Weltwirtschaft

Ramadan offenbart die ersten Vorboten der Lebensmittelkrise im Nahen Osten

Lesezeit: 2 min
01.04.2022 14:00
Der Ausfall bedeutender Getreide- und Ölexporte infolge des Kriegs in der Ukraine beginnt sich im Nahen Osten niederzuschlagen.
Ramadan offenbart die ersten Vorboten der Lebensmittelkrise im Nahen Osten
Mai 2021: Eine Frau trinkt mit einer Freundin Tee und isst besondere Süßigkeiten zum Zuckerfest. (Foto: dpa)
Foto: Eman Helal

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet in einem Feature über die angespannte Situation bei der Lebensmittelversorgung im Nahen Osten:

Im Ramadan brechen viele muslimische Familien das Fasten nach Sonnenuntergang traditionell mit einem großen Buffet, auf dem auch vielerlei frittierte Speisen stehen. Gerade bei dieser eigentlich üppigen Abendmahlzeit, dem Iftar, dürften sich in diesem Jahr die verheerenden Folgen des Ukraine-Krieges für die Lebensmittelversorgung im Nahen Osten und in Nordafrika zeigen. Russland und die Ukraine stehen für mehr als 80 Prozent der weltweiten Exporte von Sonnenblumenöl, die Preise dafür sind im März binnen einer Woche um 64 Prozent in die Höhe geschossen. In dem wirtschaftlich ohnehin schon stark angeschlagenen Libanon ist damit das einst günstige Grundnahrungsmittel für einige längst unerschwinglich geworden.

"Als die Preise schon 2021 hochgegangen waren, habe ich dasselbe Öl für die Zubereitung mehrerer Speisen benutzt", sagt die Libanesin Mona Amsha, die mit ihren drei Kindern in einem heruntergekommenen Viertel der Hauptstadt Beirut lebt. "Jetzt kann ich selbst das nicht mehr machen." Sonnenblumenöl kostet im Libanon fast zehn Mal so viel wie vor drei Jahren. Und weil inzwischen auch weniger importiert wird, begrenzen Supermärkte die Käufe auf eine Flasche pro Kunde. "Ich kann meinen Kindern nicht einmal eine Platte Pommes Frites anbieten", berichtet Amsha Journalistinnen der Thomson Reuters Foundation am Telefon.

EIN LITER SONNENBLUMENÖL KOSTET IN ÄGYPTEN FAST ELF EURO

Der am Samstag beginnende Ramadan mit seinem feierlichen Fastenbrechen wirft ein Schlaglicht auf die Probleme, die in den stark von Speiseöl- und Getreide-Einfuhren abhängigen Ländern durch die Gefechte in der Ukraine entstehen. Ägypten, in vielen Jahren der weltgrößte Weizen-Importeur, hat die wegen des Kriegs in die Höhe schnellenden Preise für das Getreide bereits zu spüren bekommen. Inzwischen sind in Ägypten auch die Preise für Sonnenblumenöl um ein Viertel gestiegen. Im Laden kostet eine Ein-Liter-Flasche mittlerweile umgerechnet 10,60 Euro und entspricht damit fast zehn Prozent des monatlichen Mindestlohns.

"Wir halten das nicht durch", sagt die 47-jährige Maissa Mohamed, die aus Syrien nach Ägypten geflohen ist. Sie fürchtet, dass die Preise noch weiter steigen, wenn der Krieg in der Ukraine andauert. Nicht nur in Ägypten, sondern auch im Libanon trifft es gerade arme Bevölkerungsschichten und vor allem Flüchtlinge besonders hart. Im Libanon leben laut dem UN-Welternährungsprogramm (WFP) fast 90 Prozent der 1,5 Millionen syrischen Flüchtlinge bereits in extremer Armut und sind auf Lebensmittelhilfen angewiesen.

Für Kalima Deeb, die mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in einem provisorischen Flüchtlingslager im Libanon lebt, sind reich gedeckte Tische zum Fastenbrechen beim Ramadan nur noch eine ferne Erinnerung. "Wir könnte ich mir vorstellen, wie früher einen vollen Tisch zu haben, wenn es schon unmöglich ist, sich einen einzigen vollen Teller zu leisten?", sagt Deeb.

