Finanzen

Japans Notenbank droht Crash der globalen Finanzmärkte auszulösen

Lesezeit: 6 min
30.06.2022 15:41  Aktualisiert: 30.06.2022 15:41
Namhafte Spekulanten wetten massiv auf einen Zinsanstieg in Japan, da die Notenbank keine andere Wahl zu haben scheint. Doch die globalen Folgen wären brutal.
Japans Notenbank droht Crash der globalen Finanzmärkte auszulösen
In ihrer ausweglosen Lage droht die Bank of Japan einen globalen Finanz-Crash auszulösen. (Foto: dpa)
Foto: Eugene Hoshiko

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Gegen eine Zentralbank zu wetten, ist immer riskant, und in Japan waren solche Wetten in den letzten zwei Jahrzehnten ganz besonders verlustreich. Aber das hält eine wachsende Gruppe von Anlegern derzeit nicht davon ab, auf das Scheitern der Bank of Japan zu setzen. Sie wetten darauf, dass die Notenbank es nicht mehr verhindern kann, dass die Rendite auf zehnjährige japanische Staatsanleihen dauerhaft über die Marke von 0,25 Prozent ansteigt. Denn die Notenbank steht unter Druck, den japanischen Yen gegen den drohenden Zusammenbruch zu schützen.

Mit 136 Yen pro Dollar handelt die japanische Währung derzeit so schwach wie seit 24 Jahren nicht mehr. Daher müsste die Bank of Japan eigentlich ihre Rendite-Obergrenze von 0,25 Prozent auf zehnjährige japanische Staatsanleihen aufgeben und eine Straffung ihrer Geldpolitik einleiten, so wie es die Federal Reserve in den USA, die Europäische Zentralbank (EZB) in der Eurozone und zahlreiche weitere Notenbanken in weiten Teilen der Welt bereits getan haben.

Doch einen Straffung der Geldpolitik hätte massive Folgen nicht nur für Japan, sondern für die gesamte Welt. Denn Millionen von japanischen Sparern haben in Anleihen auf der ganzen Welt investiert. Wenn die Bank of Japan tatsächlich ihre massiven Interventionen am Anleihemarkt zurückfährt und ein Ansteigen der Referenzrendite über die Marke von 0,25 Prozent zulässt, so würde sich dies sehr schnell auf den globalen Finanzmärkten bemerkbar machen.

Die Renditen würden durchweg noch weiter in die Höhe schnellen. Die Kreditkosten für Unternehmen, Verbraucher und Staaten würden überall auf der Welt steigen und die Weltwirtschaft zusätzlich belasten, die bereits unter der Last steigender Energiepreise und unterbrochener Lieferketten erdrückt wird. Zudem würde das Scheitern der Zinsobergrenze in Japan auf breiterer Ebene etwas viel Größeres signalisieren, nämlich das Ende der weltweiten Ära extrem niedriger Zinssätze.

Denn Japan war in den 1990er Jahren das erste Land der Welt, das mit einer lockeren Geldpolitik begann, die Zinssätze zu drücken. Heute ist es das letzte Land, das trotz einer stark steigenden Inflation noch immer an niedrigen Zinsen festhält. Der Gouverneur der japanischen Zentralbank, Haruhiko Kuroda, rechtfertigt sein Vorgehen damit, dass die Wirtschaft des Landes, die sich seit Jahrzehnten in einer Flaute befindet, angekurbelt werden müsse. Denn niedrige Zinsen erleichtern die Kreditaufnahmen und stützen die Exportwirtschaft.

Große Finanzfirmen wetten im großen Stil gegen Japan

Japan scheint „zunehmend aus dem Rahmen des globalen Umfelds zu fallen“, zitiert Bloomberg Arjun Vij, Portfoliomanager bei JPMorgan Asset Management in Hongkong. Allerdings werde die Bank of Japan „den aktuellen politischen Rahmen irgendwann anpassen müssen“, da der fallende Yen und die steigenden Importkosten Unternehmen und Verbraucher unter Druck setzen. JPMorgan wettet daher gegen japanische Staatsanleihen, so wie auch die Firmen Schroders, BlueBay Asset Management und Graticule Asset Management Asia.

