Deutschland

Stromnetz überlastet: Erneuerbare werden immer öfter abgeriegelt

Lesezeit: 5 min
06.08.2022 08:58
Die Pläne der Bundesregierung zum Ausbau von Wind- und Solarenergie stoßen auf ein fundamentales Problem. Dessen Behebung dürfte Jahre in Anspruch nehmen.

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In Deutschland hält der Ausbau des Stromnetzes Berichten zufolge nicht mit dem Ausbau alternativer Energiequellen Schritt. Als Folge des Missverhältnisses müssen immer mehr Solaranlagen und Windparks abgeriegelt werden, berichtet das auf Energiethemen spezialisierte Portal Blackout News.

Das Problem betrifft offenbar vor allem große Solaranlagen, die weitab der Verbraucherzentren gebaut wurden und auf eine ausreichende Netz-Infrastruktur für die Weiterleitung des von ihnen erzeugten Stroms angewiesen sind.

„Volkswirtschaftlicher Wahnsinn“

Die Münchner Abendzeitung zitierte im Juni den Präsidenten des Bayerischen Gemeindetags, Uwe Brandl (CSU), wonach die 20-Kilovolt-Verteilernetze inzwischen „voll“ seien.

Brandl bezeichnete es gegenüber der Abendzeitung als „volkswirtschaftlichen Wahnsinn“, wenn die Bundesregierung immer höhere Ausbauziele für Windräder und Solarpaneelen vorgebe, dieser aber in der Realität schlichtweg nicht ans Netz angeschlossen werden könnten.

Die Abendzeitung berichtet: „Alarmiert zeigte sich Brandl von den Erkenntnissen eines Treffens von Bürgermeistern aus dem ländlichen Raum mit Experten der Energiewirtschaft. Schon heute, berichtete der Gemeindetags-Chef daraus, müssten Betreiber Windräder und Photovoltaikanlagen mit ihrem so erwünschten grünen Strom abschalten, weil das Verteilnetz die Energie nicht mehr aufnehmen könne. So habe die N-Ergie Netz GmbH, der Betreiber von Verteilnetzen für Strom, Erdgas, Wasser und Fernwärme, die zeitweisen Abschaltungen von Stromlieferanten von 2020 bis 2021 fast vervierfacht. Im ersten Quartal dieses Jahres habe N-Ergie bereits mehr abgeregelt als im gesamten Jahr 2021.“

N-Ergie rechnet damit, dass in Zukunft noch häufiger abgeregelt werden muss, weil der Netzausbau dem von der Politik vorgegebenen Tempo beim Ausbau der Erzeugerquellen nicht folgen könne.

Das Unternehmen schlägt zwei Lösungsmöglichkeiten vor: Zum einen sollten Solaranlagen und Windräder künftig in der Nähe der großen Städte gebaut werden, um eine Weiterleitung des Stroms über lange Strecken hinweg zu vermeiden. Zum anderen solle sich der Ausbau der Erneuerbaren auf die Windkraft fokussieren, weil deren Einspeisung offenbar weniger infrastrukturelle Hürden aufweise.

Bei Stromtrassen noch viele Fragen offen

In Deutschland existieren derzeit rund 100 große und kleine Projekte zum Ausbau des Stromnetzes. Einige davon sind schon gebaut, andere existieren nur auf dem Papier. Besondere Bedeutung haben drei große Stromtrassen, um den vor allem in Norddeutschland generierten Windstrom nach Süddeutschland zu transportieren: „Südlink“, „A-Nord/Ultranet“ und „Südostlink“.

Im Rahmen einer Übersicht berichtet die Nachrichtenagentur dpa zum Stand des Ausbaus:

Warum hält die Politik neue Stromleitungen überhaupt für nötig?

Damit zum Beispiel in der Nordsee erzeugter Windstrom jederzeit nach Baden-Württemberg fließen kann, wo er nach dem Wegfall von Kohle- und Atomstrom gebraucht wird. In einigen Regionen übersteigt der von Sonne, Wind oder Biomasse erzeugte Strom die Kapazität der bestehenden Leitungen. Die Folge: Netzengpässe. Erzeugungsanlagen müssen zeitweise vom Netz genommen werden, der grüne Strom bleibt ungenutzt. Gleichzeitig müssen Kraftwerke «hinter» dem Engpass einspringen, was zusätzliche Kosten verursacht.

Hinzu kommt: «Die Stromerzeugung wird vielfältiger und dezentraler», betonen die für den Betrieb des sogenannten Übertragungsnetzes zuständigen vier Firmen Amprion, TransnetBW, 50Hertz und Tennet. Der Grund: Immer mehr kleine Stromerzeugungsanlagen wie Windparks müssen an das Netz angeschlossen werden. Auch werde Deutschland künftig deutlich mehr grenzüberschreitenden Stromhandel sowie Stromtransport abwickeln als andere Länder.

Wie viele Leitungen sollen neu gebaut werden?

Im Moment stehen auf den Vorhabenlisten mehr als 100 Projekte mit einer Gesamtlänge von über 12 000 Kilometern. Erst gut 1800 Kilometer davon sind schon in Betrieb, knapp 700 Kilometer sind in Bau. Der Rest wird noch geplant. Das bestehende Höchstspannungsnetz umfasst bereits über 35 000 Kilometer. Zum Vergleich: Das deutsche Autobahnnetz für den Straßenverkehr kommt auf gut 13 000 Kilometer. Neu- und Ausbau der Stromleitungen kosten viel Geld. Allein für den Ausbau des Übertragungsnetzes rechnet die Bundesnetzagentur bis 2030 mit 55 Milliarden Euro.

