Die Armut in Deutschland steigt. „Mit 15,2 Prozent Armutsquote ist 2012 ein neuerliches, trauriges Rekordhoch erreicht“, berichtet der Paritätische Gesamtverband in seinem Armutsbericht „Zwischen Wohlstand und Verarmung: Deutschland vor der Zerreißprobe“. Der Verband widerspricht dem Armutsbericht der Bundesregierung aus März des laufenden Jahres. Darin wurde bekannt gegeben, die Armut sei gestoppt.
Das Statistische Bundesamt bestärkt die Argumente des Sozialverbandes und rechnet mit einer noch höheren Armutsquote von 19,6 Prozent. Darüber hinaus sind in Deutschland weitere 16 Prozent armutsgefährdet. Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdient.
Wer sich kein eigenes Auto leisten, die Wohnung nicht richtig heizen oder weniger als eine Woche pro Jahr Urlaub machen kann, ist laut Statistik zudem von „erheblichen materiellen Entbehrungen betroffen“. Damit hatten 5 Prozent der deutschen Bevölkerung zu kämpfen. Doppelt so viele leben in einem Haushalt, in dem vergleichsweise wenig Menschen eine Arbeit haben. Als arm oder sozial ausgegrenzt gilt, auf wen mindestens eines dieser drei Kriterien zutrifft.
Der Paritätische Gesamtverband untersucht seit 2005 die Wohlstandsentwicklung in Deutschland und zeigt, dass sich Wirtschaft und Armut offenbar unabhängig voneinander entwickeln. Seit 2009 ist das BIP in Deutschland stetig gestiegen. Aber auch die Armutsquote steigt in diesem Zeitraum an (siehe Grafik).
Gerade auch mit Blick auf die Regionen treten demnach besorgniserregende Entwicklungen zu Tage:
„Mehrjährig positive Trends in Mecklenburg-Vorpommern oder Thüringen sind 2012 zum Erliegen gekommen, positive Trends in Brandenburg oder Hamburg scheinen sich nun endgültig gedreht zu haben. Während die Länder mit vergleichsweise sehr niedrigen Armutsquoten – Baden-Württemberg und Bayern – ihre Position noch einmal verbessern konnten, verschlechterte sich zugleich die Situation bei denjenigen Ländern, die ohnehin mit Armutsquoten von über 20 Prozent weit abgeschlagen waren: Sachsen-Anhalt, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen.“
Die Armut sei im Vergleich zum Vorjahr nur um 0,1% gestiegen. Der nur moderate Anstieg ist ein Saldo aus guten Entwicklungen in den bereits vorher gut gestellten südlichen Bundesländern. In Betrachtung der Länderquoten deutlich, dass sich der Abstand zwischen wohlhabenden und armen Regionen in Deutschland zum ersten Mal seit Jahren wieder vergrößert:
„Die Kluft zwischen bundesdeutschen Wohlstandsregionen auf der einen Seite und Armutsregionen auf der anderen Seite wächst stetig und deutlich. Die sozialen und regionalen Fliehkräfte, gemessen an der Einkommensspreizung, nehmen seit 2006 in Deutschland dramatisch zu. Deutschland steht vor der Zerreißprobe.“
EU-weit ist jeder Vierte von Armut betroffen. Im Euro-Krisenstaat Griechenland sogar mehr als jeder Dritte. „Die Kluft zwischen reicheren und ärmeren Staaten nimmt zu", sagte eine Statistikerin von Destatis.
Denn in Griechenland, das sein sechstes Rezessionsjahr in Folge erlebt, sind immer mehr Menschen arm oder sozial ausgegrenzt. Waren es vor Ausbruch der Krise rund 28 Prozent, stieg die Zahl zuletzt auf fast 35 Prozent. Auch in Spanien gab es einen kräftigen Anstieg. In Bulgarien ist sogar jeder Zweite betroffen.
Ältere und Alleinerziehende stark gefährdet
Im Armutsbericht der Bundesregierung haben Rentner und Alleinerziehende ein hohes Armutsrisiko. Fast jeder dritte Alleinerziehende ist arm:
„Haushalte von Alleinerziehenden weisen mit rund 40 Prozent die höchste Armutsrisikoquote auf. Dieser hohe Anteil relativ niedriger Einkommen in den Haushalten von Alleinerziehenden geht mit Erwerbslosigkeit oder einem sehr geringen Beschäftigungsumfang von Alleinerziehenden einher. Eine sehr niedrige Erwerbsintensität ist dann gegeben, wenn alle erwerbsfähigen Haushaltsmitglieder im Alter von 18 bis 59 Jahren weniger als 20 Prozent arbeiteten […] Der Anteil der Alleinerziehenden in Deutschland mit einer sehr niedrigen Erwerbstätigkeit beträgt rund 28 Prozent, während der Anteil bei allen Haushalten mit Haushaltsmitgliedern im erwerbsfähigen Alter bei elf Prozent liegt.“
Das Armutsrisiko von Alleinerziehenden überträgt sich auf die in den Haushalten lebenden Jugendlichen. Zur Jugendarmut finden sich in dem Bericht der Bundesregierung keine detaillierten Angaben.
Haushalte, die Wohngeld erhalten, verfügen im Regelfall über ein Einkommen, das nur wenig über dem derjenigen Menschen liegt, die Mindestsicherungsleistungen beziehen. Der Anteil der Rentner, die Wohngeld erhalten, hat sich erhöht. Vier von zehn Rentnern leben demnach an der Armutsschwelle:
Am Jahresende 2010 erhielten rund 407.000 Rentnerhaushalte Wohngeld (Tabelle B V.2.4). Das waren 39 Prozent der Wohngeldhaushalte insgesamt. Damit bezogen 3,6 Prozent aller Rentnerhaushalte Wohngeld. Dieser Anteil erhöhte sich durch die Wohngeldreform 2009 deutlich. Der Anteil der Frauen an allen wohngeldberechtigten Personen in dieser Altersgruppe entspricht mit 65 Prozent fast exakt ihrem Anteil an den Leistungsberechtigten dieser Altersgruppe in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (64 Prozent).
Besonders betroffen von einem relativ geringen Einkommen waren den aktuellen Berechnungen zufolge auch Jugendliche und junge Erwachsene. (siehe Grafik unten).