Politik

Historischer Wohlstandsverlust ergreift Großbritannien

Lesezeit: 3 min
14.04.2022 10:00
Viele Briten kommen kaum noch über die Runden. Zugleich rüstet London am anderen Ende der Welt massiv auf.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Angesichts steigender Lebenshaltungskosten haben Betreiber Hunderter gemeinnütziger Tafeln in Großbritannien schnelle Gegenmaßnahmen der Regierung gefordert. „Wir sind tief besorgt über das Ausmaß des Leids, das wir beobachten, sowie über unsere Kapazitäten, Menschen in den kommenden Wochen und Monaten vor Hunger zu bewahren“, hieß es in einem Schreiben des Independent Food Aid Network, in dem sich mehr als 550 Tafeln organisiert haben, an die britische Regierung. Armut und Hunger seien „rapide gestiegen“.

Ein Notfallpaket mit Lebensmitteln, wie es die Tafeln im ganzen Land ausgeben, könne nicht die finanzielle Not eines Menschen lindern, sondern diene nur als „kurzzeitiges Pflaster“. Stattdessen seien dringend Maßnahmen notwendig, die mehr Jobsicherheit und höhere Löhne gewährleisteten sowie Notfallzahlungen ermöglichten. Derzeit gebe es durch steigende Preise für Lebensmittel, Energie und andere Waren erhebliche Einschnitte für viele Bürgerinnen und Bürger. Es kämen nun Menschen zu den Tafeln, die zuvor noch selbst Lebensmittel gespendet hätten.

In Großbritannien gibt es beim Wohlstand ein deutliches regionales Gefälle. Während der Süden sowie die Region um London wirtschaftlich stark und wohlhabender ist, gibt es gerade im Norden Englands extrem abgehängte Landstriche, die schon vor dem aktuellen Anstieg der Preise hohe Armutsquoten hatten. Die konservative Regierung hat „Levelling up“ - also die Angleichung der Lebensverhältnisse und Förderung vernachlässigter Regionen - zu einer zentralen Aufgabe erklärt, allerdings bislang kaum mit konkreten Maßnahmen unterfüttert.

Hohe Energiepreise belasten den Wohlstand

In einer Analyse schreibt das Centre for Economics and Business Research zum Anstieg der Energiepreise: „Der durchschnittliche britische Haushalt zahlt jetzt 54 % mehr für seine Energierechnung im Vergleich zu den sechs Monaten zwischen Oktober 2021 und März 2022 und satte 73 % mehr als im Vergleich zum Vorjahr. Unterdessen sind die Benzinpreise gegenüber dem Vorjahr um 30 % gestiegen, während die Dieselpreise sogar noch schneller um 36 % gestiegen sind. Kurz gesagt, die Lebenshaltungskostenkrise ist in Großbritannien angekommen. In den kommenden Monaten wird die Gesamtinflation voraussichtlich um weitere 2,5 Prozentpunkte gegenüber ihrem Stand von 6,2 % im Februar steigen und damit das Lohnwachstum, das seit den statistisch überhöhten Höchstständen im Sommer letzten Jahres rückläufig ist, bei weitem übertreffen.“

Inflation steigt weiter an

In Großbritannien hat sich der bereits starke Anstieg der Verbraucherpreise noch einmal beschleunigt. Im März stiegen sie gegenüber dem Vorjahresmonat um 7 Prozent, wie das Statistikamt ONS am Mittwoch in London mitteilte. Das ist die höchste Rate seit Beginn der Aufzeichnung 1997. Das ONS kommt anhand einer historischen Modellrechnung auch auf die höchste Inflationsrate seit 1992, also seit 30 Jahren. Im Februar waren die Lebenshaltungskosten um 6,2 Prozent und im Januar um 5,5 Prozent gestiegen. Auch auf Monatssicht legten die Verbraucherpreise im März unerwartet deutlich um 1,1 Prozent zu.

Der Preisauftrieb fiel laut ONS breit aus. So wurden Kraftstoffe, Metalle und Gebrauchtwagen teurer. Zudem gab es Preisanstiege bei Essen in Restaurants, Hotels, Möbeln, Bekleidung und Schuhen. Die Inflationsrate liegt klar über dem Ziel der britischen Notenbank von zwei Prozent. Die Bank of England hat bereits mehrfach die Zinsen zur Dämpfung der hohen Teuerung angehoben, während die Europäische Zentralbank (EZB) weiter abwartet.

