Jahrzehntelang hat Deutschland Rohstoffe aus Russland bezogen. Doch nun befinden sich die Beziehungen beider Länder durch den Ukraine-Krieg auf einem neuen Tiefstand. Die deutsche Regierung versucht krampfhaft, die Abhängigkeit von russischen Ressourcen zu reduzieren. Ein Ersatz für russisches Erdgas ist dabei nicht die einzige Sorge der deutschen Wirtschaft. Auch andere, für die Industrie und Landwirtschaft wichtige Rohstoffe kommen derzeit aus Russland – und nicht alle davon lassen sich einfach ersetzen.
In Deutschland beginnt schon im Sommer das Zittern vor dem nächsten Winter. Die EU-Staaten haben sich angesichts der angespannten Lage auf dem Gasmarkt gerade auf einen Gas-Notfallplan geeinigt, der umfangreiche Einsparungen aller Länder vorsieht. Das Hickhack um die Erdgas-Versorgung zeigt einmal mehr deutlich auf, wie abhängig Deutschland von Rohstofflieferungen aus Russland ist. Dabei sind fossile Brennstoffe nur ein Teil des Problems. Auch Industrie und Landwirtschaft sind von Importen aus Russland abhängig, die nicht immer leicht durch andere Handelspartner zu ersetzen sind.
Fossile Brennstoffe sind Deutschlands größter Import aus Russland
Russland ist für Deutschland eigentlich ein vergleichsweise kleiner Handelspartner. So gingen laut dem Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft (iwd) 2021 lediglich 1,9 Prozent der deutschen Exporte nach Russland. Damit ist Russland außerhalb der EU nur der fünftwichtigste Abnehmer deutscher Waren. Demgegenüber standen Importe aus Russland in Höhe von nur 2,7 Prozent, die einem Gesamtwert von rund 33 Milliarden Euro entsprachen. Zum Vergleich: Die meisten Warenimporte nach Deutschland stammen aus China mit einem Gesamtwert von rund 142 Milliarden Euro.
Doch diese Zahlen sind trügerisch, denn Deutschland importiert vor allem Rohstoffe und Produkte, die am Anfang der Wertschöpfungskette stehen. Besonders chemische und petrochemische Industrie, verarbeitendes Gewerbe, Holz- und Papierindustrie, Metallverarbeitung sowie Agrarindustrie sind davon betroffen. Hier entfallen rund ein Drittel der Importe aus Russland auf Energieprodukte und zwei Drittel auf andere Rohstoffe, Chemikalien und Metallprodukte.
An dem Tag, als russische Truppen in die Ukraine einmarschierten, gab das Statistische Bundesamt Daten zum Außenhandel mit Russland für das Jahr 2021 bekannt. Demnach bestanden rund zwei Drittel der Importe aus Russland aus Erdgas und Erdöl. Diese Importe erreichten einen Wert von 19,4 Milliarden Euro. Darüber hinaus lieferte Russland vor allem Metalle (4,5 Milliarden Euro), Mineralöl- und Kokereierzeugnisse (2,8 Milliarden Euro) sowie Kohle (2,2 Milliarden Euro) nach Deutschland.
Seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine hat sich die Lage jedoch drastisch verändert. Am 26. April erklärte Wirtschaftsminister Robert Habeck, dass Deutschland sind schon bald vollständig unabhängig von russischen Ölimporten machen werde. Die Regierung hat auch damit begonnen, Energieanlagen in russischem Besitz zu beschlagnahmen. Am 4. April beschlagnahmte das deutsche Wirtschaftsministerium einen Gasspeicher, der einer Gazprom-Tochter gehörte, und stellte ihn unter Treuhandschaft der Bundesnetzagentur. Zudem wird immer wieder eine Enteignung der wichtigsten Raffinerie von Rosneft in Deutschland im brandenburgischen Schwedt diskutiert.
Durch umfangreiche Sanktionspakete seitens der EU sowie die politische Bestrebung, die Abhängigkeit von russischen Energieprodukten zu reduzieren, sind die Importe deutlich zurückgegangen. Die EU hat bereits ein Öl-Embargo gegen Russland verhängt und erwägt derzeit einem Tagesschau-Bericht zufolge auch einen kompletten Einfuhrstopp russischer Steinkohle. Deutschland hat daher den Anteil seiner Öleinfuhren aus Russland seit Kriegsbeginn von 35 auf 12 Prozent gesenkt.
Die Steinkohleeinfuhren sind von 50 auf 8 Prozent gefallen. Kohle war 2021 laut Statistischem Bundesamt der wichtigste Energieträger bei der Stromerzeugung. Die größten Abnehmer russischer Steinkohle waren dementsprechend die Energiekonzerne RWE, Uniper und EnBW. Deutschland fördert seit 2018 selbst keine Steinkohle mehr, kann die russischen Importe aber vergleichsweise einfach mit Einfuhren aus Australien, USA und China ersetzen.
