Der neu ernannte Justizminister Bekir Bozdağ beschuldigt den Hohe Richter- und Staatsanwälterat (HSYK) des Eingriffs in die Unabhängigkeit der Justiz und versucht deshalb nun ihren Handlungspielraum einzuschränken. Dieser hatte ein am 22. Dezember in Kraft getretenes Polizei-Kontroll-Dekret scharf kritisiert. Nun verlangt Bozdağ die unbedingte Gefolgschaft. Ohne vorherige Absprache darf keine Presseerklärung mehr herausgegeben werden.
In einem Statement am vergangenen Donnerstag, dem ersten Amtstag von Bozdağ, hatte der HSYK erklärt, dass staatliche Institutionen und leitende Angestellte stets im Einklang mit dem Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz handeln müssten. Eine unabhängige Justiz sei die Garantie der Bürger gegen die Herrschenden. Die Justizbehörde wies darauf hin, dass die gerichtliche Kontrolle der Herrschenden für ihre illegalen Aktivitäten ein wesentlicher Bestandteil einer demokratischen Nation und Teil der Rechtsstaatlichkeit sei.
Bozdağ verpasst HSYK einen Maulkorb
„Diese Aussage ist ein Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz und sie ist wie eine Anweisung an die Richter und Staatsanwälte, die die Aufsicht über die Korruptionsuntersuchungen haben“, zitiert die türkische Zeitung Zaman Justizminister Bozdağ, der bisherige Vizeregierungschef. Das sei ein klarer Verstoß gegen Artikel 138 der Verfassung. Von Gesetzes wegen sei der HSYK nicht befugt, Statements abzugeben.
Zuvor hatte ein Polizei-Dekret für einen regelrechten Aufschrei beim Hohen Rat der Richter und Staatsanwälte gesorgt. Der verurteilte den Erlass der Regierung Erdoğan scharf. Der Justizbehörde zufolge sei das ein eklatanter Versuch, die Ermittlungen zu behindern. Der Erlass sei „nicht verfassungskonform“. Zudem würden diejenigen, die das Land regieren, auf diesem Wege versuchen die Justiz zu kontrollieren. Das Ganze sei eine offene Verletzung der Grundsätze der Unabhängigkeit der Justiz und der Gewaltenteilung sowie eine offene Verletzung der türkischen Verfassung und der einschlägigen Gesetze der Strafprozessordnung.
Am Freitag blockierte schließlich der Staatsrat das Dekret. Die Anordnung könnte „unwiderrufliche Schäden“ verursachen, hieß es in der Begründung. Seit vergangenen Sonntag war die türkische Polizei angewiesen, ihre Vorgesetzten zu informieren. Und zwar bevor sie die Anweisungen der Staatsanwaltschaft aus- und Festnahmen durchführt.
Säuberungen im Umkreis des Finanzministeriums
Unterdessen hat die Regierung Erdoğan ihre Säuberungsaktionen auch auf andere Institutionen ausgeweitet. Wie die Zaman meldet, seien am Montag zehn Angestellte aus der Verwaltung des türkischen Finanzministeriums (GİB) versetzt worden. Zuvor waren im Zuge der Korruptionsuntersuchungen mehr als 500 Polizisten ihrer Ämter enthoben versetzt worden. Angeblich soll es bereits Vorbereitungen geben, auch Gouverneure in den Provinzen auszutauschen, in denen es weitere Untersuchungen geben könnte.
Hinnehmen wollen das übrigens nicht alle. Wie die Zeitung erfahren haben will, sollen bisher mindestens 20 Polizisten Klage am Verwaltungsgericht in Ankara gegen ihre Versetzung eingereicht haben. Unter jenen soll sich auch Lokman Kırcılı, der ehemalige stellvertretende Polizeichef der Anti-Terror-Einheit in Ankara, sowie İsmail Öztürk, der ehemalige stellvertretende Leiter der Polizeiabteilung für Schmuggel in Ankara, befinden. Sie führen an, dass ihre Versetzun jeglicher rechtlichen Grundlage entbehre.
Gewerkschaft kritisiert Mangel an Rechtsstaatlichkeit
In den Reihen der Kritiker findet sich seit diesem Montag auch die türkische Gewerkschaft Kamu-Sen. In einer schriftlichen Erklärung wirft sie der AKP-Regierung vor, gerade das Gegenteil dessen zu tun, was sie dem Volk vor zehn Jahren bei ihrer Wahl versprochen hätte. Der Prozess hätte mit unfairen und renitenten Aussagen begonnen, hätte sich dann zu einem riesigen Korruptionsskandal ausgeweitet und sei nun bei Profilierung und Verbannung angekommen. Letzteres würde immer noch stattfinden. Es dürfe nicht vergessen werden, dass jede Regierung, die ihre Macht nicht auf Recht und Gesetz gründet, dem Untergang geweiht sei. Wenn 90 Prozent der Arbeiter in einer Institution über die Institution reden würden, indem sie von einen Mangel an Vertrauen in diese Institution sprächen, dann bedeute dies, dass diese nicht mehr lange da sein werde.