Finanzen

Großhandelspreise explodieren - stärkster Anstieg seit 1962

Energiewende, Corona-Pandemie und Krieg: die Großhandelspreise in Deutschland laufen aus dem Ruder.
12.04.2022 09:00
Aktualisiert: 12.04.2022 09:14
Lesezeit: 3 min

Die Preise im Großhandel in Deutschland sind im März mit Rekordgeschwindigkeit gestiegen. Gegenüber dem Vorjahresmonat erhöhten sie sich um 22,6 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag in Wiesbaden mitteilte. Das ist der höchste Anstieg seit Beginn der Berechnung im Jahr 1962. Im Februar hatte die Rate mit 16,2 Prozent bereits hoch gelegen, allerdings bei weitem nicht so hoch wie aktuell. Im Monatsvergleich stiegen die Großhandelspreise um 6,9 Prozent, auch das ist ein Rekordzuwachs.

In den Ergebnissen dürften auch die ersten Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine sichtbar sein, erklärten die Statistiker. Stichtag der Erhebung war der 5. März, also etwa eineinhalb Wochen nach der Invasion. Als Folge des Angriffs und scharfer Sanktionen westlicher Länder sind die Preise vieler Energieträger und Rohstoffe stark gestiegen. Zuvor hatte schon die Corona-Pandemie sowie die Energiepolitik von EU und Bundesregierung ("Green Deal", "Energiewende") für gestörte Lieferketten und massivePreisanstiege gesorgt.

Der Großhandel ist eine von mehreren Wirtschaftsstufen, auf denen sich das allgemeine Preisniveau bildet. Neben dem Großhandel zählen dazu die Preise für nach Deutschland eingeführte Güter und die Preise, die Hersteller für ihre Produkte erhalten. Sie alle wirken auf die Verbraucherpreise, an denen die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Geldpolitik ausrichtet. Sowohl in Deutschland als auch in der Eurozone ist der Preisauftrieb derzeit sehr hoch.

Inflation auf höchstem Stand seit 1981

Nach Einschätzung des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) haben sich die Inflationsrisiken nochmals deutlich erhöht. "Zentraler Treiber für den Höhenflug der Verbraucherpreise sind derzeit vor allem die durch den Krieg in der Ukraine stark beeinflussten Rohölnotierungen", erläuterte BVR-Vorstand Andreas Martin.

Angeheizt von massiv gestiegenen Energiepreisen kletterte die Jahresinflationsrate im März auf 7,3 Prozent. Das Statistische Bundesamt bestätigte damit am Dienstag eine erste Schätzung. Es ist die höchste Teuerungsrate im wiedervereinigten Deutschland. In den alten Bundesländern gab es einen ähnlich hohen Wert zuletzt im Herbst 1981. Im Februar hatte die Jahresinflationsrate noch bei 5,1 Prozent gelegen. Höhere Teuerungsraten schmälern die Kaufkraft von Verbraucherinnen und Verbrauchern, weil sie sich für einen Euro dann weniger leisten können.

Der russische Angriff auf die Ukraine Ende Februar trieb die schon seit Monaten steigenden Öl- und Gaspreise weiter nach oben. Im März verteuerte sich leichtes Heizöl gegenüber dem Vorjahresmonat um mehr als das Doppelte (plus 144,0 Prozent). Der Besuch an der Tankstelle kostete 47,4 Prozent und Erdgas 41,8 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Auch für Strom und feste Brennstoffe wie Kohle mussten Verbraucherinnen und Verbraucher tiefer in die Tasche greifen. Ohne Energie hätte die Inflationsrate bei 3,6 Prozent gelegen.

Doch nicht nur an der Tankstelle und auf der Heizkostenrechnung ist der Blick auf die Preise für viele Verbraucher ein Schock. Auch Lebensmittel werden immer teurer. Im März kosteten Nahrungsmittel 6,2 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Der Preisauftrieb beschleunigte sich damit (Februar: plus 5,3 Prozent). Teuer wurden vor allem Speisefette und Speiseöle (plus 17,2 Prozent) sowie frisches Gemüse (+14,8 Prozent).

Ein Ende des Anstiegs der Lebensmittelpreise ist vorerst nicht in Sicht. So kündigten jüngst verschiedene Supermarktketten weitere Preiserhöhungen für bestimmte Produkte an, darunter Discount-Marktführer Aldi. Es werde an der Supermarktkasse erst einmal keine anhaltende Abwärtsbewegung mehr geben, meinte auch Josef Sanktjohanser, Präsident des Handelsverbands Deutschland (HDE).

Gegenüber dem Vormonat Februar kletterten die Verbraucherpreise im März insgesamt um 2,5 Prozent.

Was die Bundesregierung tut

Für immer mehr Menschen werden gestiegene Verbraucherpreise zur Belastung. Etwa jeder siebte Erwachsene in Deutschland (15,2 Prozent) kann nach eigenen Angaben laut einer Yougov-Umfrage im Auftrag der Postbank von Ende März kaum noch seine Lebenshaltungskosten bestreiten. Bei der Vergleichsumfrage im Januar lag der Anteil noch bei 11 Prozent. Zwei Drittel der 2144 Befragten gaben an, dass sie ihre Ausgaben aufgrund der steigenden Preise verringert haben.

Vor dem Hintergrund gestiegener Energiepreise einigte sich die Ampel-Koalition auf ein zweites Paket zur Entlastung der Verbraucher. Geplant sind unter anderem eine Energiepreispauschale, eine Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe für drei Monate sowie Hilfen für Familien und Geringverdiener.

Ökonomen rechnen für das Gesamtjahr derzeit mit einer durchschnittlichen Teuerungsrate von mehr als sechs Prozent in Europas größter Volkswirtschaft.

Das wichtigste Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB) gerät damit in immer weitere Ferne: Die Notenbank strebt im Euroraum mittelfristig stabile Preise bei einer Teuerungsrate von zwei Prozent an. Ökonomen schließen eine EZB-Leitzinserhöhung in diesem Jahr nicht mehr aus. Mit höheren Zinsen kann eine steigende Inflation im Euroraum bekämpft werden, gegen hohe Energiepreise können Notenbanken allerdings nicht viel machen.

Die Währungshüter haben aber ein Auge darauf, dass es nicht zu einer gefährlichen Lohn-Preis-Spirale kommt. Klettern die Löhne als Reaktion auf hohe Inflationsraten zu stark, könnte das die Preise weiter anheizen, weil Unternehmen gestiegene Löhne als Rechtfertigung von weiteren Preiserhöhungen heranziehen. Löhne und Preise schaukeln sich dann gegenseitig hoch. Bislang sieht die EZB aber noch keine Anzeichen für eine solche Entwicklung.

Im gemeinsamen Währungsraum erreichte die Teuerungsrate im März mit 7,5 Prozent den höchsten Stand seit Einführung des Euro als Verrechnungswährung 1999. Bislang hat die EZB in Aussicht gestellt, ihre milliardenschweren Anleihenkäufe schneller zurückzufahren als zuvor geplant. Im dritten Quartal könnte demnach der Ankauf zusätzlicher Anleihen von Staaten und Unternehmen eingestellt werden. Wann genau danach die Zinsen angehoben werden, ließen die Währungshüter offen. Der EZB-Rat kommt an diesem Donnerstag zu seiner nächsten Sitzung zusammen.

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