Finanzen

Inflation bringt größte Anleihen-Blase der Geschichte zum Platzen

Unternehmensanleihen weltweit haben im ersten Quartal mehr als 1 Billion Dollar an Wert verloren - so viel wie nie zuvor. Und weitere Verluste sind absehbar.
02.04.2022 09:29
Lesezeit: 6 min

Die weltweite Menge der sichersten Unternehmensanleihen ist in diesem Jahr bereits um 805 Milliarden Dollar geschrumpft, während der globale Markt für Junk-Bonds 236 Milliarden Dollar verloren hat, wie von Bloomberg zusammengestellte Daten zeigen. Dieser Rückgang um insgesamt mehr als 1 Billion Dollar ist der größte Rückgang seit Beginn der entsprechenden Aufzeichnungen vor über 20 Jahren.

Der Einbruch im ersten Quartal bringt den größten Renditeverlust für erstklassige Anleihen seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im Jahr 2008 sowie die schlechteste Rendite für Ramschpapiere seit Beginn der Pandemie. Allein der US-Markt für Investment-Grade-Anleihen verlor etwa 440 Milliarden Dollar an Marktwert und verzeichnet voraussichtlich den größten dreimonatigen Einbruch seit 1980.

Anleihen stehen weiterhin unter dem Druck der starken Inflation, welche die Zentralbanken dazu veranlasst, die Zinssätze zu erhöhen, was wiederum das Risiko einer Konjunkturabschwächung birgt. "Wir sind weit genug davon entfernt, ein klares Bild von der Inflation zu erhalten, sodass man davon ausgehen muss, dass die Volatilität anhalten wird", zitiert Bloomberg Brad Rogoff, Leiter des globalen FICC-Research bei Barclays.

Da die Verluste deutlich anstiegen, zogen sich Kleinanleger aus Anleihefonds zurück. Diese Abflüsse werden sich wahrscheinlich noch verstärken, da sie in der Regel den Renditen um etwa einen Monat hinterherhinken, schrieben die Strategen der Bank of America am Dienstag. Eine kürzlich von der Bank durchgeführte Umfrage ergab, dass die Inflation derzeit die größte Sorge der Kreditanleger ist, gefolgt von geopolitischen Risiken.

Die Verluste zeigten sich vor allem auf dem Markt für erstklassige Unternehmensanleihen. Dieser Markt hängt enger mit dem Markt der weltweiten Staatsanleihen zusammen, wo die Renditen wegen der erwarteten strafferen Geldpolitik zuletzt ebenfalls deutlich gestiegen waren. Dies ist auf die höhere Duration zurückzuführen, eine Bezeichnung für die Preisempfindlichkeit von Anleihen gegenüber Zinsänderungen.

Die Renditen 10-jähriger US-Staatsanleihen und deutscher Bundesanleihen sind zuletzt auf den höchsten Stand seit 2019 beziehungsweise 2018 gestiegen. Die Renditen für zweijährige US-Staatsanleihen überstiegen am Dienstag zum ersten Mal seit 2019 kurzzeitig das Niveau für zehnjährige Anleihen, was darauf hindeutet, dass Zinserhöhungen der Federal Reserve eine Rezession auslösen könnten.

Unterdessen ist der Risikoaufschlag von Unternehmensanleihen gegenüber vermeintlich sicheren Staatsanleihen in diesem Jahr ebenfalls sprunghaft angestiegen. Nachdem die Spreads in den letzten Wochen einen Teil ihrer Ausweitung rückgängig gemacht haben, erwarten Analysten, dass der Druck nun wieder zunehmen wird.

In Europa machen Anleihen, die mit einem Abschlag auf den Nennwert gehandelt werden, inzwischen zwei Drittel des Euro-High-Grade-Marktes aus, während es Ende 2021 noch etwa ein Viertel war. Doch was jetzt billig aussieht, kann später durchaus noch billiger werden, zumal die Risiken, die zu den Verlusten im ersten Quartal geführt haben, wohl weiter bestehen werden.

Der gesamte globale Anleihenmarkt einschließlich Staatsanleihen hat seit Jahresbeginn sogar schon 2,6 Billionen Dollar eingebüßt. In den USA erreichte der Anleihemarkt im August 2020 seinen Höchststand und hat seitdem 8,7 Prozent verloren. Die Korrektur dauert nun also schon 19 Monate an und ist damit die längste in den Daten seit 1996.

