Weltwirtschaft

US-Vollzeitangestellte in dramatischer Lage

Lesezeit: 3 min
12.09.2022 13:55  Aktualisiert: 12.09.2022 13:55
Für Vollzeitangestellte in den USA ist die aktuelle Lage prekär. Die Angestellten stehen vor Existenzproblemen.
US-Vollzeitangestellte in dramatischer Lage
Vollzeitarbeit ist für immer mehr Menschen in den USA nicht lohnenswert. (Foto: dpa)
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Die Lage für Vollzeitangestellte in den USA ist dramatisch, wie ein Bericht der USA Today zeigt. Gut sehen kann man die Situation am Beispiel der Familie Hernandez. Rosalba Hernandez und ihr Mann sind beide auf Vollzeit in einem Restaurant angestellt. Mit fünf Kindern, steigenden Inflationsraten und einer Wohnung in San Diego, deren Miete ständig steigt, lebt die Familie von Tag zu Tag.

Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie ist die Lage besonders angespannt. Eine Razzia der Einwanderungsbehörde im Jahr 2019 führte dazu, dass Hernandez ihren zweiten Job in einem koreanischen Lebensmittelladen verlor. Als das Restaurant, in dem sie zuvor gearbeitet hatte, nach der staatlichen Schließung geschlossen wurde, geriet die Familie mit der Miete um 6.000 Dollar in Rückstand und muss die Schulden weitertragen.

Hernandez und ihr Mann mussten kreativ sein, um über die Runden zu kommen. Da die Wohnkosten gestiegen sind, vermietet das Paar ein Zimmer in ihrer Zweizimmerwohnung für 800 Dollar pro Monat an ein Familienmitglied. Die Kosten für die Kinderbetreuung sind nicht bezahlbar und so arbeiten Hernandez und ihr Mann in entgegengesetzten Schichten, um sich um ihr einjähriges Kind zu kümmern. Das Trinkgeld, das Hernandez verdient, geht für Lebensmittel drauf.

Familie Hernandez kein Einzelfall

Die Familie Hernandez ist nicht allein. Grundlegende Dinge wie Lebensmittel, Wohnung und medizinische Versorgung sind für viele amerikanische Familien zu teuer, selbst wenn sie Vollzeit arbeiten. Mehr als ein Drittel der US-Familien, die das ganze Jahr über Vollzeit arbeiten, verdienen nicht genug, um ein grundlegendes Familienbudget zu decken, so ein aktueller Bericht von Forschern des Programms diversitydatakids.org der Brandeis University am Institute for Child, Youth and Family Policy in Waltham (Massachusetts).

Afroamerikaner und Hispanics noch härter betroffen

Dem Bericht zufolge ist die Situation für afroamerikanische und hispanische Familien noch schlimmer. Mehr als die Hälfte von ihnen kann sich die Grundbedürfnisse nicht leisten, verglichen mit 25 % der weißen Familien und 23 % der Familien asiatischer und pazifischer Herkunft.

Die Ungleichheiten bleiben auch dann bestehen, wenn man Bildung und Beruf berücksichtigt, so Abigail Walters, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kinder-, Jugend- und Familienpolitik, gegenüber USA Today: „Es trägt zu einem erheblichen Unterschied in den Möglichkeiten bei, die Familien ihren Kindern bieten können. Vollzeitarbeit zahlt sich für diese Familien nicht aus und sie brauchen eine Lohnerhöhung.“

Der Bericht ergab, dass 35 % der Familien, die Vollzeit arbeiten, nicht genug verdienen, um die Grundbedürfnisse wie Wohnung, Lebensmittel, medizinische Versorgung, Transport zur Arbeit, Kinderbetreuung und minimale Haushaltsausgaben zu decken. 77 % dieser Menschen können die Rechnungen trotz Vollzeitarbeit nicht bezahlen.

89, 7 Millionen Menschen einkommensschwach

Wie USA Today berichtet galten im Jahr 2020 laut Population Reference Bureau, einer gemeinnützigen Organisation, die Statistiken zur Erforschung der Gesundheit und Struktur von Bevölkerungen erhebt, mehr als ein Viertel der US-Bevölkerung, nämlich 89,7 Millionen Menschen, als einkommensschwach.

Der Bericht ergab, dass Familien mit niedrigem Einkommen, die Vollzeit arbeiten, jährlich 23.500 Dollar zusätzlich benötigen, um ihre Grundausgaben zu decken. Afroamerikanische Familien und Hispanics bräuchten etwa 26.000 Dollar mehr im Jahr. Die in dem Bericht verwendeten Daten stammen aus den Jahren 2015 bis 2019. Die Forscher sagen, dass sich die Situation wahrscheinlich noch verschärft hat, nachdem die Pandemie zu massiven Entlassungen und Rekordinflationsraten geführt hat.

Struktureller Rassismus ein Problem

Die Forscher stellten fest, dass es nicht so einfach ist, mehr zu verdienen, indem man die Branche wechselt oder einen zweiten Job annimmt. So erklärt Walters: „Es gibt Probleme mit strukturellem Rassismus. Es gibt erhebliche Hindernisse, um einen besseren Job zu bekommen, sei es aufgrund von Einstellungsdiskriminierung oder weil man der Letzte ist, der eingestellt und der Erste, der gefeuert wird, sowie aufgrund von Lohnunterschieden.“

Die Forscher skizzierten Maßnahmen, die Arbeitgeber und politische Entscheidungsträger ergreifen können, um Familien zu helfen. Eine Möglichkeit. Lohnerhöhungen. Arbeitgeber können helfen, indem sie die Löhne erhöhen, mehr Sozialleistungen anbieten und Aufstiegsmöglichkeiten in besser bezahlte Anstellungen schaffen. Alternativ können die politischen Entscheidungsträger das Einkommen der Familien durch höhere Steuergutschriften erhöhen.

Kinderbetreuungssystem braucht Überarbeitung

Ein erschwinglicheres Kinderbetreuungssystem würde auch Familien zugutekommen, die sich das Nötigste nicht leisten können. Laut der gemeinnützigen Organisation Child Care Aware liegen die durchschnittlichen jährlichen Kosten für Kinderbetreuung in den USA bei 10.174 Dollar. Nach Ansicht von Forschern sollten Familien in der Lage sein, sich einen Krankheitsurlaub zu leisten, ohne dass ihnen der Verlust ihres Arbeitsplatzes oder eines wesentlichen Teils ihres Einkommens droht.

Etwa 80 % der vollzeitbeschäftigten Familien haben Zugang zu einer Krankenversicherung durch ihren Arbeitgeber, wenn sie weiß oder asiatisch sind. Bei Afroamerikanern oder Hispanics sind es nur 71 % bzw. 59 %. Arbeitgeberleistungen sind bei Familien mit geringem Einkommen weniger verbreitet.

Weniger als die Hälfte der hispanischen Familien mit niedrigem Einkommen und Vollzeitbeschäftigung, haben Zugang zu einer Krankenversicherung bei ihrem Arbeitgeber. Pamela Joshi, eine leitende Wissenschaftlerin und Hauptautorin der Studie nennt den Verdienst als das Hauptproblem: Die niedrigen Löhne werden nicht durch Arbeitgeberleistungen ausgeglichen. Umso wichtiger, dass diese Realität mehr Aufmerksamkeit bekommt, damit sich an der Situation dieser Menschen in Zukunft etwas verbessert.


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