Politik

Nutzen nicht ersichtlich: Afrikaner verzichten auf Corona-Impfung

Lesezeit: 3 min
18.05.2022 15:40  Aktualisiert: 18.05.2022 15:40
Die Corona-Impfstationen in Afrika stehen leer, Millionen unbenutzter Fläschchen stapeln sich. Die Menschen haben hier andere Sorgen, vor allem die Inflation.
Nutzen nicht ersichtlich: Afrikaner verzichten auf Corona-Impfung
Uganda: Ein Mann erhält eine Dosis des chinesischen Impfstoffs Sinovac Covid-19. (Foto: dpa)
Foto: Hajarah Nalwadda

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

In der der Mamprobi-Klinik in Ghanas Hauptstadt Accra herrscht reger Betrieb. Es ist laut, Kinder klettern über ihre Mütter, während sie auf ihre Masernimpfung warten. In einem für Corona-Impfungen reservierten Bereich draußen herrscht dagegen gähnende Leere. Eine Frau, die darauf wartet, dass ihre Tochter geimpft wird, ist sich des Risikos durchaus bewusst, das die Masern mit sich bringen: das hohe Fieber, der Ausschlag, das Risiko für das Sehvermögen. Aber Covid-19? Sie hat noch nie von einem einzigen Fall gehört.

Die Haltung, dass Covid-19 keine große Bedrohung darstellt, ist in der ghanaischen Hauptstadt wie andernorts in Afrika weit verbreitet. Dort gibt es dank der jungen Bevölkerung nur einen Bruchteil der Opferzahlen von Europa und Amerika zu beklagen, wo die Krankheit vor allem ältere Menschen dahinraffte. "Ghana ist bis jetzt verschont geblieben", sagt der 28-jährige Bauarbeiter Nana Kwaku Addo aus Accra. "Ich habe gehört, dass Leute sagen, es sei gesunder Menschenverstand (sich impfen zu lassen) - aber was ist mit all den anderen Ländern, die geimpft haben und die Menschen trotzdem in den Lockdown schickten?"

Nur 17 Prozent der 1,3 Milliarden Afrikaner sind vollständig gegen Covid-19 geimpft. In vielen wohlhabenden Ländern liegt die Quote bei über 70 Prozent - zum Teil auch deshalb, weil sie im vergangenen Jahr, als die weltweite Nachfrage am größten war, Vorräte horteten. Leidtragende waren die auf Lieferungen aus dem Ausland angewiesenen Länder Afrikas. Jetzt, wo der Bedarf in vielen Industrienationen gesättigt ist und die Impfdosen endlich auf dem afrikanischen Kontinent ankommen, sinkt dort auch die Nachfrage. Denn die Menschen haben weniger Angst vor Corona, Fehlinformationen über die Impfstoffe haben sich verfestigt.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO sank die Zahl der Impfungen im März um 35 Prozent, im Februar war noch ein Anstieg um 23 Prozent verzeichnet worden. "Wenn wir früher geimpft worden wären, würde so etwas nicht passieren", sagt Christina Odei, die Leiterin des Covid-Teams in der Mamprobi-Klinik, über das geringe Interesse an der Impfung in Accra. "Ursprünglich wollten es alle, aber wir hatten die Impfstoffe nicht. Gesundheitsexperten macht das Sorgen, denn die niedrige Impfquote erhöht das Risiko, dass sich auf dem Kontinent neue Varianten entwickeln, die auf Regionen wie Europa überschwappen, wo die meisten Corona-Maßnahmen inzwischen aufgehoben wurden.

Mehr zum Thema: Auswandern nach Afrika - und leben ohne Corona

In Südafrika, dem am stärksten betroffenen Land auf dem Kontinent, sind die Fallzahlen in den letzten Wochen angesichts von zwei Omikron-Untervarianten wieder in die Höhe geschnellt. Die Behörden warnen bereits vor einer fünften Infektionswelle. Um die Impfquote zu erhöhen, werden mobile Impfteams in die Gemeinden geschickt, um Impfungen vor Ort anbieten zu können. Viele Länder können sich jedoch die Fahrzeuge, den Treibstoff, die Kühlboxen und die Gehälter, die für eine flächendeckende Kampagne vonnöten sind, nicht leisten. Die Finanzierung über Spenden ist zudem nur langsam angelaufen.

