Deutschland

Teure Energie zwingt Deutschlands Industrie in die Knie

Lesezeit: 3 min
24.09.2022 15:32  Aktualisiert: 24.09.2022 15:32
Bei den aktuellen Energiepreisen ist die deutsche Industrie international nicht wettbewerbsfähig. Große Teile der Produktion werden daher ins Ausland verlegt.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

In Europa zahlen die Unternehmen derzeit siebenmal so viel für Gas wie in den USA. Unter diesen Voraussetzungen kann die deutsche Industrie im internationalen Wettbewerb nicht mehr bestehen. Der Schaden für die Wirtschaft ist wahrscheinlich dauerhaft. Denn es gibt kaum Anzeichen dafür, dass die russischen Gaslieferungen nach Europa in naher Zukunft wiederhergestellt werden. Daher wird Erdgas wohl nie wieder so preiswert sein wie noch vor einigen Jahren.

Sicherlich wird es in Europa weiterhin Gas aus anderen Quellen geben. Doch viele Unternehmen werden es sich einfach nicht mehr leisten können. Anzeichen für einen wirtschaftlichen Wandel sind bereits im Gange. So ist Deutschlands Handelsüberschuss deutlich geschrumpft, da die hohen Importkosten für Energie seine Auto- und Maschinenexporte ausgleichen. Im August stiegen die deutschen Erzeugerpreise um rekordverdächtige 46 Prozent.

Deutsche Chemieunternehmen haben längst begonnen, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern. Der Kunststoffhersteller Covestro wird keine Investitionen in Europa mehr tätigen, wenn die Krise anhält. Der Vorstandsvorsitzende Markus Steilemann sagte, dass sich das Unternehmen Energie in Asien zu Preisen sichern kann, die 20 Mal günstiger sind als auf dem deutschen und europäischen Spotmarkt.

Energie in Deutschland 20-mal teurer als in Asien

Volkswagen warnte am Donnerstag, dass er seine Produktion aus Deutschland und Osteuropa verlagern könnte. „Als mittelfristige Alternativen konzentrieren wir uns auf eine stärkere Lokalisierung, die Verlagerung von Fertigungskapazitäten oder technische Alternativen, ähnlich wie es im Zusammenhang mit Herausforderungen durch Halbleiterknappheit und andere jüngste Lieferkettenstörungen bereits üblich ist“, sagte Geng Wu, Leiter der Volkswagen-Beschaffung, in einer Erklärung.

Bundeskanzler Olaf Scholz wird an diesem Wochenende mit einer Gruppe von Wirtschaftsführern in den Nahen Osten reisen, um mit Saudi-Arabien und Katar Verträge über Flüssigerdgas abzuschließen, die die russischen Kürzungen ausgleichen sollen. Die Verhandlungen gestalten sich jedoch schwierig, da die Gaslieferanten, darunter auch Katar, bei den Preisen und der Laufzeit möglicher Vereinbarungen mit harten Bandagen kämpfen, zitiert Bloomberg deutsche Beamte.

Covestro rechnet damit, dass sich seine Brennstoffkosten im laufenden Jahr auf über 2,2 Milliarden Euro belaufen werden. Das ist fast viermal so viel wie noch im Jahr 2020. Doch nun hat Russland seine Gasexporte nach Europa gedrosselt. „Bei dem derzeitigen Preisniveau ist die energieintensive deutsche Industrie weltweit nicht mehr wettbewerbsfähig“, sagte eine Sprecherin. Für eine Reihe von Chemikalien seien Importe aus den USA oder China bereits billiger als die Produktion in Deutschland.

Wo es möglich ist, wechseln Hersteller wie Volkswagen und BMW von Gas auf Öl oder Kohle, um ihre Anlagen weiter am Laufen zu halten. Einige energieintensive Produktionszweige - wie Metalle, Papier und Keramik - sind jedoch nicht mehr haltbar, so dass immer mehr Unternehmen ihre Produktion einstellen, ins Ausland verlagern oder, wie der Chemieriese BASF, wichtige Rohstoffe wie Ammoniak von Konkurrenten importieren.

Mercedes bunkert Autoteile

Die Mercedes-Benz AG hat sogar die Produktion von wichtigen Autoteilen hochgefahren, um Vorräte anzulegen, falls sie deutsche Werke schließen muss. „Diese Belastungen schädigen den industriellen Kern unserer Wirtschaft nachhaltig“, sagte Christian Seyfert, Geschäftsführer des VIK, der energieintensive Unternehmen vertritt. „Wir raten der Politik dringend zu entschlossenem Handeln, damit Deutschland und der Wirtschaftsstandort Europa international nicht völlig abgehängt werden.“

In ganz Europa, wo die Industrieproduktion etwa ein Viertel der Wirtschaft ausmacht, ergreifen die Regierungen Sofortmaßnahmen, um die Versorgungsunternehmen zu stützen und die Auswirkungen der Krise abzufedern. Das Vereinigte Königreich kündigte diese Woche einen Plan in Höhe von schätzungsweise 40 Milliarden Pfund (45 Milliarden Euro) an, mit dem die Großhandelspreise für Energie, die in Gas- und Stromverträge für Unternehmen einfließen, für sechs Monate gedeckelt werden sollen.

