Xi Jinping, der vermeintlich über alle Schwierigkeiten erhabene Herrscher von Rotchina, grübelt über die Frage nach, ob er überhaupt den Befehl zur Invasion von Taiwan geben soll und wenn ja, wann. Viele Faktoren muss Xi bedenken. Im Land selbst wird zwar jede Opposition niedergeknüppelt, doch kann der Diktator nicht sicher sein, dass er tatsächlich alle potenziellen Konkurrenten ausgeschaltet hat. Außerdem ist eine deutlich wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu beobachten. Auf der internationalen Ebene haben die beiden Partner Chinas, Russland und der Iran, herbe Rückschläge erlitten. Die Zukunft des Weltfriedens und der Weltwirtschaft hängt vom Ausgang der Überlegungen des Möchte-Gern-Weltherrschers Xi ab.
Das Drehbuch für den Parteitag der Kommunistischen Partei ist noch nicht fertig
Auch wenn das mit Xi-Marionetten besetzte Parlament Xi 2018 die Präsidentschaft auf Lebenszeit ermöglicht hat, muss er beim Parteitag der KPCh am kommenden 16. Oktober die Zustimmung für eine weitere Fünfjahresperiode als Generalsekretär erobern. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wächst, vor allem angesichts der unerträglich hohen Wohnungspreise und Mieten, auch die weiterhin rigoros verhängten Lock-Downs gegen Covid sorgen für Unmut. Da könnte ein rascher Start des Kriegs gegen Taiwan die Bevölkerung hinter ihrem Führer einen und den Parteitag zu einem nationalen Fest für das stark aufgerüstete Heer und seinen Oberbefehlshaber machen.
Probleme im Inland durch einen Krieg zu kaschieren, ist kein Patentrezept
Das alte Rezept, Probleme im Inland mit einem Krieg gegen einen tatsächlichen oder vermeintlichen Feind zu kaschieren, ist aber für XI nicht unbedingt die momentan passende Alternative. Das Schicksal, das derzeit Wladimir Putin in der Ukraine erleidet, bildet doch eine ernsthafte Warnung. Schließlich hat der russische Präsident vollmundig verkündet, seine Armee könnte in zwei Stunden in Kiew stehen, und jetzt dauert der Krieg schon sieben Monate und momentan befinden sich sogar russische Verbände auf dem Rückzug. Eine ähnliche Blamage will der chinesische Herrscher naturgemäß nicht erleiden, muss aber die Parallelen sehen: So wie die Ukraine wird auch Taiwan von den USA unterstützt und mit Waffen ausgestattet. Und nicht nur mit irgendwelchen Waffen. Angesichts der Bedrohung durch China wird in Taiwan die Raketenabwehr mit Hochdruck ausgebaut, um möglichst einen Schutz aufzubauen, der dem „Iron Dome“ in Israel entspricht. Außerdem: Der israelische „Iron Dome“ muss in den Überlegungen von Xi besonders berücksichtigt werden.
Die Träume von Russland, China und der Iran
Im Jahre 2019 rückten Russland, China und der Iran näher zusammen. Dieser Schulterschluss fand und findet seine eindrucksvolle Demonstration in den seit damals durchgeführten gemeinsamen Manövern. Die drei Länder, oder genauer die drei machtbesessenen Herrscher, hatten und haben ähnliche Interessen. Wladimir Putin will die Ukraine kassieren, Xi Jinping Taiwan und der oberste Führer des Iran, Ali Khamenei, möchte Israel vernichten. In den unverhohlen betriebenen Planspielen wurden die USA als entscheidender Störfaktor definiert. Drei Kriegsschauplätze würden aber auch die USA überfordern, folglich Siege in der Ukraine, in Taiwan und in Israel ermöglichen. In weiterer Konsequenz sollten sich die Machtstrukturen auf dem Globus zugunsten der drei Partner verändern. Der US-Verteidigungsminister Lloyd Austin quittierte diese Vorstellungen mit der ironischen Bemerkung, man möge die Amerikaner nicht unterschätzen, sie können gleichzeitig Kaugummi kauen und gehen.