Welche Leitungsvorhaben werden als besonders wichtig eingestuft?

Im Moment die drei großen Nord-Süd-Vorhaben im Westen, in der Mitte und im Osten, die mit A-Nord/Ultranet, Suedlink und Suedostlink bezeichnet werden. Sie sind jeweils gut 500 bis knapp 700 Kilometer lang und sollen als Erdkabel zumeist Gleichstrom mit 380 000 oder gar bis zu 525 000 Volt Spannung transportieren. Die Bauarbeiten haben aber noch nicht begonnen.

Wann sollen sie fertig werden?

Nach mehreren Terminverschiebungen war das zuletzt 2026 geplant. Bei Ultranet (Osterath-Philippsburg) soll das auch klappen, sagen die Übertragungsnetzbetreiber. Für den nördlichen Teil der Strecke, Nord A (Emden-Osterath), ist jetzt 2027 vorgesehen. Durch die Leitung Suedostlink soll 2027 der erste Strom fließen. «Wir werden alles in unserer Macht Stehende unternehmen, damit Suedostlink ab 2027 einsatzbereit ist», so die Betreiber. Beginnen soll der Bau 2024. Suedlink soll jetzt bis Ende 2028 Strom von Nord- nach Süddeutschland transportieren. «Dabei handelt es sich zwar um einen weiterhin ambitionierten Zeitplan, er ist nach unserer aktuellen Planung aber auch realistischerweise zu erreichen», sagt ein Sprecher. Beschleunigungsmaßnahmen seien eingeleitet worden. Für alle Projekte gilt: «Es müssen nun alle Anstrengungen unternommen werden, um weitere Verzögerungen zu vermeiden», sagt der Präsident der Bundesnetzagentur, Jochen Homann.

Was ist mit den vielen anderen Projekten?

Der weitaus größte Teil der Projekte befindet sich im Zeitplan, sagen die Netzbetreiber. Trotz bestehender Hemmnisse sei der Ausbau in den vergangenen Jahren gut vorangekommen. Sie betonen jedoch, dass es sich um komplexe Infrastrukturprojekte handelt. So müsse etwa bei der Untersuchung von Leitungsverläufen jede in Betracht kommende Alternative untersucht werden. «Bei der Kartierung von Pflanzen und Tieren sind wir beispielsweise auf Vegetations- und Brutzeiten angewiesen. Genehmigungsverfahren dauern länger durch zusätzliche Untersuchungen», so die Betreiber.

Auch hätten in der Vergangenheit Gesetzesänderungen zu Verzögerungen geführt, weil anschließend Verfahren neu gestartet werden mussten, etwa durch die Umstellung von Freileitung auf Erdkabel. Die Bundesnetzagentur stellt außerdem fest: «Vor Ort gibt es weiterhin Widerstand von Kommunen, Bürgerinitiativen und mit der Festlegung der Erdverkabelung auch von Landwirten.»

Was sagen Umweltschützer zu den Ausbauplänen?

Der Nabu betont, dass der Stromnetzausbau zwar hilft, erneuerbare Energien besser zu integrieren, jedoch auch Risiken für die Natur berge. «Investitionen und Planungsbeschleunigung der europäischen Energieinfrastruktur müssen Klima- und Naturschutz gewährleisten», so ein zentrale Forderung der Umweltschutzorganisation.

Für den BUND wiederum ist der vorgesehene Netzausbau «vollkommen überdimensioniert». Die Umweltschützer berufen sich auf eine im April 2021 vorgelegte Studie, wonach eine dezentrale Erzeugung grünen Stroms, also möglichst nahe an den Verbrauchsorten, deutlich kostengünstiger sein soll als die bisherigen Ausbaupläne. «Für eine dezentrale Energiewende - ohne überdimensionierten Netzausbau» spricht sich auch der Bundesverband der Bürgerinitiativen gegen Suedlink in einem Brief an Bundeswirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) vom Januar aus. Kritisiert wird darin, dass Planungsverfahren zuletzt «auf Kosten der Bürgerbeteiligung und des Umweltschutzes massiv beschleunigt worden» seien.

Deutliche Verspätungen

Der Ausbau der für Baden-Württemberg äußerst wichtigen Stromautobahn Suedlink verzögert sich weiter. Die fast 700 Kilometer lange Trasse, die vom schleswig-holsteinischen Brunsbüttel nach Leingarten-Großgartach bei Heilbronn führt, sollte eigentlich schon dieses Jahr fertiggestellt sein. Dann wurde zunächst auf 2026 verzögert.

Walker erklärte den Zeitungen: "Suedlink ist für die klimaneutrale Stromversorgung des Landes wichtig." Eine Verzögerung im Planungs- und Genehmigungsprozess habe sich in den vergangenen Monaten allerdings abgezeichnet. Das nun genannte Datum von Ende 2028 beruhe auf dem Einpreisen von Risiken, die bisher bei der Prognose noch nicht berücksichtigt worden waren.

Der milliardenschwere Ausbau der Stromnetze kommt seit Jahren nur schrittweise voran. Ultranet, die 340 Kilometer lange Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) von Osterath bei Düsseldorf bis Philippsburg bei Karlsruhe, sollte ursprünglich schon 2019 in Betrieb gehen. Zuletzt war davon die Rede, 2024 könnte es klappen. (ND/dpa)


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