Weltwirtschaft

US-Chips stärken Chinas KI-Industrie – und zeigen, warum kein neuer Kalter Krieg kommt

Lesezeit: 3 min
23.07.2022 10:31
Die Vorstellung einer erneuten Aufspaltung der Welt in zwei verfeindete Machtblöcke erfreut sich wachsender Beliebtheit – doch die Realität sieht anders aus.
US-Chips stärken Chinas KI-Industrie – und zeigen, warum kein neuer Kalter Krieg kommt
Sind die USA und China doch stärker von einander abhängig als gedacht? (Foto: dpa)

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Nicht erst seit den letzten Gipfeltreffen der G7, Nato, EU und der BRICS-Staaten ist die Phrase vom neuen Kalten Krieg oder dessen Rückkehr in aller Munde. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sprach zuletzt ebenfalls davon, dass sich ein neuer Eiserner Vorhang zwischen Russland und dem Westen senke. Darin scheint man sich auf beiden Seiten sicher zu sein.

Die Lage im 21. Jahrhundert ist eine fundamental andere

Auch eint die Wahrnehmung des russischen Kriegs als Entscheidungsschlacht der politischen Systeme westlich-liberale Denker wie Francis Fukuyama mit ihren eurasisch-imperialistischen Gegenspielern wie Alexander Dugin. Doch trotz aller scheinbaren und offenkundigen Parallelen ist die Lage im globalisierten, digital vernetzten 21. Jahrhundert eine fundamental andere.

Denn der Westen und die BRICS-Länder sind wirtschaftlich jeweils von einander abhängig. Die Widersacher scheinen sich inzwischen ökonomisch und – durch den Flugverkehr physisch und das Internet virtuell – letztlich auch räumlich so nah zu sein, dass jede noch so durchdachte Offensive zum Schnitt ins eigene Fleisch zu mutieren droht.

Das zeigen die ambivalent beurteilten westlichen Sanktionen gegen Russland einerseits sowie die hochempfindlichen internationalen Lieferketten andererseits. Geradezu eine Fallstudie hinsichtlich der Auswirkungen dieser Verflechtungen auf internationale Sicherheitsfragen lieferte kürzlich das „Center for Security and Emerging Technology“ (CSET).

Abwägen zwischen wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen

Der US-Thinktank legt den Fokus in seiner Arbeit auf die Schnittstelle zwischen nationaler sowie internationaler Sicherheit und aufkommenden Technologien wie Künstlicher Intelligenz oder Biotechnologie. Gerade zur rechten Zeit veröffentlichte das CSET eine Analyse, die von den Möglichkeiten und Grenzen der Steuerung chinesischer Nutzung US-amerikanischer Chips handelt.

So vermeldete Bloomberg jüngst, dass die US-Sanktionen gegen China die Chip-Industrie des Landes kräftig ankurbeln würde. Statt auf US-Ware würden die chinesischen Unternehmen einfach auf Produkte heimischer Anbieter von Chip-Komponenten zurückgreifen, die wiederum so ihre Umsätze steigern könnten, wozu auch die Bevorzugung heimischer Firmen bei der Auftragsvergabe Pekings beitrage.

Doch trotz ihres Wachstums ist die chinesische Chip-Branche nach wie vor auf ausländische Produkte angewiesen – insbesondere auf Halbleiter von Intel (USA), TSMC (Taiwan) und Samsung (Südkorea), sodass die Produktionsländer ihrerseits gezwungen sind, zwischen ökonomischen und geopolitischen Interessen abzuwägen. Wie schwer das realpolitisch sein kann, zeigt die CSET-Analyse.

CSET: Chinesisches Militär macht erhebliche Fortschritt bei KI-Technologien

Zuerst betonen die Analysten, dass die chinesische Volksbefreiungsarmee (PLA) „erhebliche Fortschritte bei der Einführung künstlicher Intelligenz für Kampf- und Unterstützungsaufgaben“ gemacht habe, wobei die chinesische Führung der militärischen Nutzung von KI-Technologien eine besonders gewichtige Rolle beimesse.

Dabei hänge der militärtechnologische Fortschritt der PLA vom reibungslosen Zugang zu KI-Chips ab, die zum Training maschineller Lernsysteme verwendet würden. Darum gibt das CSET in seiner Analyse Einblick in die Beschaffungswege des chinesischen Militärs – und verdeutlicht zugleich, dass die erwähnten ökonomischen Zwänge den Handlungsspielraum der USA enorm einschränken.

So reiche eine Strategie, die sich auf Exportkontrollen für Endnutzer stütze, den Analysten zufolge nicht aus, um den Zugang des chinesischen Militärs zu KI-Chips oder dessen Fortschritt bei KI-Technologien zu begrenzen. Schwierigkeiten bei der Nachverfolgung und die Vielzahl potenzieller Anbieter würden es für die US-Regulierungsbehörden schwierig machen, gezielt gegen mögliche Chip-Zwischenhändler vorzugehen.

Analysten warnen vor Chip-Embargo gegen China

Die PLA kaufe zudem häufig kommerzielle KI-Systeme von akademischen Einrichtungen und Privatunternehmen aus China, die ihrerseits ebenfalls in den USA entwickelte Chips kaufen und nicht ohne weiteres von den US-Beschränkungen für militärische Endnutzer erfasst werden könnten. Stattdessen bedürfe es eines „tieferen Verständnisses der chinesischen Verteidigungsindustrie und neuer Formen der Exportkontrolle.“

Diese neuartigen Kontrollen könnten „auf den physischen und technischen Merkmalen der nach China exportierten Chips beruhen und nicht auf den beabsichtigten Anwendungen oder Endnutzern.“ Eine Regelung, die laut der CSET-Analyse jedoch auf die Unterstützung der Partner und Verbündeten der USA angewiesen sei.

Vor einem Verzicht auf Endbenutzerkontrollen zugunsten härterer Maßnahmen, wie einem Embargo für Chipexporte nach China, warnen die Autoren jedoch. Ein solches würde „regionale Partner verprellen und die langfristige Lebensfähigkeit der US-Halbleiterindustrie“ gefährden. Darüber hinaus raten sie dazu, mehr Daten über Chinas KI-Militärtechnologien zu raten.

USA und China können nicht aufeinander verzichten

Letztlich bleibt vor allem die Gewissheit, dass weder China noch die USA – trotz aller Sanktionen und Feindschaftsbekundungen der beiden weltgrößten Volkswirtschaften – auf einander verzichten können. Das kristallisiert sich insbesondere anhand des Beispiels der voneinander abhängigen Chip-Industrien beider Länder heraus.

Die Weltwirtschaft wird sich Schätzungen von Ökonomen zufolge kaum von heute auf morgen „deglobalisieren“. Mit verstärktem Isolationismus und allseitigem Streben nach wirtschaftlicher Autonomie und Resilienz dürfte zwar zu rechnen. Aber auch da stehen ökonomische Realitäten der Politik schnell im Weg, egal ob es um Rohstoff oder Technologien geht.

Zwar stehen in der Tat alle Zeichen auf eine zunehmende Polarisierung von weltweiter Politik und Wirtschaft, aber ein Eiserner Vorhang fällt darum noch lange nicht. Im Gegenteil: Die weltweite Gemengelage wird wesentlich unübersichtlicher.


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