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Die trügerische Sicherheit der gefüllten Erdgas-Speicher

Lesezeit: 4 min
14.09.2022 10:03  Aktualisiert: 14.09.2022 10:03
Die Erdgasspeicher scheinen für den Winter gut gefüllt, so heißt es. Doch die gute Ausgangslage wurde hart erkämpft, und dieser Kampf hat Opfer gefordert.
Die trügerische Sicherheit der gefüllten Erdgas-Speicher
Die euphorisch bejubelten Zahlen über die gefüllten Erdgas-Speicher entsprechen nicht der ganzen Wahrheit. (Foto: dpa)
Foto: Alexandra Wey

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„Der Winter naht“, so lautet eine unheilvolle Erkenntnis aus der erfolgreichsten TV-Reihe der vergangenen Jahre, „die Nacht ist dunkel und voller Schrecken“ beschreibt die damit zusammenhängende düstere allgemeine Aussicht. Und in der Tat, im fiktiven Szenario der Serie wurde den Protagonisten so einiges abverlangt, an Opferbereitschaft und Durchhaltevermögen. Das nun auch hierzulande der Winter naht, wirkt mittlerweile auf nicht wenige ebenso bedrohlich. Hier, wie im imaginären Westeros, wird sich nun angesichts des Kommenden eiligst untergehakt, „you´ll never walk alone“, so schaffen wir auch das! Eine der wesentlichen Gemeinsamkeiten zwischen Fantasie und Wirklichkeit ist die, dass in beiden Fällen der Ausgang des Abenteuers nicht vorhersehbar ist. Die beinahe schon euphorisch bejubelten Füllstände unserer Erdgasspeicher sind das eine, etwas ganz anderes jedoch die laufenden Zu- und Abflüsse des Brennstoffs selbst.

Die Speichersituation

Hinsichtlich der Füllstände der deutschen Erdgasspeicher darf der nahen Zukunft durchaus zuversichtlich entgegengeblickt werden. Die Kraftanstrengungen, die zwecks deren Befüllung unternommen wurden, sind im Ergebnis bemerkenswert, laut Gas Infrastructure Europe (GIE) beläuft sich der Füllstand aller deutschen Erdgasspeicher mittlerweile auf mehr als 87,5 Prozent (per 09.09.2022).

Bleiben die Einflussvariablen gleich, wird der zum Stichtag 1. November angepeilte Gesamtfüllstand von 95% dann auch trotz erheblicher russischer Fehlmengen überschritten sein, was ein gutes Polster für die kommenden Monate bietet. Selbst Westeuropas größter Untergrundspeicher im niedersächsischen Rehden wird zum Stichtag 1. November, bei bis dahin gleichbleibender Einspeichergeschwindigkeit, komplett gefüllt sein. Das ist allein deshalb besonders bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass Rehden noch vor fünf Monaten aufgrund der unbemerkt gebliebenen nichterfolgten Einspeicheraktivitäten in 2021 durch den vormaligen Betreiber Gazprom komplett leergefahren war – der Füllstand lag am 11. April bei lediglich 0,5 Prozent seiner Kapazität. Dass diese Leistung nicht nur auf neue Beschaffungswege und vernunftsbasierte Nachfrageminderung zurückzuführen ist, sondern nicht wenige Unternehmen aufgrund betriebswirtschaftlicher Gründe gezwungenermaßen ihren Verbrauch drosseln mussten, wird in diesem Zusammenhang gerne unterschlagen. Das Wort „Erfolg“ hat in Bezug auf die laufende Speicherbefüllung einen schalen Beigeschmack. Die jetzt angesichts des nahenden Winters gute Ausgangslage wurde durchaus erkämpft, und dieser Kampf hat Opfer gefordert.

Zu- und Abflüsse als entscheidende Variablen

Zwar ist ein Teil der deutschen Erdgasspeicher derzeit deutlich voller als in vorangegangenen Jahren, die Sicherheit, die diese Nachricht suggeriert, ist jedoch trügerisch. Dabei verhält es sich, wie mit einem gut gefüllten Portemonnaie: ein solches vermittelt dies Sicherheit, bevorstehenden Ausgaben kann entspannt entgegengesehen werden. Allerdings ist auch jedem bewusst, dass im Geldbeutel früher oder später wieder Leere herrschen wird, je nach Konsumneigung. Ein volles Säckel ist selbstverständlich eine gute Ausgangslage, wichtiger jedoch ist ein stetiger Zufluss an frischen Mitteln, der dieses sowohl wieder auffüllt als auch die laufenden Kosten deckt. In angespannten Zeiten heißt es sparen, was zum einen den Inhalt des Geldbeutels mehrt, als auch die Ausgaben als solche vermindert. Die deutschen Erdgasspeicher, das Portemonnaie, verfügen insgesamt über eine Kapazität von rund 245 TWh, die monatlichen Zuflüsse liegen bei gut 80 TWh, davon kommen 30 TWh aus Russland. In den verbrauchsarmen Sommermonaten fließen im Schnitt lediglich 40 TWh pro Monat ab, im Winter jedoch liegen die „Ausgaben“ dreimal so hoch, bei im Durchschnitt 120 TWh pro Monat.

