Politik

Korruption in der Türkei: Erdoğans enge Bande mit der Bauwirtschaft

Der Korruptionsskandal in der Türkei weitet sich auf den Bausektor aus: Premierminister Erdoğan attackiert Staatsanwälte, die Ermittlungen zum Bau des neuen Flughafens in Istanbul eingeleitet haben. Diese vermuten einen Fall von Vorteilsnahme. Sie verfolgen eine Spur, die ein prominenter Baumogul gelegt hat. Der Fall zeigt: Die Kungelei von Bauwirtschaft und Politik wird immer durch Korruption geprägt.
03.01.2014 01:53
Lesezeit: 2 min

Premierminister Recep Tayyip Erdoğan übt scharfe Kritik an den Staatsanwälten, die Ermittlungen gegen das Konsortium zum Bau des neuen Flughafens in Istanbul aufgenommen haben. In einer Rede vor Anhängern seiner Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) zeigt er sich überzeugt von einer angeblichen verschwörerischen Parteinahme der Ermittler und deutet ihr Engagement als Ausdruck von mangelnden Verantwortungsbewusstsein für die Türkei.

„Jene Ingenieure, die den Bau des Flughafens vorantreiben, bekamen ein gerichtliches Mahnverfahren“, beklagte der Premier vor seinen Anhängern. „Warum? Weil sie (gemeint sind die ermittelnden Staatsanwälte, Anm. d. Red.) nicht wollen, dass sie den Flughafen fertig bauen! Ich frage diese böswilligen Staatsanwälte: Wo ist eure Vaterlandsliebe geblieben?“

Den Anlass zu Erdoğans Philippika gegen die Vertreter der Rechtsprechung bildet der zweite Teil der Ermittlungen im Korruptionsskandal: Im ersten Teil richteten sich die Ermittlungen gegen Mitglieder von Erdoğans Kabinett. Der zweite Teil stellt eine Ausweitung des Skandals auf Teile der staatsnahen Wirtschaft dar, insbesondere der mit öffentlichen Aufträgen bedachten Bauwirtschaft.

Der Bau des Flughafens ist jedoch nur ein Beispiel unter mehreren. Ebenfalls im Fokus der Ermittlungen steht der Bau einer Hochgeschwindigkeits-Trasse durch Limak-Colin-Cengiz.

Die Verantwortung für den Bau des Flughafens liegt bei einem Konsortium bestehend aus den Firmen Cengiz Insaat, Kolin, Limak, Mapa und Kalyon. Dieses Konsortium gewann den 22 Milliarden Euro schweren Auftrag für den Flughafen. Die entscheidende Frage ist nun, ob sich das Konsortium mithilfe der Beeinflussung der türkischen Regierung einen Wettbewerbsvorteil verschafft hat. Dieser bestünde in einem deutlich über dem Marktpreis liegenden Kostenvoranschlag.

Exakt an dieser Stelle setzt die Verteidigung der beteiligten Firmen an. Cengiz-Chef Mehmet Cengiz bezeichnet die Vorwürfe der Vorteilsnahme als substanzlos, da die Bauprojekte unterhalb der Marktpreise ausgehandelt worden seien. Außerdem weisen die Vorstände von Cengiz, Limak und Kolin darauf hin, dass sie bisher keine offizielle Anklage-Schrift erhalten hätten.

Die ermittelnden Staatsanwälte hingegen belegen ihren Verdacht mit einer Abschrift eines Telefongespräches zwischen dem Multi-Milliardär und beteiligten Investor Ahmet Ağaoğlu. Dieser bezeichnete Erdoğan nach derzeitigen Stand der Ermittlungen als den „Oberboss“. Ağaoğlu selbst wollte sich nach Angaben der Financial Times nicht zu den Vorfällen äußern. Ağaoğlu gehörte zu den im ersten Teil des Skandals festgenommenen Geschäftsmännern, wurde dann aber freigelassen.

Analysten sehen die Wurzel des Korruptionsproblems in einer Art verdeckten Zentralismus der Auftragsvergabe. Die türkische Regierung hat verfügt, dass jeder öffentliche Bauauftrag in der Türkei von einer Baubehörde mit Namen Toki zu prüfen ist. Diese untersteht direkt dem Premierminister. Somit ist Erdoğan Herr aller staatlichen Bauvorhaben.

