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Nordstream 1: „Nichts genaues weiß man nicht“

Während Wladimir Putin mit einer weiteren Drosselung der Gaslieferungen droht, suchen Politiker und Wirtschaftsvertreter nach alternativen Lösungen. Ein Kommentar.
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20.07.2022 12:29
Aktualisiert: 20.07.2022 12:29
Lesezeit: 2 min
Nordstream 1: „Nichts genaues weiß man nicht“
Noch kein Silberstreif am Horizont in Sicht: Deutschland bangt um Gaslieferungen durch Pipeline Nordstream 1. (Foto: dpa)

Der Countdown läuft: Entweder morgen oder spätestens nächste Woche dürften die Wartungsarbeiten an der Pipeline Nordstream 1 abgeschlossen sein und es sich entscheiden, ob und wie es weiter geht.

Es mutet sich für Politik, Wirtschaft und Bürger als ein sich zuspitzendes Drama an, dem man hilflos ausgeliefert ist. Eben ein branchenüberschreitender „Mayday“, der alles und jeden mobilisiert, der aufgrund explodierender Energiepreise seine Existenz in Gefahr sieht.

Dabei appelliert die Politik an die Wirtschaft, und umgekehrt die Wirtschaft an die Politik. Die Politik setzt auf erneuerbare Energien und mahnt die Wirtschaft den Energieverbrauch zu drosseln, und die Wirtschaft fordert ihrerseits eine Ausdehnung der Notfallzahlungen für Unternehmen mit extrem hohen Energiepreisen sowie Konzepte für Überbrückungshilfe im Falle von faktischen Betriebsschließungen.

Es fühlt sich an, als würde schon mal vorbeugend das Schlimmste erwartet, nachdem man sich über Jahre hinweg unbekümmert auf die Gaslieferungen aus Russland verlassen hat.

Putin droht mit einem weiteren Absenken der Gaslieferungen

Inzwischen droht Wladimir Putin erstmal mit einem weiteren Absenken der Gaslieferungen, wenn Russland nicht die in Kanada reparierte Turbine zurückerhält. Alles nur Taktik? Vorerst gilt: Nichts genaues weiß man nicht, wie uns Karl Valentin gelehrt hat.

Vor Beginn seines Angriffskrieges gegen die Ukraine hat Wladimir Putin dem neuen Bundeskanzler Olaf Scholz und seiner Außenministerin Annalena Baerbock als sein persönliches Antrittsgeschenk erstmal eiskalt ins Gesicht gelogen. Deshalb ist man wohl auch gut beraten, keine verlässlichen Zeichen aus dem Kreml zu erwarten und sich erstmal anderswo um Gas zu bemühen. Auch wenn wiederum von Despoten in Aserbaidschan, Ägypten oder Qatar, die das Gas nicht unverzüglich liefern können. Aber: Es scheint so, als komme man ohne sie – zumindest derzeit – nicht aus.

Spitzenverbände mobilisieren sich

Auf jeden Fall haben sich bereits am 8. Juli die vier Präsidenten der größten Wirtschaftsverbände bei den Münchner Spitzengesprächen mit Olaf Scholz getroffen, und in einer gemeinsamen Erklärung eine Reihe von Maßnahmen angedacht, um Deutschland auch künftig Wohlstand und Freiheit zu ermöglichen. Auch ohne Putins Gas.

Allerdings könne es – falls die Gasflüsse durch Nordstream 1 weiter gedrosselt werden – zu einem Hauen und Stechen zwischen den einzelnen Interessenverbänden kommen, wenn es darum geht, als kritische Infrastruktur anerkannt zu werden, um nicht vorzeitig vom Netz genommen zu werden.

Kritische Infrastruktur

Der Präsident der Bundesnetzagentur Klaus Müller hat schon mal vorsorglich darauf hingewiesen, dass Schokoladenkekse "wohl" nicht als systemkritisch bezeichnet würden. Während der Nahrungsmittel-Konzern Nestle seine deutschen Werke bereits jetzt darauf einstellt, im Falle einer Gasknappheit bestimmte Produkte vorrangig herzustellen.

Die gute Nachricht: In den ersten fünf Monaten dieses Jahres lag der Gasverbrauch in Deutschland nach Angaben des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft mit 460 Milliarden Kilowattstunden 14,3 Prozent niedriger als im Vorjahreszeitraum. Allerdings: Wenn die Heizperiode beginnt, und Nordstream 1 zu wenig Gas liefert, wird es wohl eine vorübergehende Renaissance der Kohlekraftwerke sowie ein von der Wirtschaft gefordertes Auktionssystem für Gaseinsparungen geben.

Wohl nicht zuletzt, um die Chemieindustrie am Leben zu erhalten, die wie kaum eine andere Branche in Deutschland abhängig von Erdgas ist. Allein 15,4 Prozent allen Erdgases, dass in Deutschland für die Energiegewinnung eingesetzt wird, landet bei den Chemiekonzernen.

Auf jeden Fall aber will niemand, dass eine Energie-Triage die deutsche Energiewende einläutet und derzeit hoffen wohl noch alle, dass Russland nach abgeschlossener Wartung zumindest so viel Gas wie vor dem 11. Juli liefert. Zumindest so lange bis für alle eine zufriedenstellende Alternative am Horizont zu sichten ist. Und das kann noch dauern.

Dieser Kommentar vertritt die Meinung des Autors - nicht der gesamten DWN-Redaktion.
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