Deutschland ist wegen seiner starken Abhängigkeit von russischem Gas am stärksten von der Energiekrise betroffen. Aber ganz Europa steht unter Druck. In Frankreich erklärte der Glashersteller Duralex, dass er seinen Ofen für fünf Monate lediglich in Bereitschaft hält, obwohl die Auftragsbücher des Unternehmens voll sind und der Umsatz steigt. „Zu den aktuellen Preisen weiter zu produzieren, wäre ein finanzieller Irrweg“, so Jose-Luis Llacuna, Präsident von Duralex, das in 110 Länder exportiert.

Der französische Präsident Emmanuel Macron forderte am Donnerstag kleine und mittelständische Unternehmen auf, keine neuen Energieverträge zu „verrückten Preisen“ zu unterzeichnen, da die Regierungen dabei seien, die Gas- und Stromkosten neu zu verhandeln.

In Deutschland, wo die Industrieproduktion bisher rund 30 Prozent der Wirtschaft ausmacht und etwa 1,15 Millionen Menschen beschäftigt, steht am meisten auf dem Spiel. Energieintensive Fabriken im ganzen Land liefern alles von Getriebekomponenten für Autos bis hin zu Chemikalien für Medikamente und alltägliche Kunststoffe.

Covestro, das Materialien für die Bau- und Automobilindustrie herstellt, sagte, die Nachfrage beginne zu schwinden. „Wir verlieren langsam unsere Kunden“, sagt der Vorstandsvorsitzende Steilemann. „Wir haben eine erhöhte Anzahl von Insolvenzen, eine erhöhte Anzahl von Betriebsschließungen und eine sehr zurückhaltende Kaufbereitschaft.“


Mehr zum Thema:  

DWN
Politik
Politik Nach Trump-Wahl: Nato will höhere Verteidigungsausgaben - Europa sonst ungeschützt
08.11.2024

In Europa reichen Verteidigungsausgaben von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht aus, um ohne den Schutzschirm der USA...

DWN
Politik
Politik Der DWN-Kommentar: Scholz gegen Lindner – ein Symbol des Scheiterns der Regierung und des Kanzlers
07.11.2024

Die Ampel ist Geschichte. Ein Scheitern, dass die Probleme dieser Konstellation nochmal verdeutlicht.

DWN
Politik
Politik Entmilitarisierte Zone entlang der Front? Erste Pläne zur Umsetzung von Trumps Wahlkampf-Versprechen
07.11.2024

Donald Trump hat die Wahl mit einer klaren Mehrheit gewonnen. Nun beginnen Vorbereitungen für die Machtübernahme. Die Demokraten hingegen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Ampel-Aus: Wirtschaft fordert Steuersenkungen und das Lockern der Schuldenbremse
07.11.2024

Stabilität, Verlässlichkeit, Vertrauen – all dies bot die Ampel-Regierung in den vergangenen Wochen nicht. Stattdessen gab es Zoff und...

DWN
Politik
Politik Nato-Generalsekretär Mark Rutte erwartet neue Geld-Debatte mit Donald Trump
07.11.2024

Der Streit um Verteidigungsausgaben brachte die Nato in der ersten Amtszeit von Trump zeitweise an den Rand des Abgrunds. Wird es nun noch...

DWN
Politik
Politik Kollateralschaden? Gesundheitsminister Lauterbach sorgt sich um seine Krankenhausreform
07.11.2024

Die Ampel-Koalition ist am Ende. Was wird nun aus noch laufenden Vorhaben? Der Gesundheitsminister will eine Großoperation trotz allem ins...

DWN
Politik
Politik Exportnation Deutschland im Tief: Das Land ist schlicht "nicht wettbewerbsfähig"
07.11.2024

Drohende US-Zölle und eine Bundesregierung auf Abruf: Schwere Zeiten für die deutsche Wirtschaft. Die jüngsten Konjunkturdaten machen...

DWN
Politik
Politik Ampel-Aus: Was dann? Wie geht's jetzt weiter?
07.11.2024

Wann finden die Neuwahlen statt? Das ist die drängende Frage, die Deutschland beschäftigt. Gestern kam es mit einem Paukenschlag zum...