Die USA sind der große energiepolitische Gewinner des Jahres. Nach offiziellen Angaben der U.S. Energy Information Administration (EIA) stiegen sie im zweiten Quartal 2022 zum weltweit größten Exporteur von Flüssiggas (Liquified Natural Gas, LNG) auf. Die EIA ist eine der wichtigsten US-Statistikbehörden und zuständig für die Sammlung, Analyse und Verbreitung von Energieinformationen. Dem Bericht zufolge konnte die US-Gasindustrie ihre LNG-Exporte im ersten Halbjahr um 12 Prozent im Vergleich zum Vorjahr steigern.
Durchschnittlich exportierten die Amerikaner 11,2 Milliarden Kubikfuß (umgerechnet etwa 317 Millionen Kubikmeter) Flüssiggas pro Tag und verschifften es über einen der insgesamt sieben LNG-Exportterminals in die ganze Welt. Der Exportanstieg wäre sogar noch deutlich größer ausgefallen, wenn nicht ein Brand in der Verflüssigungsanlage „Freeport“ im Juni die Ausfuhren gedämpft hätte. Im Juni exportierten die USA dadurch sogar 11 Prozent weniger als im Vorjahresmonat. Die Anlage soll nach Reparaturarbeiten im Oktober wieder in Betrieb genommen werden.
Als Hauptgrund für den starken Anstieg der LNG-Exporte nannte die EIA die gesteigerte Nachfrage in Europa. Demnach hätten europäische Länder zunehmend LNG importiert, um die Verluste aus russischen Pipelines abzumildern und die historisch niedrigen Erdgaslagerbestände aufzufüllen. Der Anstieg der US-Importe nach Europa und ins Vereinigte Königreich sei laut EIA im ersten Halbjahr um 63 Prozent auf durchschnittlich 14,8 Milliarden Kubikfuß pro Jahr (umgerechnet etwa 419 Millionen Kubikmeter) angestiegen. Insgesamt hätten die EU-Exporte einen Anteil von 64 Prozent aller US-Exporte im ersten Halbjahr gehabt, teilte die Behörde mit.
USA haben ihr energiepolitisches Ziel erreicht
Gas ist in den letzten Monaten aus dem Schatten seines großen Bruders Erdöl ins Rampenlicht gerückt. Der Hauptgrund ist der Krieg in der Ukraine und die in der Folge gegen Russland verhängten Sanktionen, die die Energiesicherheit in Deutschland und Europa akut gefährden. Vor Ausbruch des Krieges importierte Deutschland Öl und Gas aus Russland im Wert rund 19 Milliarden Euro. Seither sind die Ölimporte von 35 auf 12 Prozent zurückgegangen, während die Gas-Importe laut Statista im Vergleich zum Vorjahr nur leicht gesunken sind.
Zuletzt sorgte allerdings eine defekte Gasturbine dafür, dass durch die Gaspipeline Nord Stream 1 nur etwa 20 Prozent der maximalen Kapazität flossen. Laut einem Sprecher der Bundesregierung ist die Turbine inzwischen repariert und stünde zur Lieferung bereit, was aber „aus politischen Gründen in Russland nicht gehe“. Der implizite Vorwurf der Bundesregierung lautet, Russland würde die Kapazität der Pipeline aus politischen Gründen drosseln, um sich für die verhängten Sanktionen zu rächen.
Zwar verfügt Deutschland mit Nord Stream 2 noch über ein weiteres Pipeline-Projekt mit Russland, dieses wurde jedoch trotz Fertigstellung nie in Betrieb genommen. Zuvor hatten die USA bereits immensen politischen Druck aufgebaut, um das Projekt zu torpedieren. Die US-Regierung verhängte mehrfach Sanktionen gegen die beteiligten Unternehmen, um die Fertigstellung der Pipeline, die vom russischen Ust-Luga bis nach Lubmin verläuft, zu stoppen. Nach Fertigstellung wurde die Inbetriebnahme durch fehlende Genehmigungen seitens der deutschen Behörden verzögert.
Seit Ausbruch des Ukraine-Krieges liegt das Projekt vollständig auf Eis und es ist derzeit zweifelhaft, ob es jemals in Betrieb genommen wird. Damit haben auch die USA ihr energiepolitisches Ziel der letzten Jahre erreicht, Deutschland von der russischen Gasversorgung loszulösen. Schon lange warnten US-Politiker öffentlich davor, dass Deutschland sich von russischem Gas abhängig mache. Neben politischen Gründen dürfte bei diesen Warnungen auch energiepolitischer Argumente eine gewichtige Rolle gespielt haben.