Ein Raketenhagel auf Israel als Auftakt für die Eroberung der Weltherrschaft
In dem teuflischen Konzert kam dem Iran die Aufgabe zu, die Ouvertüre zu spielen. In Teheran wurde die Idee geboren, man müsste Israel mit abertausenden Raketen gleichzeitig bombardieren, dieses Feuerwerk würde der „Iron Dome“ nicht bewältigen und Israel wäre wehrlos. Im Mai 2021 wurde das Experiment gestartet. Vorgeschoben wurde die Organisation „Hamas“, die den Gaza-Streifen im Süden Israels beherrscht. Der Iran lieferte zwar die Raketen, die zumeist im Gaza-Streifen montiert wurden, blieb aber im Hintergrund. Die Aktion scheiterte, die israelische Raketenabwehr hielt. Die Hamas musste die Niederlage eingestehen und ist seither wütend auf den Iran. Dieser unterstützt daher jetzt die neu in Gaza agierende Gruppe „Islamischer Dschihad“, die, ebenfalls erfolglos, vor einigen Wochen Israel mit Raketen beschossen hat. Somit muss Xi in seinen Überlegungen den Umstand berücksichtigen, dass voraussichtlich seine Raketen von der taiwanesischen Abwehr neutralisiert werden.
Die Eroberung von Taiwan wäre für Chinas Armee kein Spaziergang
Taiwan ist eine Insel, eine Invasion wäre daher von Booten aus zu unternehmen. Dies ist naturgemäß viel schwieriger als ein Vormarsch auf dem Land. Um erfolgreich zu sein, müsste vorweg die taiwanische Armee derart geschwächt werden, dass landende Truppen nicht einem gigantischen Massaker zum Opfer fallen. Zudem hat sich im Ukraine-Krieg gezeigt, dass sogar das Leitschiff der an der Krim stationierten, russischen Schwarzmeerflotte versenkt wurde.
Der Überfall auf Taiwan wäre nach dem iranischen Raketenhagel auf Israel und dem russischen Einmarsch in der Ukraine die dritte Aktion des „Trio Infernal“. Jetzt stellt sich die Frage, ob Xi den vorgesehenen Part übernimmt und dabei ein großes Risiko eingeht. Nicht auszuschließen ist allerdings, dass er meint, der Iran und Russland seien schlichtweg unfähig, China hingegen unschlagbar.
Sanktionen des Westens gegen China wären wirksamer als die Sanktionen gegen Russland
Mit dem Katalog an unwägbaren Faktoren ist die Liste der Probleme, mit denen sich Xi konfrontiert sieht, nicht abgeschlossen. Ein Überfall auf Taiwan würde prompt Sanktionen gegen China auslösen, wie sie bisher gegen Russland verhängt wurden. Nicht zufällig hat Xi bereits vor längerem angeordnet, dass alle Personen in Führungspositionen mögliche Ansatzpunkte für Sanktionen zu beseitigen haben. So sollen keine Konten oder sonstige Vermögenswerte im Westen gehalten werden, die im Ernstfall beschlagnahmt werden. Auch sind andere Abhängigkeiten aufzuspüren und zu beenden.
Ebenfalls nicht zufällig war erst diese Woche eine Delegation aus Taiwan in Washington und hat schon jetzt um die Verhängung von Sanktionen gegen China ersucht. Diese sollten die ständigen Drohungen und die nadelstichartig durchgeführten, provokanten Verletzungen des taiwanesischen Luftraums bremsen. Sanktionen gegen China hätten allerdings eine andere Dimension als die Maßnahmen gegen Russland.
Die in China tätigen Unternehmen aus den USA und Europa stellen ein wesentliches Element der chinesischen Wirtschaft dar. Eine Invasion von Taiwan hätte unweigerlich einen Rückzug der ausländischen Investoren zur Folge. Eine derartige Bewegung würde nicht nur China schaden, sondern auch große Verluste für die westlichen Unternehmungen und den Weltmarkt insgesamt auslösen. In Russland hat sich gezeigt, dass viele Firmen trotz dieser Verluste im Kriegsfall bereit sind, die Betriebe zu schließen und das Land zu verlassen.
Damit nicht genug: Es ist heute nicht mehr so attraktiv wie noch vor einigen Jahren, in China zu produzieren und die Waren nach Europa, in die USA und in andere Destinationen zu bringen. Es gibt also bereits ohne Taiwan-Krieg Gründe, um China aufzugeben.