„Japan ist der einzige Markt, der uns sagt, dass wir short gehen sollen“, sagte Kellie Wood, eine Anleihe-Managerin beim Vermögensverwalter Schroders, der etwa 1 Billion Dollar verwaltet. Mark Dowding, Chief Investment Officer von BlueBay, bezeichnete die Renditekurvenkontrolle der Bank of Japan kürzlich als „unhaltbar“. Der Vermögensverwalter Graticule von Adam Levinson sagte in einem Anlegerbrief vom Mai, dass Japan einer der Top-Märkte für Leerverkäufe von globalen Zinssätzen sei.

Die wachsenden Shorts belasten bereits den japanischen Anleihenmarkt, der einen Umfang von mehr als 1 Quadrillion Yen hat (7 Billionen Euro). Der Terminmarkt wurde am 15. Juni an den Rand eines Handelsstopps gebracht, als zehnjährige Wertpapiere so stark einbrachen wie seit 2013 nicht mehr, während die bei internationalen Fonds beliebten zehnjährige Yen-Zinsswaps die Marke von 0,25 Prozent überschritten. Händler sind offenbar davon überzeugt, dass die japanische Notenbank die Marke nicht mehr halten kann.

Notenbank hält mehr als die Hälfte von Japans Staatsschulen

Trotz des Drucks der Märkte bleibt Notenbank-Chef Kuroda standhaft. Auf der jüngsten Notenbanksitzung sagte er, dass es für eine Straffung der Geldpolitik zu früh sei, da die japanische Wirtschaft immer noch stottere. Die Inflation sei zwar im April zum ersten Mal seit 2015 über das 2-Prozent-Ziel der Zentralbank gestiegen, müsse angesichts des schwachen Lohnwachstums aber nicht hoch bleiben. Zudem wies Kuroda Aussagen zurück, dass die Renditeobergrenze von 0,25 Prozent in Gefahr sei, und erhöhte die Anleihekäufe auf ein historisches Niveau, um sie zu verteidigen.

„Wir können unsere Renditekurve auch dann kontrollieren, wenn die Renditen im Ausland steigen“, sagte Kuroda Anfang Juni und kaufte so viele Anleihen wie nötig waren, um die Renditen zu drücken. Der Anteil der von der Bank of Japan gehaltenen japanischen Staatsanleihen hat jüngst erstmals die Marke von 50 Prozent überschritten, nachdem die Zentralbank ihre Käufe von Staatsanleihen massiv beschleunigt hat, um die langfristigen Zinssätze weiter niedrig zu halten.

Die Bank of Japan kauft den Großteil der neu ausgegebenen japanischen Staatsanleihen auf, was zu Verzerrungen auf dem Anleihemarkt führt. So zeigt sich eine umgekehrte Renditekurve, das heißt, die Zinssätze für einige kurzfristige Anleihen sind höher als bei langfristigen Anleihen. Die massiven Anleihekäufe der Zentralbank beschleunigen auch die Abwertung des Yen. Die Bank of Japan hat keine Obergrenzen für den Kauf von Staatsanleihen. Sie kauft so viele Anleihen wie nötig, um die langfristigen Zinssätze bei 0,25 Prozent zu deckeln.

Da die langfristigen Zinssätze in den USA und in Europa steigen und somit auch die Zinsen in Japan nach oben drücken, war die japanische Notenbank jüngst zu massiven Anleihekäufen gezwungen. Im Juni kaufte sie Staatsanleihen im Rekordumfang von 14,8 Billionen Yen (rund 100 Milliarden Euro). Mit diesen Käufen übertraf die Notenbank sogar die 11,1 Billionen Yen, die sie im November 2002 gekauft hatte, was bisher die größte monatliche Summe darstellte.

Wie Nikkei Asia berichtet, belief sich der ausstehende Wert langfristiger japanischer Staatsanleihen Stand 20. Juni auf insgesamt 1.021 Billionen Yen (7,19 Billionen Euro) , von denen die Bank of Japan auf Nennwertbasis 515 Billionen Yen (3,6 Billionen Euro) hielt. Dies entspricht 50,4 Prozent des ausstehenden Gesamtbetrags, gegenüber 50,0 Prozent im Zeitraum Februar bis März 2021. Und im Jahr 2013, als Kuroda mit dem massiven geldpolitischen Lockerungsprogramm begann, lagen die Bestände der Zentralbank noch im Bereich von 10 Prozent.