Aufrüstung gegen China wird vorangetrieben

Während viele Bürger kaum noch finanziell über die Runden kommen, rüstet Großbritannien auf der anderen Seite des Erdballs kräftig auf.

So wollen die im sogenannten Aukus-Militärbündnis versammelten Staaten USA, Großbritannien und Australien angeblich Japan für ihren Pakt für den Südpazifik gewinnen. Wie die japanische Tageszeitung Sankei Shimbun unter Berufung auf mehrere Regierungsquellen berichtete, hätten die drei Staaten das Hochtechnologieland Japan wegen seiner Fähigkeiten in Bereichen wie künstliche Intelligenz (KI) und Quantentechnologie informell um eine Beteiligung an dem Bündnis gebeten.

Die USA hatten das Militärbündnis im vergangenen Jahr mit Großbritannien und Australien bekanntgegeben, um die wirtschaftliche und militärische Expansion Chinas in dieser Weltgegend einzudämmen. Hintergrund ist das Ziel der US-Regierung, den Aufstieg jeglicher Macht zu verhindern, die die globale Dominanz der USA in Frage stellen könnte.

Die beteiligten Staaten wollen im Bereich Verteidigungsinnovationen wie zum Beispiel elektronische Kampfführung oder Cybersicherheit verstärkt zusammenarbeiten. Dazu gehört auch die Entwicklung von Hyperschall-Raketen. Mit Hyperschall werden Geschwindigkeiten oberhalb der fünffachen Schallgeschwindigkeit bezeichnet. Solche Waffen können nur schwer abgefangen werden. Wie ballistische Raketen können auch Hyperschallraketen potenziell Nuklearwaffen tragen.

Innerhalb der japanischen Regierung gebe es zwar positive Stimmen bezüglich einer Beteiligung. Andererseits kooperiere Japan bereits bilateral mit den drei Aukus-Staaten, so die Zeitung. Zudem könne Japan bei Atom-U-Booten nicht kooperieren. Japan steht zwar unter dem atomaren Schutzschild der USA. Es hält aber an den Prinzipien fest, keine Atomwaffen zu bauen, keine zu besitzen und auch deren Stationierung auf dem eigenem Boden nicht zu erlauben.


Mehr zum Thema:  

DWN
Unternehmen
Unternehmen Neue Verträge: Nach dem KaDeWe sind auch Oberpollinger und Alsterhaus gerettet
26.07.2024

Die berühmten Flaggschiffe der deutschen Warenhäuser scheinen nach der Pleite des Immobilien-Hasardeurs René Benko endlich gerettet zu...

DWN
Politik
Politik Ukraine-Hilfsgelder von Russland: EU gibt Erträge aus dem eingefrorenen Vermögen frei
26.07.2024

Die Europäische Union hat jetzt die ersten Zinserträge aus dem im Westen eingefrorenem russischen Staatsvermögen freigegeben. Die...

DWN
Politik
Politik Der Chefredakteur kommentiert: Islamisches Zentrum Hamburg - ein längst überfälliges Verbot, Frau Faeser!
26.07.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Bundeskanzler Scholz zu irregulärer Migration: „Die Zahlen müssen runter“
26.07.2024

Erwerbsmigration nach Deutschland sei erwünscht, meint der Kanzler. Problematisch findet er unerlaubte Einreisen. Eine Innenexpertin der...

DWN
Panorama
Panorama ADAC warnt: Es droht schlimmstes Stau-Wochenende der Saison
26.07.2024

Wer nun in den Urlaub fährt, sollte etwas mehr Zeit einplanen und mitunter starke Nerven haben. Der ADAC rechnet mit vielen Staus. Lassen...

DWN
Politik
Politik Außenministerin Baerbock: Seegerichtshof in Hamburg wird an Bedeutung gewinnen
26.07.2024

In Hamburg informiert sich die Außenministerin bei ihrer Sommerreise über die Arbeit des Internationalen Seegerichtshofs. Anschließend...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB nach Stresstest: Banken haben Verbesserungsbedarf bei Cyber-Angriffen
26.07.2024

Seit der Finanzkrise 2008 wird genauer hingeschaut bei den Banken. Im Euroraum müssen sich die Institute nach Einschätzung der...

DWN
Politik
Politik Verfassungsschutz weist auf russische Sabotageversuche hin
26.07.2024

Der deutsche Inlandsgeheimdienst beobachtet schon länger verstärkte russische Geheimdienstaktivitäten. Neue Hinweise veranlassen ihn...