Anleihen mit langen Laufzeiten wurden besonders hart getroffen. Dies lässt sich am iShares 20-plus Year Treasury Bond ETF ablesen, der Staatsanleihen mit einer Restlaufzeit von 20 Jahren oder mehr abbildet. Da es sich um einen Staatsanleihenfonds handelt, soll er konservativ und sicher sein. Sein Kurs ist seit dem Höchststand im August 2020 um erschreckende 24 Prozent gesunken.

Die aktuelle Korrektur am Anleihenmarkt folgt auf den größten Anleihen-Bullenmarkt aller Zeiten, der im Oktober 1981 begann, als die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen einen Höchststand von 16 Prozent erreichte. Dann begann die Fed, die Zinsen in großen Schritten zu senken, und beendete damit einen der schlimmsten Bärenmärkte für Anleihen.

Es folgte der längste Bullenmarkt für Anleihen, der längt in eine riesige Blase übergegangen ist. In den USA dauerte der Bullenmarkt für Anleihen, die von einigen bemerkenswerten Korrekturen unterbrochen wurde, immerhin 40 Jahre. Er endete m 4. August 2020, als die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen bei 0,52 Prozent schloss, der niedrigsten Schlussrendite der Geschichte. Dies war auch der Höhepunkt der Anleihenblase.

In vielen Ländern trieben die Zentralbanken die Hausse am Anleihemarkt noch weiter, indem sie die Zinssätze sogar unter Null senkten und die Renditen eines ganzen Spektrums von Staats- und Unternehmensanleihen unter Null drückten. Im Dezember 2020 belief sich der Gesamtbetrag der weltweiten Schulden mit negativen Renditen laut Bloomberg auf 18 Billionen Dollar.

"Negativ verzinste Anleihen sind völliger Irrsinn", schreibt der Analyst Wolf Richter. "Aber so weit sind die Zentralbanken gegangen, um die größte Anleihen-Blase aller Zeiten durch Zinsunterdrückung und Gelddrucken anzuheizen." Indem die Zentralbanken über Jahrzehnte Anleihen mit neu geschaffenem Geld kauften, trieben sie die Anleihekurse in die Höhe und drückten damit die Renditen entsprechend nach unten.

Die unausweichliche Folge dieser Geldpolitik ist die Inflation, die nun immer stärker steigt. Unter den Industrieländern ist die Inflation in den USA am höchsten. Nur in Brasilien oder Russland ist die Inflation noch höher. In Russland liegt der Leitzins der Zentralbank inzwischen bei über 20 Prozent, und in Brasilien beträgt er fast 12 Prozent. In den USA hingegen liegt die obere Grenze der Leitzins-Spanne bei nur 0,5 Prozent.

Zwischen 1965 und 1981 fielen die Anleihekurse immer weiter, jede Erholung wurde zunichte gemacht, und die galoppierende Inflation machte allen einen Strich durch die Rechnung. In diesen 16 Jahren stieg die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihen um 12 Prozentpunkte von 4 Prozent im Jahr 1965 auf rekordhohe 16 Prozent im Oktober 1981.

Diese Entwicklung hat den Anleihemarkt so sehr in Mitleidenschaft gezogen, dass der Anleihemarkt einige Jahre brauchte, bis die Wunden heilten und die Renditen langsam wieder zu sinken begannen, selbst nachdem die US-Notenbank in der zweiten Hälfte des Jahres 1981 längst damit begonnen hatte, die Zinssätze in großen Schritten zu senken.

Das Jahr 2008 war ein besonderes für den Anleihemarkt, weil die Federal Reserve den Markt betrat und Billionen von Dollar an Staatsanleihen und hypothekarisch gesicherten Wertpapieren aufkaufte. In der Folge der anhaltenden Wertpapierkäufe durch die Fed verschwanden auch die letzten Reste von Wachsamkeit aus dem Anleihemarkt.

Nach Ansicht von Wolf Richter wird die Fed nun "die kurzfristigen Zinssätze anheben und ihre Bilanz schrumpfen, und zwar viel schneller, als man sich das noch vor ein paar Monaten vorstellen konnte". Die Notenbank tue dies, "weil die Inflation das größte verdammte Problem ist, mit dem diese Wirtschaft jetzt konfrontiert ist und noch jahrelang konfrontiert sein wird".

