würde. Ein hochrangiger westeuropäischer Beamter stellte in Frage, ob sich die Garantien auf die international anerkannten Grenzen der Ukraine oder auf die nach dem Krieg entstandenen Grenzen beziehen würden, wie aus einem anderen von Bloomberg eingesehenen Dokument hervorgeht.

Ein hochrangiger Beamter sagte, Frankreich tue nichts, ohne Zelenskiy zu konsultieren. Frankreich fordere den vollständigen Abzug der russischen Streitkräfte, fügte der Beamte hinzu und merkte an, dass Macron dies auch öffentlich gesagt habe. Der ukrainische Präsident hat wiederholt erklärt, dass er in Bezug auf die territoriale Integrität des Landes keine Kompromisse eingehen werde.

Streit um Aufrüstung der Ukraine

Ein weiterer Streitpunkt unter den Verbündeten ist die Frage, wie stark sie die Ukraine aufrüsten sollten. Sie warnen, dass ein in die Enge getriebener Putin auf Massenvernichtungswaffen zurückgreifen könnte, und betonen, dass sie keine direkte militärische Beteiligung der Nato am Ukraine-Krieg in Betracht ziehen werden.

Führende Vertreter des Vereinigten Königreichs, der baltischen Staaten und der meisten osteuropäischen Länder haben die Verbündeten aufgefordert, mehr Waffen nach Kiew zu schicken, darunter auch Flugabwehrwaffen, damit die ukrainischen Streitkräfte sich weiterhin gegen russische Angriffe und Bomben zur Wehr setzen können, sagten Personen, die mit den Nato-Gesprächen vertraut sind.

Ein hoher Beamter sagte seinen Gesprächspartnern, dass Putin keinen Vorwand brauche, wenn er handeln wolle, er würde einfach einen erfinden. Obwohl sie die Ukraine militärisch unterstützt haben, wiesen einige westeuropäische Regierungen darauf hin, dass der Art der Waffen, die bereitgestellt werden können, Grenzen gesetzt sind. Denn sie befürchten, dass die Lage außer Kontrolle geraten könnte.

Ein französischer Beamter sagte, die Entsendung von Panzern - die Präsident Macron öffentlich ausgeschlossen hat - und Kampfjets würde Öl ins Feuer gießen und den Hardlinern in Moskau in die Hände spielen.

Laut einer Person, die mit den Überlegungen in Moskau vertraut ist, würde die Entsendung von Waffen in die Ukraine nur weitere Ziele für die russische Armee schaffen und einen Waffenstillstand erschweren.

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