Nach Schätzungen des Japan Center for Economic Research wird die Bank of Japan ihre Bestände an japanischen Staatsanleihen um weitere 120 Billionen Yen erhöhen müssen, um die langfristigen Zinssätze bei oder unter 0,25 Prozent zu halten. In einem solchen Szenario würden die Bestände der Zentralbank 60 Prozent des Gesamtvolumens übersteigen. Die Bank of Japan konzentriert sich auf ausgewählte Anleihen. So hält sie aktuell 87,6 Prozent der neu emittierten zehnjährigen Staatsanleihen, einer Benchmark für die langfristigen Zinssätze.

Im Allgemeinen sollten Anleihen mit längeren Laufzeiten höhere Zinssätze haben. Doch infolge der starken Anleihekäufe sind die Renditen von Staatsanleihen mit einer Restlaufzeit von sieben bis neun Jahren jetzt jedoch höher als die von zehnjährigen Staatsanleihen. Im Juni wurden einige Staatsanleihen zu Renditen gehandelt, die über der von der Bank of Japan festgelegten Obergrenze von 0,25 Prozent lagen. Einige Marktteilnehmer glauben offenbar, dass die Notenbank bald nicht mehr in der Lage sein wird, ihre Renditekurve unter Kontrolle zu halten.

Die beschleunigten Anleihekäufe der Bank of Japan stehen im krassen Gegensatz zu den Maßnahmen anderer Zentralbanken. Zudem hielt die US-Notenbank Ende März Staatsanleihen im Bereich von nur 20 Prozent und begann im Juni damit, ihre Bestände an Staatsanleihen und anderen Vermögenswerten zu reduzieren (quantitative Straffung). Die EZB hält rund 30 Prozent der Staatsanleihen in der Eurozone liegt und wird ihr Programm zur quantitativen Lockerung im Juli beenden.

Während die Anleihebestände der japanischen Notenbank weiter ansteigen, sind die Bestände, die von privaten Finanzinstituten gehalten werden, zurückgegangen. Ende März hielten Banken und andere Einlageninstitute 11,4 Prozent der Gesamtmenge an japanischen Staatsanleihen, Versicherungen und Pensionsfonds hielten 23,2 Prozent. Die Bank of Japan hat also das größte Risiko von Verlusten, wenn die langfristigen Zinssätze schließlich doch wieder steigen und die Kurse für Staatsanleihen fallen fallen. Und das Risiko wächst.

Die drei größten Banken Japans halten insgesamt über 70 Billionen Yen in japanischen Staatsanleihen. Die durchschnittliche Laufzeit der Anleihen beträgt 2,8 Jahre für die Mitsubishi UFJ Financial Group, 2,8 Jahre für die Sumitomo Mitsui Financial Group und 1,2 Jahre für die Mizuho Financial Group. Denn in den letzten Jahren haben diese drei Banken hauptsächlich in Anleihen mit kürzeren Laufzeiten investiert, um sich auf steigende Zinssätze vorzubereiten.

Wetten gegen die Bank of Japan sind riskant

Schon einige der größten Namen der globalen Finanzwelt sind mit Wetten gegen die Bank of Japan gescheitert. David Einhorn von Greenlight Capital sagte im Jahr 2009, dass die Schuldenlast Japans zu einem Staatsbankrott führen würde, während Kyle Bass von Hayman Capital Management nur wenige Monate später den Zusammenbruch des Marktes für japanische Staatsanleihen vorhersagte. Eineinhalb Jahrzehnte zuvor hatte David Roche von der Finanzberatungsfirma Independent Strategy einen Anstieg der japanischen Renditen vorausgesagt. Doch nichts davon trat ein.

„Ich habe nicht die Absicht, mich in die Reihen solcher Händler einzureihen“, zitiert Bloomberg Manish Singh, Chief Investment Officer von Crossbridge Capital. „Ich würde nicht gegen die japanische Zentralbank wetten. Sie können so lange drucken und drucken, bis sich die Shorts zurückziehen.“ Man nenne Wetten gegen die Bank of Japan nicht umsonst den "Witwenmacher“-Handel, sagt Singh. Denn solche Wetten haben Investoren in den letzten zwei Jahrzehnten stets enorme Verluste gebracht.

Wahrscheinlich würde die Bank of Japan ihre Renditeobergrenze von 0,25 Prozent zunächst nur etwas anheben, bevor sie die Obergrenze ganz aufgibt. Doch selbst eine solche Anpassung der Obergrenze hätte bereits massive Auswirkungen auf die globalen Anleihemärkte. Denn höhere Inlandsrenditen würden japanische Haushalte und institutionelle Investoren dazu veranlassen, ihre Auslandsanlagen zu verkaufen und ihre Investitionen ins Inland zurückzuholen.