"Die Lohn-Preis-Spirale ist in Gang gekommen, und Billionen von Dollar an überschüssiger Liquidität aus dem Gelddrucken und aus den Zuwendungen der US-Regierung schwimmen immer noch bei den Unternehmen, den Regierungen der Bundesstaaten und den Verbrauchern herum, und sie werden dieses Geld ausgeben."

Wenn die US-Notenbank dieses Problem nun angeht, bedeutet das für die Zukunft steigende Renditen und steigende Zinssätze, niedrigere Anleihekurse, niedrigere Immobilienpreise und niedrigere Aktienkurse. "Viele Vermögenswerte werden in dieser neuen Ära wesentlich höherer Zinssätze neu bewertet werden", so Richter.

Und weiter: "Aber da die Fed so weit hinter der Kurve liegt und immer noch viel zu langsam handelt, wird sich das Durchgreifen über Jahre hinziehen, und die Fed wird jahrelang der Inflation hinterherjagen. [...] Der Zeitraum, der sich mit der heutigen Situation vergleichen lässt, ist nicht 2018 oder 2016 oder 2008, sondern 1965 bis 1981. Das ist die jüngste historische Parallele zu der ungezügelten Inflation, die wir heute erleben."

Allerdings gibt es Richter zufolge einen großen Unterschied zu damals: "Die Fed verfügt über ein sehr wirksames Instrument zur Inflationsbekämpfung, das sie in den 1970er Jahren noch nicht hatte: ihre 9-Billionen-Dollar-Bilanz. Die Fed kann sich von einem Teil dieser 9 Billionen Dollar an Wertpapieren trennen, indem sie sie ersatzlos auslaufen lässt oder sie ganz verkauft." Und weiter:

"Diese quantitative Straffung (QT) ist das Gegenteil der quantitativen Lockerung (QE), und wenn die Fed hart genug durchgreift, wird sie die langfristigen Renditen in die Höhe treiben, was die Kosten für die Kreditaufnahme in allen Bereichen erhöht, von Hypotheken bis zu Ramschanleihen. Auf diese Weise wird die Fed die kurzfristigen Zinsen nicht mehr so stark anheben müssen wie 1980.

Wenn die Fed die kurzfristigen Zinssätze auf 3 % oder 4 % anhebt, wird genügend QT dafür sorgen, dass die langfristigen Renditen, wie z. B. die Rendite 10-jähriger Staatsanleihen, bei 6 % oder höher liegen könnten. Dies würde bedeuten, dass 30-jährige Festhypothekenzinsen bei 7 % und höher liegen. Dies würde eine massive Neubewertung nicht nur des Anleihemarktes, sondern auch des Immobilienmarktes bedeuten.

Wenn die Fed in den nächsten Jahren Wertpapiere im Wert von 5 Billionen Dollar abstößt, wird sie dem Markt 5 Billionen Dollar an Liquidität entziehen und die Psychologie des Marktes sowie die Auswirkungen des QE seit März 2020 zunichte machen. Und das ist eine gewaltige Sache. Und es wird eine massive Neubewertung des Aktienmarktes auslösen."

Nach Ansicht von Wolf Richter werden die kommenden Kursverluste dazu führen, dass viele Leute, die zuletzt nur noch mit Aktien und Kryptowährungen gehandelt haben, nun wieder in den Arbeitsmarkt eintreten werden. Dies werde den Arbeitskräftemangel verringern, was wiederum auch den Inflationsdruck weiter verringert. "Und das wäre auch eine gute Sache."

Wenn die Fed hingegen nicht den Mut zur quantitativen Straffung hat, werde die Inflation weiter ansteigen. Zudem werde in diesem Falle die Rolle des Dollars als dominierende globale Reservewährung noch viel schneller schrumpfen, als in den letzten Jahren schon. Und die Rolle des Dollars als dominierende globale Investitionswährung werde verpuffen, seine Rolle als Handelswährung werde "vielleicht irreparablen Schaden erleiden".

Viele Anleihegläubiger werden dabei offensichtlich viel Geld verlieren. Aber für künftige Investoren, die Anleihen mit viel höheren Renditen kaufen werden, könnten diese Renditen sogar wieder die Inflation übertreffen. Zudem wären die Schuldner gezwungen, die Investoren für die Risiken zu entschädigen. Richter sagt: "Das würde das Ende des kostenloses Geldes bedeuten. Und auch das wäre eine gute Sache."

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