HILFSGRUPPEN: VOR UND NACH SONNENUNTERGANG NICHTS ZU ESSEN

In Schwierigkeiten geraten auch Hilfsorganisationen, die armen Familien im Ramadan oft mit Öl, Reis, Nudeln und anderen Lebensmitteln unter die Arme greifen. Inzwischen würden kleinere Portionen in eine solche Ramadan-Tüte getan, sagt Helferin Hosna Medhat, die in Ägypten mit Suppenküchen zusammenarbeitet. Zugleich sinkt auch noch die Spendenbereitschaft in Ägypten, wo die Währung zuletzt 15 Prozent an Wert verloren hat.

Im Libanon können Wohltätigkeitsorganisationen schon jetzt nicht mehr Schritt halten. "Die Nachfrage übersteigt unsere Vorräte bei weitem", sagt Rasha Beydoun, Leiterin der Initiative "Make A Difference". Familien, die sich das einst billige Speiseöl immer leisten konnten, bitten jetzt darum, dass es in ihre Kisten mit Lebensmittelspenden getan wird. Aber für die Hilfsorganisation sei es schwer, überhaupt an genug Öl zu kommen. "In diesem Ramadan, wenn Millionen Muslime ihr Fasten bei Sonnenuntergang brechen, stehen einige Familien vor einem nie endenden Fasten", sagt Beydoun. "Für sie gibt es vor und nach dem Sonnenuntergang nichts zu essen."


Mehr zum Thema:  

DWN
Finanzen
Finanzen Boom-Segment aktive ETFs: BlackRock startet fünf neue Fonds
07.09.2024

Blackrocks ETF-Tochter iShares erweitert ihr Angebot in Europa um fünf neue aktive ETFs. Ziel der Fonds ist es, Anlegern kostengünstige...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Flexible Arbeitszeiten: Sind Vollzeitjobs ein Auslaufmodell?
07.09.2024

Eine repräsentative Befragung der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass nur noch eine Minderheit eine Stelle mit festen Arbeitszeiten...

DWN
Finanzen
Finanzen Derivate Erklärung: So funktionieren Zertifikate, CFDs und Optionsscheine
07.09.2024

Derivate wie Futures, Optionen, Zertifikate, Optionsscheine, Swaps und CFDs sind heftig umstritten. Einige sehen darin notwendige...

DWN
Technologie
Technologie Wasserstoffprojekt in Namibia könnte KZ-Gedenkstätte gefährden
07.09.2024

Deutschland unterstützt ein Großprojekt zur Herstellung von grünem Wasserstoff in Lüderitz. An diesem Ort befand sich einst das erste...

DWN
Immobilien
Immobilien Tag des offenen Denkmals: 7 ungewöhnliche Monumente in Deutschland
07.09.2024

Ob Schloss Neuschwanstein oder Siegessäule: Viele Denkmäler in Deutschland sind international bekannt. Hier werfen wir einen Blick auf...

DWN
Technologie
Technologie Stromerzeugung aus Windkraft: Die Dynamik nimmt ab
07.09.2024

Im vergangenen Jahr war Windkraft erstmals die Hauptquelle der hiesigen Stromerzeugung, weit vor Kohle. Doch in diesem Jahr ist eine...

DWN
Politik
Politik Trump-Erfolg im Schweigegeld-Prozess: Urteil erst nach US-Wahl
07.09.2024

Im New Yorker Prozess wegen Schweigegeldzahlungen von Ex-Präsident Donald Trump wird das Strafmaß erst nach der Präsidentschaftswahl...

DWN
Panorama
Panorama Studie: Ungesunde Ernährung bereits bei Kleinkindern weit verbreitet
07.09.2024

Laut einer aktuellen Studie ernähren sich bereits Kleinkinder zu süß und ungesund. Wie das Max Rubner-Institut (MRI) in Karlsruhe, ein...