Technologie

Safe Space statt Wilder Westen: Die Metaverse-Strategie der EU

Die EU-Kommission will die Entwicklung des Metaverse in geordnete Bahnen lenken. Das ist aufgrund der Disruptionskraft der Technologie zwar zu begrüßen, wirkt aber gleichzeitig noch unbeholfen.
Autor
25.09.2022 09:13
Lesezeit: 3 min
Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..
Safe Space statt Wilder Westen: Die Metaverse-Strategie der EU
Ncht nur Facebook-Mutter Meta will den Markt der als Metaverses bezeichneten virtuellen Welten erschließen. (Foto: dpa) Foto: -

Das Metaverse wird "tiefgreifende Auswirkungen" auf China haben und Branchen wie Gaming, Werbung und E-Commerce beeinflussen. Das schreiben Analysten der Investmentbank J.P. Morgan in einem aktuellen Bericht. Das Metaverse solle ein verbessertes Nutzererlebnis über verschiedene Internet-Geschäftsmodelle hinweg bieten, womit mehr Nutzer erreicht und ein höherer durchschnittlicher Umsatz pro Nutzer erzielt werden könne, heißt es dort zudem.

Die als Metaverses bezeichneten virtuellen Welten – denn nicht nur Facebook-Mutter Meta, sondern auch andere Anbieter streben danach, sich diesen Markt zu erschließen – sollen Nutzern mithilfe von Elementen der virtuellen und erweiterten Realität (VR und AR) ein immersiveres Erlebnis digitaler Dienstleistungen ermöglichen.

Metaverse als Billionen-Geschäft: Konsum soll digitalisiert werden

Das optimistische Szenario der Analysten suggeriert, dass das Metaverse den chinesischen Online-Gaming-Markt sogar verdreifachen könnte: von 44 Milliarden Dollar auf 131 Milliarden Dollar. Sie schätzen den gesamten adressierbaren Markt – eine theoretische Schätzung der Marktgröße – für das Metaverse in China auf eine Summe 4 Billionen Dollar, die sich aus der "Offline-Konsum von physischen Waren und Dienstleistungen" ergeben würde. Zudem könne das Metaverse "Internetunternehmen dabei helfen, Geschäftsdienstleistungen zu erschließen und die im Internet verbrachte Zeit möglicherweise zu verdoppeln", schreiben die Analysten um den Ökonomen Daniel Chen.

Für China rechnen sie mit einem insgesamt adressierbaren Markt von 27 Milliarden Dollar, allein für Unternehmensdienstleistungen und Software im Metaverse. Mit ihrem Bericht bläst die US-amerikanische Investmentbank ins gleiche Horn wie zuletzt die Citibank. Deren Analysten sprachen vom Metaverse als einer Einnahmequelle von bis zu 13 Billionen Dollar, die nicht nur für die Tech-, sondern auch für die Kryptobranche von großer Bedeutung sei. Dabei gehen die Berechnungen der Citibank ebenfalls fest davon aus, dass das Metaverse langfristig Aktivitäten, Dienstleistungen und Waren in der physischen Welt verdrängen wird.

EU-Kommission erklärt ihre Strategie fürs Metaverse

Dementsprechend war es zu erwarten, dass auch die EU-Kommission Handlungsbedarf in puncto Metaverse sehen würde. "Wir werden uns weiterhin mit neuen digitalen Möglichkeiten und Trends wie dem Metaverse befassen", betonte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen so jüngst in einer Absichtserklärung, die ihrer jährlichen Rede zur Lage der EU beigefügt war. Schließlich werfen virtuelle Welten wie das Metaverse weitreichende Fragestellungen auf – und zwar längst nicht nur auf ökonomischer, sondern auch auf gesellschaftlicher, gesundheitlicher, juristischer und politischer Ebene.

In einem LinkedIn-Posting erklärt EU-Binnenmarktkommissar Breton, wie die Regulierung des Metaverse grundsätzlich aussehen könne. So solle "diese neue virtuelle Umgebung von Anfang an auf europäischen Werten fußen. Die Menschen sollten sich in den virtuellen Welten genauso sicher fühlen wie in der realen Welt." Zudem warnt Breton vor marktbeherrschenden Metaverse-Monopolisten und mahnt Standards für Interoperabilität in privater Hand befindlicher Metaverses an, also leichte Vereinbarkeit und Navigierbarkeit jeweils eigenständiger virtueller Welten.

Breton: Metaverses sollen zu "Safe Spaces" werden

Breton verwies in diesem Zusammenhang auch auf bestehende EU-Gesetze und erklärte, dass die EU bereits über "starke und zukunftssichere Regulierungsinstrumente für dem digitalen Raum" verfüge. Anstatt sich in eine unregulierte Welt des Chaos zu begeben, sollten Metaverses zu "Safe Spaces" und entsprechende Standards entwickelt werden. "Wir werden eine kreative und interdisziplinäre Bewegung ins Leben rufen, die darauf abzielt, mit Hilfe von IT-Experten, Regulierungsexperten, Bürgerorganisationen und der Jugend Standards zu entwickeln, die Interoperabilität zu verbessern und unsere Möglichkeiten zu maximieren", so Breton.