Rahab Mwaniki, Afrika-Koordinatorin beim Bündnis People's Vaccine Alliance, sagt, es sei von den Afrikanern viel verlangt, Covid-Impfungen zu priorisieren, um Menschen anderswo auf der Welt zu schützen - vor allem angesichts der niedrigen Infektionsraten in Afrika selbst. "Viele Menschen sagen: Ihr habt uns nicht geholfen. Sie haben das Gefühl, dass der Westen sie nie wirklich unterstützt hat." Trotzdem sollten sich die Menschen impfen lassen, um sich selbst und andere vor neuen Varianten zu schützen, betont sie.

Doch die Afrikaner sind Leid gewohnt und mit tödlichen Krankheiten vertraut. Millionen erkranken jedes Jahr an Tuberkulose. An Malaria sterben jährlich Hunderttausende, meist Kinder unter fünf Jahren. In der Demokratischen Republik Kongo taucht regelmäßig Ebola auf. In Westafrika herrscht derweil die schlimmste Nahrungsmittelkrise aller Zeiten, ausgelöst durch Konflikte, Dürre und die Folgen des Krieges in der Ukraine für die Lebensmittelpreise. Für viele hier ist Covid-19 daher nicht die größte Sorge. Bei einer Infektion sind vor allem Ältere gefährdet - doch in Afrika liegt das Durchschnittsalter gerade einmal bei 20 Jahren.

Nach Monaten des Mangels hat Afrika mehr Impfdosen als man verimpfen kann. Impfstationen stehen leer, Millionen unbenutzter Fläschchen stapeln sich, und einer der ersten Impfstoffhersteller Afrikas wartet immer noch auf einen Auftrag. "Lassen Sie mich Ihnen eine Frage stellen", sagte Mawule, ein Geschäftsmann in Accra. "Ist Covid im Moment das größte Problem in Ghana? Glauben Sie, dass es ein größeres Problem ist als die Inflation?" In der Klinik in Mamprobi werden nun die Mitarbeiter selbst aktiv. Sie gehen zu Marktständen und Geschäften in der Gegend, mit einer Kühlbox voll Impfstoff über der Schulter, und fragen die Leute dort, ob sie eine Impfung wollen. Doch nur vier Dosen hat das Team nach einer Stunde in der sengenden Sonne verabreicht.


Mehr zum Thema:  

DWN
Politik
Politik Flüchtlingswellen und Wirtschaftskrisen: Was ein Zerfall der Levante für Deutschland bedeuten würde
24.11.2024

Die Levante könnte sich zur Achillesferse Europas entwickeln, wenn sich der schwelende Konflikt zwischen Israel und Iran zu einem...

DWN
Panorama
Panorama Alarmierende Umfrage: Kriege und Klimakrise belasten Schüler in Deutschland
24.11.2024

Eine neue Umfrage zeigt: Viele Schülerinnen und Schüler in Deutschland sind von Sorgen geplagt. Kriege, Klimakrise und Leistungsdruck...

DWN
Politik
Politik Nato-Generalsekretär trifft sich in Florida mit Trump
24.11.2024

Die zweite Amtszeit von Donald Trump wird in der Nato von vielen Alliierten mit Sorge gesehen. Schon vor dem Machtwechsel reist der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Leerstand in Innenstädten: Decathlon setzt auf Expansion gegen die Krise
24.11.2024

Leerstand prägt deutsche Innenstädte. Doch Decathlon sieht Chancen: Bis 2027 sollen mehr als 60 neue Filialen entstehen – viele davon...

DWN
Finanzen
Finanzen DWN-Sonntagskolumne: The Rational Investor - warum Emotionen bei der Geldanlage schaden
24.11.2024

Als ich gehört habe, dass in einer Umfrage des ZDF vor der US-Präsidentschaftswahl am 5. November 2024 über 70 Prozent der Deutschen...

DWN
Politik
Politik Christian Lindners Vorwurf lautet: SPD strebt "Zerstörung" der Liberalen an
24.11.2024

Seit dem Bruch der Ampel-Koalition herrscht ein scharfer Ton zwischen SPD und FDP. Nun legt der entlassene Finanzminister nach. Die SPD...

DWN
Unternehmen
Unternehmen VW hält an Werksschließungen fest - Sparansage auch bei Bosch
24.11.2024

Im Streit um Einsparungen bei VW bleibt das Unternehmen hart: Die Kapazitäten sollen schnell runter. Die IG Metall reagiert in der...

DWN
Panorama
Panorama Sammelkarten als Wertanlage: Das Geschäft mit begehrten Karten
24.11.2024

Sammelkarten sind weit mehr als nur ein Zeitvertreib. Besonders seltene Karten erzielen zum Teil Rekordpreise. Was steckt hinter diesem...