Die steigenden Lohnkosten verringern Chinas Standortvorteil
Vor allem steigen die Löhne rasant und genau die niedrigen Löhne waren der Hauptgrund für die Verlagerung der Produktionen nach China, weg aus den USA und Europa. In vielen Fällen rechnet sich bereits eine Fabrik in den wirtschaftlich schwächeren Regionen mit niedrigen Löhnen in den USA und in der EU. In China wird darauf verwiesen, dass mittlerweile der chinesische Markt selbst schon attraktiv ist und die Unternehmen in China auch für China und nicht nur für den Weltmarkt produzieren. Dieser Faktor würde bedeuten, dass man, unter normalen Umständen, also ohne eine Invasion in Taiwan, nicht die gesamten Anlagen schließt, aber die Erzeugung auf den chinesischen Markt abstellt und somit deutlich reduziert. Diese Entwicklung ist schon im Gang und bewirkt bereits eine Schwächung Chinas. Zudem haben sich in der Covid-Krise die Lieferketten aus China als unverlässlich erwiesen und schon aus diesem Grund ist die Produktion in den USA und in Europa wieder attraktiver. Zur Illustration des neuen Trends: Intel baut derzeit große Halbleiterwerke in den USA und Europa.
Für Xi steht auch das Renommierprojekt „Neue Seidenstraße“ auf dem Spiel. Dieser Transportweg über Land und über Wasser sollte den Export von Waren zu den Weltmärkten erleichtern und den westlichen Unternehmen klarmachen, dass sie trotz der steigenden Kosten in China bleiben mögen. Die Covid-Krise hat dieses Konzept in Frage gestellt. Ohne Zweifel war es auch Pech: Nach den Lock-Downs explodierte die Nachfrage und die chinesischen Häfen konnten die Mengen nicht bewältigen.
Die Auslöser der Unzufriedenheit in der chinesischen Bevölkerung
Mit dem Hinweis auf die drohende Abwanderung westlicher Firmen schließt sich der Kreis zu den eingangs angesprochenen Problemen im Inland. Die Forderung nach höheren Löhnen entsteht in erster Linie durch die bereits erwähnten Immobilienkosten. Diese werden durch zwei von der Politik ausgelöste Faktoren getrieben.
- Die jahrelang verordnete Ein-Kind-Politik hatte den makabren Effekt, dass in erster Linie weibliche Föten abgetrieben wurden und jetzt ein gravierender Frauenmangel herrscht. Damit der Sohn eine Frau erobern und heiraten kann, muss in der Regel von der Familie eine Wohnung angeschafft werden. Diese Praxis stürzt die Betroffenen in eine permanente Überforderung. Womit auf einen zweiten, der Politik geschuldeten Umstand zu verweisen ist.
- Das Land hat in den vergangenen zwanzig Jahren systematisch den Aufbau von „Urban China“ forciert. Große Teile der Landbevölkerung wurden mit mehr oder weniger sanftem Druck in die Städte getrieben, wo in der Folge ein gigantischer Bedarf an Wohnungen entstanden ist.
- Es wurde und wird zwar enorm viel gebaut, die Objekte verkauft man aber zu Marktpreisen, die sich nicht sehr von den in Europa bezahlten Beträgen je Quadratmeter unterscheiden. Für Chinesen ist eine Mietwohnung keine akzeptable Option. Also wurden die Eigentumswohnungen zu Spitzenpreisen gekauft und mit gigantischen Schulden finanziert. Schon diese Belastungen sind unerträglich, rückt der Sohn ins heiratsfähige Alter, muss eine weitere Wohnung gekauft werden.
- Mit dieser Situation im Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass die chinesische Immobilienwirtschaft in eine sogar international beachtete Krise geraten ist.
Für Xi ist die Krise der Immobilienunternehmen nicht so relevant. Wichtiger für den Präsidenten und Generalsekretär ist die Unzufriedenheit der Bevölkerung. Diese ist zwar durch Jahrhunderte dauernde Diktaturen gewohnt, sich zu unterwerfen, doch ist keineswegs sicher, dass die sozialen Spannungen auf Dauer durch die Verfolgung aller Kritiker als „Korruptionisten“ in Schach gehalten werden können. Bei einer Abwanderung der ausländischen Investoren gehen zahllose, gut bezahlte Arbeitsplätze verloren und die von Schulden geplagten Betroffenen haben keine Alternativen.
Diktatoren interessiert die persönliche Macht und nicht das eigene Land
Angesichts der vielen Problemfelder würde sich zwingend ergeben, dass der chinesische Präsident sich um sein Land kümmert, statt mit der Eroberung von Taiwan zu kokettieren. Machtbesessene Diktatoren reagieren anders. Auch Wladimir Putin hätte genug zu tun, um die zahlreichen Krisen in Russland zu bewältigen, stattdessen führt er Krieg in der Ukraine. Im Iran ist die Lage der Bevölkerung ebenfalls katastrophal, doch Ali Chamenei attackiert Israel.