Industriemetalle sind zweitwichtigster Import aus Russland
Neben fossilen Energieträgern ist die deutsche Industrie vor allem von russischen Metallen abhängig. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (iw) stammten im Jahr 2019 rund 40 Prozent aller Nickel-Importe aus Russland. Russland ist dabei nicht nur für Deutschland, sondern für die gesamte Weltwirtschaft ein wichtiger Nickel-Lieferant. Das Land stellt 10 Prozent der weltweiten Nickel-Exporte bereit und liegt damit auf Platz drei.
Alternative Handelspartner wären Indonesien (17,5 Prozent) und Kanada (11,8 Prozent), die beide noch mehr Nickel exportieren als Russland. Allerdings liegt die EU mit Indonesien derzeit im Handelsstreit. Das Land stoppte 2020 seine Nickel-Exporte, woraufhin die EU vor der Welthandelsorganisation (WTO) Beschwerde einlegte. Ein Urteil in dem Fall wird nicht vor Ende 2022 erwartet.
Darüber hinaus bezieht Deutschland große Mengen Palladium und Chrom aus Russland. Palladium kommt beim Bau von Autokatalysatoren, sowie in der Chemie-Industrie und der Elektrotechnik zum Einsatz. Chrom wird vor allem in der Produktion von Edelstählen, Chemikalien und Pigmenten verwendet. Laut der IW-Studie stammen rund 25 Prozent der deutschen Palladium-Importe und rund 20 Prozent der deutschen Chrom-Importe aus Russland.
Russland stellt weltweit etwa 20 Prozent aller Palladium-Exporte und rund 6 Prozent aller Chrom-Exporte bereit. Mögliche Handelspartner, die die russischen Importe ersetzen könnten, wären Großbritannien (18 Prozent), die USA (14 Prozent) und Südafrika (13 Prozent) bei Palladium und Südafrika (50 Prozent), Kasachstan (19 Prozent) und Indien (8 Prozent) bei Chrom. Theoretisch ließe sich Palladium in vielen industriellen Prozessen auch durch Platin ersetzen, so die Analysten des IW, allerdings nur zu deutlich höheren Preisen.
Deutsche Landwirtschaft ist auf russische Düngemittel angewiesen
Russland spielt auch für die deutsche Landwirtschaft eine wichtige Rolle, denn das Land ist ein wichtiger Exporteur von Düngemitteln. Laut einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) war Russland 2021 weltweit größte Stickstoffdünger-Exporteur und der zweitgrößte Exporteur für Kali- und Phosphor-Dünger. Nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine hat Russland einen Exportstopp für Stickstoff (N), Phosphor (P) und Kali (K) verhängt.
Die große Mehrheit europäischer Landwirte setzt in der konventionellen Landwirtschaft auf diese drei Düngemittel (NPK-Dünger). Stickstoffdünger wird aus Ammoniak hergestellt. Bei der Herstellung von Ammoniak wiederum entfallen fast 80 Prozent der Kosten auf das dabei benötigte Erdgas. Die hohen Gaspreise haben bereits vor dem russischen Exportstopp für eine Preisexplosion von Stickstoffdüngern gesorgt. Durch den Ausfuhrstopp hat sich die Lage für deutsche Landwirte nochmals verschlimmert.
„Wir haben im vorvergangenen Jahr Dünger kaufen können, der die Hälfte dessen kostete, was wir im letzten Jahr bezahlt haben“, sagt Volker Hahn, Landwirt aus der Region Hannover, gegenüber dem Deutschlandfunk. „Wer jetzt dieses Jahr im Frühjahr noch mal Dünger kaufen muss, der bezahlt das Vier- bis Fünffache.“
Durch die Sanktionen gegen russische Banken war der Import russischer Düngemittel bereits erheblich erschwert. Seit dem EU-Sanktionspaket von Anfang April ist der Import aus Russland nun gänzlich verboten. Einfach zu ersetzen sind die Düngemittel nicht, denn aufgrund der weltweit drohenden Lebensmittelkrise haben auch andere Düngemittel-Exporteure Ausfuhrstopps verhängt. Darunter befindet sich auch China, das eine Exportsperre für Dünger verhängt hat, um die Getreideernten im eigen Land zu sichern.
Kali- und Phospordünger können nur mithilfe natürlicher Vorkommen dieser Rohstoffe hergestellt werden und diese liegen zum einen erheblichen Teil in Russland. Stickstoffdünger könnte Deutschland dagegen auch selbst herstellen, allerdings benötigt die Landwirtschaft dafür Erdgas. Der Verband fordert daher bei einer drohenden Gasknappheit eine Priorisierung der Landwirtschaft, um die Nahrungsmittelversorgung zu gewährleisten. Kurzfristig sei die Versorgung mit Düngemitteln laut Deutschem Bauernverband (DBV) noch gewährleistet, allerdings zu „exorbitanten Preisen“.