Diese Umschichtung könnte sich auf alles auswirken, von den Renditen der US-Unternehmen bis hin zur Nachfrage nach Anleihen der Schwellenländer. Zu den japanischen Beständen gehören auch US-Staatsanleihen im Wert von über 1 Billion Dollar, der größte Bestand an US-Staatsanleihen außerhalb Amerikas. Zudem würden die steigenden Kreditkosten die japanische Wirtschaft belasten, und der wieder stärkere Yen die japanische Exportwirtschaft.

Kurzfristig könnte der Schritt eine Welle der Volatilität auslösen, ähnlich wie im vergangenen Jahr die Entscheidung Australiens, die Kontrolle der Renditekurve aufzugeben, oder im Jahr 2015 die überraschende Entscheidung der Schweiz, ihre Währungsobergrenze zum Euro abzuschaffen. Die Auswirkungen eines solchen Schrittes wären weltweit zu spüren, sagt Calvin Yeoh, Portfoliomanager in Singapur bei Blue Edge Advisors. Die globale Verflechtung der Zinssätze garantiere fast einen negativen Schock für die Zinsmärkte außerhalb Japans.

Indes setzt der Yen seine Talfahrt fort. Sein 11-prozentiger Einbruch gegenüber dem Dollar im zweiten Quartal ist der schlimmste Einbruch seit dem Jahr 2016. Händler spekulieren zunehmend, welches Niveau des Yen zum Dollar die Bank of Japan endlich zum Handeln zwingen wird. Der berühmte Wirtschaftswissenschaftler Nouriel Roubini sagte letzte Woche, dass ein Absturz über die Marke von 140 Yen pro Dollar wahrscheinlich ausreichen würde, um einen Wechsel der Geldpolitik auszulösen. Aktuell liegt der Kurs bei 136.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Zu Weihnachten Zukunft schenken

Gerade zu Weihnachten wünschen sich viele Menschen, etwas von ihrem Glück zu teilen und sich für diejenigen zu engagieren, die es nicht...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Quiet Quitting: Der stille Job-Rückzug mit gefährlichen Folgen
22.12.2024

Ein stiller Rückzug, der Unternehmen erschüttert: Quiet Quitting bedroht die Substanz deutscher Betriebe. Warum immer mehr Beschäftigte...

DWN
Technologie
Technologie DWN-Sonntagskolumne: Künstliche Intelligenz Hype Cycle - Zwischen Revolution und Enttäuschung
22.12.2024

Ist künstliche Intelligenz nur ein Hype oder der Beginn einer Revolution? Zwischen hohen Erwartungen, Milliardeninvestitionen und...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Psychische Gewalt am Arbeitsplatz: Ursachen, Folgen und Lösungen
22.12.2024

So können Unternehmen gegen verbale Übergriffe aktiv werden- Beleidigungen, Drohungen und Beschimpfungen: Rund ein Drittel der...

DWN
Finanzen
Finanzen Kindergeld beantragen: Tipps und wichtige Infos für 2025
22.12.2024

Wussten Sie, dass Sie Kindergeld bis zu sechs Monate rückwirkend erhalten können? Dies gilt sowohl für Ihr erstes Kind als auch für...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Märchen vorbei? Steht Deutschlands Automobilindustrie vor dem Aus?
22.12.2024

Volkswagen in der Krise, Mercedes, BMW & Co. unter Druck – und hunderttausende Jobs stehen auf dem Spiel. Wie kann der Kampf um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Credit Suisse-Debakel: Ausschuss sieht Schuld bei Bank
22.12.2024

Die Nervosität an den Finanzmärkten war im Frühjahr 2023 groß - drohte eine internationale Bankenkrise? Für den Schweizer...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Der Volkswagen-Deal: Worauf sich VW und die IG Metall geeinigt haben
22.12.2024

Stellenabbau ja, Werksschließungen nein: Mehr als 70 Stunden lang stritten Volkswagen und die IG Metall um die Sparmaßnahmen des...

DWN
Technologie
Technologie Webasto-Geschäftsführung: „Der Einsatz von KI ist eine strategische Notwendigkeit“
22.12.2024

Angesichts des wachsenden Drucks durch die Transformation hin zur Elektromobilität und steigender Kosten in der Branche sprechen Markus...