Wirtschaft

Peinliche Kehrtwende: Europäer drängen Afrikaner plötzlich zu Gas-Lieferungen

Noch vor wenigen Wochen drängten die Europäer afrikanische Staaten, ihre Öl- und Gasprojekte aufzugeben. Nun kann es gar nicht schnell genug gehen mit Gaslieferungen.
26.07.2022 13:08
Aktualisiert: 26.07.2022 13:08
Lesezeit: 3 min

Die reichen Industriestaaten haben sich auf dem afrikanischen Kontinent eine peinliche energiepolitische Kehrtwende geleistet. So hatten sie auf der Klimakonferenz von Glasgow beschlossen, die Finanzierung von fossilen Energieprojekten im Ausland zu stoppen. Alle westlichen G7-Staaten haben den Finanzierungsstopp mitgetragen, welcher ab 2023 gelten sollte.

Das Nachrichtenportal German Foreign Policy berichtet dazu: „Die Ankündigung rief auf dem afrikanischen Kontinent Unmut hervor, weil sie darauf hinausläuft, keine Erdgasprojekte in Afrika mehr zu fördern, obwohl diese als realistisches Mittel gelten, die Versorgung der Bevölkerung zu verbessern; bis heute verfügen 600 Millionen Menschen in den Ländern Afrikas nicht über Strom. Der unmittelbare Sprung hin zu Versorgung aus Solar- und Windenergie ist teuer und gilt als unrealistisch – auch weil die wohlhabenden Industriestaaten die dazu nötigen Mittel verweigern; die einst zugesagte Summe von 100 Milliarden US-Dollar im Jahr für die Versorgung der Entwicklungsländer mit erneuerbaren Energien wird bis heute nicht gezahlt. Immer wieder ist in Afrika von ‚grünem Kolonialismus‘ des Westens die Rede.“

Die Welt ist plötzlich eine andere

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat die Situation nun grundlegend verändert: Westliche Staaten – allen voran jene der EU – haben weitreichende Sanktionen gegen Moskau verhängt und wollen sich von russischen Energielieferungen so schnell wie möglich unabhängig machen.

Um dieses Ziel auch nur ansatzweise zu erreichen, werden nun sämtliche potenzielle Förderländer umschmeichelt – auch und gerade die afrikanischen. Während sich Italien im Kongo um eine Beteiligung an einem großen Gasfeld bemüht, hat Frankreich ein großes Feld vor der mosambikanischen Küste ins Visier genommen, welches der Energiekonzern Total vor einigen Monaten wegen ständiger Angriffe islamistischer Milizen geräumt hatte.

Deutschland hatte sich zuletzt im Senegal um Gas bemüht. Berlin will mit dem Senegal bei der Erschließung eines Gasfelds vor der westafrikanischen Küste zusammenarbeiten. Das kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Ende Mai nach einem Gespräch mit dem senegalesischen Präsidenten Macky Sall in Dakar an, ohne Details zu nennen. „Darüber haben wir uns begonnen auszutauschen, wir werden das im Anschluss an diese Gespräche auch sehr intensiv auf Fachebene fortsetzen“, sagte Scholz. Es mache Sinn, eine solche Kooperation „intensiv zu verfolgen“, dies sei ein „gemeinsames Anliegen.“

Es geht um ein Gasfeld vor der Küste, an dem neben dem Senegal auch Mauretanien Anteile hält. Medienberichten zufolge vermutet der Betreiber BP dort 425 Millionen Kubikmeter Erdgas. Deutschland will mit dem Senegal außerdem in den Bereichen Solar- und Windenergie stärker zusammenarbeiten.

Besonders skurril sind die Forderungen der Internationalen Energieagentur (IEA). Diese fordert eine massive Entwicklung afrikanischer Gasprojekte, um Europa von russischem Erdgas unabhängig zu machen. Kurz danach müsste die Erdgasförderung aber drastisch reduziert werden, um die international vereinbarten „Klimaziele“ noch zu erreichen.

Inzwischen haben alle G7-Staaten ihr auf der Glasgower Klimakonferenz beschlossenes Finanzierungsverbot aufgehoben.

Afrikaner sprechen von Heuchelei

Die Kehrtwende der westlichen Länder kommt in Afrika nicht besonders gut an. German Foreign Policy wörtlich:

Zu den Doppelstandards der europäischen Mächte haben sich inzwischen eine ganze Reihe führender afrikanischer Politiker geäußert. „Wir brauchen langfristige Partnerschaften, nicht Inkonsistenz und Widerspruch“, monierte der Präsident Nigerias, Muhammadu Buhari.[5] „Sie können nicht einfach kommen und sagen: „Wir brauchen euer Gas, ich kaufe euer Gas, und wir bringen es nach Europa“, wurde der Energieminister Äquatorialguineas, Gabriel Obiang Lima, zitiert. Afrika für kurzfristige Erdgaslieferungen zu instrumentalisieren – das sei „bevormundend“ und „heuchlerisch“, urteilte Carlos Lopes, ein ehemaliger Leiter der UN-Wirtschaftskommission für Afrika. Es sei „absolut empörend, den Afrikanern zu sagen, dass sie die Optionen, die vor ihnen liegen, nicht prüfen sollen, und zur selben Zeit wegen des russisch-ukrainischen Krieges die Forderung nach Gas für Europa zu beschleunigen“.[6] Kritiker weisen zudem darauf hin, dass das Erdgas, das nun aus afrikanischen Staaten nach Europa geliefert wird, bei der dringend notwendigen Verbesserung der Versorgung der afrikanischen Bevölkerung fehlt.

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