Amerikanisches Flüssiggas rund 7-mal teurer als russisches Erdgas
Die USA sind durch ihre Fracking-Industrie in den letzten Jahren zu einem der größten Exporteure von Öl und Gas aufgestiegen. Europa blieb den Amerikanern als Absatzmarkt bisher jedoch weitestgehend verschlossen – aus einfachen Kostengründen. Denn das durch Fracking gewonnene und anschließend unter kostenintensiven Verfahren exportierte Flüssiggas ist laut Schätzungen einiger Experten deutlich teurer als russisches Erdgas, das durch langjährige Lieferverträge zu deutlich niedrigeren Preise bezogen werden kann. Financial-Times-Korrespondent Olaf Storbeck schrieb kürzlich auf Twitter, dass „LNG-Gas um den Faktor 7 teurer ist als russisches Pipeline-Gas“.
Hinzu kommt, dass Deutschland bisher noch nicht über die nötige Infrastruktur verfügt, um Flüssiggas aus diesen Ländern direkt zu importieren. Bisher laufen die Importe über LNG-Terminals anderer Länder, etwa in Zeebrügge in Belgien, wo das Gas nach Entladung „regasifiziert“ und anschließend nach Deutschland geliefert wird. In Deutschland sind die dafür nötigen Terminals zwar seit langem in Planung, der Bau hat an den meisten Standorten jedoch gerade erst begonnen.
Geplant sind Flüssiggas-Terminals in Wilhelmshaven, Brunsbüttel, Stade und Lubmin. Angesichts der drohenden Energieknappheit wurde der Bau in Wilhelmshaven und Brunsbüttel im Eilverfahren genehmigt und die Bauarbeiten begannen im Juli. Bis zum Winter sollen dort vier schwimmende Terminals fertiggestellt sein. Allein über Bremerhaven sollen dann bis zu 7,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr umgeschlagen werden. Das entspräche etwa 8,5 Prozent des aktuellen deutschen Gasbedarfs pro Jahr.
Die großen Verlierer der Gaskrise liegen in Asien
Zu den großen Verlierern der europäischen Energiekrise zählt Deutschland. Die deutsche Industrie ist stark auf Erdgas angewiesen und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit hängt eng damit zusammen, zu welchen Kosten das Gas nach Deutschland importiert wird. Sollte die Bundesregierung ihren derzeitigen Kurs fortsetzen und sich mittelfristig komplett unabhängig von russischen Gasimporten machen wollen, würden diese Kosten dramatisch ansteigen. Ob deutsche Industrieprodukte dann immer noch international wettbewerbsfähig bleiben, ist zumindest zweifelhaft.
Daneben sind es vor allem Länder des globalen Südens, die zu den großen Verlierern zählen. Bangladesch beispielsweise hat immer größere Probleme, seine 170 Millionen Einwohner mit Strom zu versorgen, wie aus einem Bericht des Handeslblatt hervorgeht. Auch Indien und Pakistan (das derzeit eine schwere Wirtschaftskrise erlebt und kurz vor der Zahlungsunfähigkeit steht) haben immer größere Probleme, ihre Stromversorgung aufrecht zu erhalten. Der Hauptgrund für die Energiekrise in Teilen Asiens ist der Anstieg der Gaspreise auf den Weltmärkten, ausgelöst durch die gesteigerte Nachfrage der Europäer.
In Pakistan bleiben trotz langlaufender Lieferverträge immer häufiger LNG-Lieferungen aus. Die Folge waren mehrstündige Stromausfälle in weiten Teilen des Landes. Bei Außentemperaturen von über 40 Grad bedeutet das: keine Klimaanlagen, keine Ventilatoren, keine Kühlschränke. Bangladesch deckt etwa ein Fünftel seines Gasbedarfs aus Flüssiggas. Seit Mai 2021 haben sich die LNG-Kosten für das Land verfünffacht, im Vergleich zum Mai 2020 sogar verzehnfacht. Den von den Europäern ausgelösten Bieterwettbewerb kann das südostasiatische Land nicht mithalten. Die Folge: Um Energie zu sparen, müssen nach Einbruch der Dunkelheit Einkaufszentren und Märkte auf Behördenanordnung hin schließen.
Der Ökonom Khondaker Golam Moazzem aus Bangladesch sieht die Hauptschuldigen an der Versorgungskrise in Europa. „Die Lieferanten versorgen lieber die Hochpreismärkte in Europa. Wir werden vom Markt verdrängt, was Millionen Menschen in die Dunkelheit stürzt.“ Diese Auffassung teilt auch Steve Hill, der für den Energiekonzern Royal Dutch Shell das Flüssiggas-Geschäft verantwortet. „Europa saugt LNG aus der Welt“, warnte Hill laut Handelsblatt schon im vergangenen Monat.