Unter der Voraussetzung, dass Russland die 30 TWh liefert, besteht dabei kein Problem, die Gasversorgung ist über den Winter gesichert, und man startet sogar noch mit leicht gefüllten Speichern in das Frühjahr. Anders sieht es jedoch aus, wenn russisches Gas ausbleibt. Selbst wenn per 1. November dieses Jahres ein Füllstand von 100 Prozent erreicht wird, gerät das Land dann, bei gleichbleibenden Zu- und Abflüssen, im Laufe des Februar 2023 ins Defizit, am 1. März stünden 35 TWh weniger zur Verfügung, als benötigt werden, zum Ende der Heizperiode, hier optimistisch zum 1.04. angenommen, fehlten 105 TWh. Dramatischerweise kommt hier hinzu, dass sich, anders als im Geldbeutel-Beispiel, bei einem physischen Rohstoff auch kein Überbrückungskredit nutzen lässt. Was nicht da ist, ist schlicht nicht da. Technische Restriktionen, wie eine sich vermindernde Ausspeicherleistung bei sich leerenden Speichern gegen Ende des Winters, sind hier noch gar nicht berücksichtigt.

Sparen ist das Gebot der Stunde

Obige Modellrechnung basiert auf Durchschnittswerten und zieht in Betracht, dass Russland seine Erdgasliefermengen gen Westen vollständig einstellen könnte. Ein milder Winter und zumindest geringe Zuflüsse würden die Lage verbessern, ein kalter Winter den Zeitpunkt einer Gasmangellage weiter nach vorne verschieben. Wetter- wie Putinprognosen sind mit großer Unsicherheit behaftet, es wird jedoch deutlich, dass das von Wirtschaftsminister Habeck skizzierte Worst-Case-Szenario einer Energie-Mangellage mit damit einhergehenden Blackouts und Rationierungen sehr realistisch ist. Ein Puffer im Falle eines insgesamt harschen Winters, einer späten Kälteepisode oder bei außerplanmäßigen Lieferunterbrechungen aus anderen, sonst zuverlässigen Quellen ist nicht vorhanden. Unter den gegebenen Annahmen wäre eine Nachfragereduzierung, quasi die „Sparquote“, von mindestens 18 Prozent pro Monat notwendig, damit zwischen November und dem 1. April nicht buchstäblich das Licht, und anderes, ausgeht (die offizielle Heizperiode läuft hierzulande länger, legt man sechs Monate zugrunde, müsste sich die Nachfrage sogar um 25 Prozent pro Monat reduzieren).

Dies ist schon allein deshalb eine Herausforderung, weil die Einsparung von Erdgas erheblich besser in den Sommermonaten funktioniert als im Winter. Und selbst, wenn noch in diesem Winter zwei der geplanten LNG-Terminals den Betrieb aufnehmen würden, wäre deren Effekt bestenfalls marginal. Mehr als acht TWh pro Monat werden diese nicht liefern – auch dies unter der Annahme, dass der Weltmarkt überhaupt mehr LNG zur Verfügung stellen kann und Deutschland davon, wie bei seinen sonstigen Importmengen auch, 30 Prozent an die Nachbarländer verteilt. In Sachen Einsparbemühungen sieht Bundesnetzagenturchef Klaus Müller nun übrigens insbesondere die privaten Haushalte in der Pflicht.

Anders als die Industrie, die die offizielle Zielmarke von monatlich Minus 20 Prozent zuletzt erreicht hatte, hätten private Haushalte ihren Verbrauch in der ersten Septemberwoche sogar gesteigert, kritisierte Müller jüngst in der FAZ. Für die deutsche Wirtschaft verdunkelt sich der Himmel in jedem Fall. Die Kosten für die Erdgasbeschaffung übersteigen alles bisher Erlebte. Verschiedene ökonomische Modellrechnungen pendeln sich auf einen damit begründeten Rückgang des diesjährigen Bruttoinlandsprodukts von rund sieben Prozent ein, und das auch nur, wenn die Preise nicht weiter steigen. Privathaushalte, Mittelständler und auch einige Großunternehmen werden erhebliche Schwierigkeiten haben, die Auswirkungen dieser Krise zu überstehen, massive Hilfe aus öffentlicher Hand dürfte nötig sein. Die befürchtete schwere Rezession könnte damit ausbleiben, wenn auch um den Preis eines tiefen Loches im Staatshaushalt.

                                                                            ***

Markus Grüne (49) ist langjähriger professioneller Börsenhändler in den Bereichen Aktien, Derivate und Rohstoffe. Seit 2019 arbeitet er als freier Finanzmarkt-Journalist, wobei er unter anderem eigene Börsenbriefe und Marktanalysen mit Fokus auf Rohstoffe publiziert. 


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