Auch über die für die Entwicklung von Metaverses notwendigen Technologien und Industrien verfüge die EU, wie Breton unterstreicht: "In Italien, Lettland, Frankreich, Deutschland, Finnland und anderswo entsteht bereits ein Ökosystem, das sich sowohl aus großen als auch aus innovativen kleinen und mittelständischen Unternehmen zusammensetzt." Mit privaten, nationalen und EU-Mitteln will die EU dieses Ökosystem ausbauen.

So rief Breton zuletzt eine Industriekoalition aus 40 Unternehmen ins Leben, um die Akteure entscheidender Metaverse-Technologien zusammenzubringen.

Breton fordert Beteiligung von Profiteuren des digitalen Wandels

Schließlich verweist Breton auf drängende Fragen der Informationssicherheit und -Infrastruktur. So zeige die derzeitige Situation, die sich im Zuge der Pandemie sogar noch verschärft habe, das Paradoxon, "dass immer größere Datenmengen über die Infrastrukturen übertragen werden, die Einnahmen und die Bereitschaft zu Investitionen, die sie stärken und widerstandsfähiger machen, jedoch zurückgehen." Darum plädiert er dafür, dass in Europa alle Marktteilnehmer, die von der digitalen Transformation profitieren, "einen fairen und angemessenen Beitrag zu öffentlichen Gütern, Diensten und Infrastrukturen" leisten, der allen Europäern zugutekomme.

Vorerst bleibt zu konstatieren: Die Bemühungen der EU-Kommission und insbesondere Thierry Bretons, die Entwicklung des Metaverse – vor dem zahlreiche Science-Fiction-Autoren warnten – in geordnete Bahnen zu lenken, sind zwar prinzipiell zu begrüßen, wirken aber in Anbetracht der nach wie vor kaum sinnvoll zu regulierenden sozialen Medien sowie der ungebrochenen Monopole einiger weniger Big-Tech-Firmen jedoch entweder überambitioniert oder blauäugig – zum Teil dürfte das aber auch an der schieren Disruptionskraft des Metaverses liegen, der auf politischer Ebene nur begrenzt beizukommen sein wird.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen MTS Money Transfer System – Sicherheit beginnt mit Eigentum.

In Zeiten wachsender Unsicherheit und wirtschaftlicher Instabilität werden glaubwürdige Werte wieder zum entscheidenden Erfolgsfaktor....

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Bürokratieabbau verhindert: Warum Brüssel lieber Ideologie als Wirtschaft fördert
27.10.2025

Ein Signal gegen Wachstum: Das EU-Parlament hat den geplanten Bürokratieabbau für Unternehmen gestoppt – ausgerechnet jene Parteien,...

DWN
Politik
Politik Diplomat schlägt Alarm: Trumps Haltung gefährdet die Weltpolitik
27.10.2025

Donald Trumps mögliche Rückkehr ins Weiße Haus sorgt international für Spannungen. Viele Beobachter befürchten, dass seine...

DWN
Politik
Politik Argentinien: Milei feiert überraschenden Erfolg bei Kongresswahl
27.10.2025

Trotz Korruptionsskandalen und wirtschaftlicher Schwächen hat Argentiniens ultraliberaler Präsident Javier Milei bei den Zwischenwahlen...

DWN
Panorama
Panorama Olympia in München: Bürgerentscheid beschleunigt Bewerbungspläne
27.10.2025

Mit dem eindeutigen Votum für eine Olympiabewerbung setzt München den DOSB unter Zugzwang. Die Stadt drängt auf ein schnelleres Vorgehen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Vogelgrippe: Geflügelpreise trotz massenhafter Keulungen stabil
27.10.2025

Trotz massenhafter Tötungen von Nutztieren infolge der Vogelgrippe rechnet die deutsche Geflügelwirtschaft nicht mit kurzfristigen...

DWN
Politik
Politik Nord-Stream-Anschlag: Gericht genehmigt Auslieferung mutmaßlichen Täters nach Deutschland
27.10.2025

Die Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines 2022 sorgten international für Aufsehen. Nun hat ein italienisches Gericht erneut der...

DWN
Finanzen
Finanzen Energie-Investments in bewegten Zeiten: Chancen zwischen Atom, Wasserstoff und Sonne
27.10.2025

Die Welt verschlingt immer mehr Strom – von KI bis Rüstung. Atomkraft erlebt ein Comeback, Wasserstoff bleibt Wette auf die Zukunft,...

DWN
Politik
Politik 75 Jahre Verfassungsschutz: Präsident Selen warnt vor verschärfter Bedrohungslage
27.10.2025

Zum Jubiläum blickt der Verfassungsschutz auf wachsende Herausforderungen. Wo die Behörde derzeit die größten Gefahren sieht – und...