„Das ganze System läuft so: Wenn die gemeinde Istanbul meint, dass hier nicht gebaut werden kann, dann überstimmt Ankara sie einfach! Aus Sicht eines Bauherrn ergibt es also viel mehr Sinn, sich direkt an die zentrale Autorität zu wenden“, so Refet Gurkaynak, Volkswirt der Bilkent Universität in Ankara. Die Strategie der Regierung liege darin, statt einer tiefgreifenden Strukturreform zur Stabilisierung der türkischen Volkswirtschaft die Zahl der öffentlichen Aufträge drastisch zu erhöhen.

Tatsächlich hat Erdoğan nach Angaben der türkischen Statistik-Behörde Turkstat die Vergabe öffentlicher Bauaufträge in den letzten fünf Jahren massiv ausgeweitet. Dies führte zu einem Anstieg von 51 Prozent der Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft.

Hinzu kommt die angeblich mangelnde Transparenz der Baubehörde Toki. „Toki ist eine Black Box“, so Aykut Erdogdu, Parlamentsmitglied der größten Oppositionsfraktion CHP. In einem von ihm verfassten Bericht beklagt er die Intransparenz zwischen Toki und deren Vertragspartnern.

Sollte sich der Verdacht der Staatsanwälte bestätigen und der Auftrag unter rechtswidrigen Bedingungen zustande gekommen sein, dann gliche die Struktur der derzeitigen Situation einem Teufelskreis. Denn der türkische Premier verwendet just die vermeintlichen Erfolge seiner Konjunkturpolitik als Argument gegen die Anschuldigungen von Korruption. Damit besteht für die türkische Regierung der Anreiz, noch mehr kostspielige und intransparente Projekte zu finanzieren, deren eventuell flüchtiger Erfolg von Investoren befürchtet wird.

Mit Blick auf das zehn Jahre andauernde stabile Wirtschaftswachstum, das wesentlich von der Expansion der Bauwirtschaft getrieben wird, sagt Erdoğan in seiner Rede: „Meine Brüder, könnte eine korrupte Regierung so etwas leisten?“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Chinas Exporte überraschen - Fokus auf die USA
09.05.2025

Trotz des anhaltenden Handelskonflikts mit den Vereinigten Staaten sind Chinas Exporte überraschend robust geblieben. Der Außenhandel mit...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Reiche fordert den Ausbau von Gaskraftwerken in Deutschland
09.05.2025

Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche setzt auf einen schnellen Ausbau von Gaskraftwerken in Deutschland. Die Gründe dafür...

DWN
Politik
Politik Putins Parade: Moskau feiert "Tag des Sieges" – Europas Spaltung auf dem Roten Platz sichtbar
09.05.2025

Während Putin mit Pomp den „Tag des Sieges“ feiert, marschieren zwei europäische Regierungschefs an seiner Seite – trotz Warnungen...

DWN
Panorama
Panorama Der stille Anti-Trump? Internationale Reaktionen auf Papst Leo XIV.
09.05.2025

Mit der Wahl von Robert Francis Prevost zum neuen Oberhaupt der katholischen Kirche übernimmt erstmals ein Amerikaner das Papstamt. Welche...

DWN
Finanzen
Finanzen Allianz-Aktie nach Dividendenabschlag im Minus – Chance für Anleger?
09.05.2025

Die Allianz-Aktie zählt 2025 zu den Top-Performern im DAX – doch am Freitagmorgen sorgt ein deutlicher Kursrückgang für Stirnrunzeln...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Rekordhoch zur Eröffnung am Freitag
09.05.2025

Zum Handelsbeginn am Freitag hat der DAX ein frisches DAX-Rekordhoch erreicht. Die im April gestartete Erholungswelle nach dem ersten...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Insolvenzen in Deutschland steigen nur noch geringfügig an - ist das die Trendwende?
09.05.2025

Der Anstieg der Insolvenzen in Deutschland hat sich im April deutlich verlangsamt. Laut Statistischem Bundesamt wurden im Monatsvergleich...

DWN
Finanzen
Finanzen Commerzbank-Aktie profitiert von starkem Jahresauftakt - und nun?
09.05.2025

Die Commerzbank-Aktie hat zum Start in den Börsenhandel am Freitag leicht zugelegt. Das deutsche Geldhaus überraschte mit einem...