Politik

Der Kohleboom ist ungebrochen – und wird sich weiter fortsetzen!

Lesezeit: 4 min
09.10.2022 08:20
Kohle ist der umweltschädlichste aller fossilen Energieträger und nicht zu Unrecht das Schmuddelkind einer jeden Klimakonferenz. Nichtsdestotrotz bleibt unübersehbar: die Nachfrage nach Kohle steigt weiter, und das weltweit. Ganz offenbar herrscht ein breiter Graben zwischen ökologischen Idealen und wirtschaftlicher Realität.
Der Kohleboom ist ungebrochen – und wird sich weiter fortsetzen!
(Foto: iStock.com/Nordroden)

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Angesichts des in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegenen ökologischen Bewusstseins und des enormen Ausbaus alternativer Energiequellen, kann es durchaus überraschen, dass sich der Anteil fossiler Energieträger am gesamten Energiemix in den letzten 50 Jahren weit weniger verringert hat, als dies gemeinhin eingeschätzt wird. Konkret lag deren Anteil im Jahr 1973 bei 87 Prozent. Nach dem seitdem Billionenbeträge aufgewendet wurden, um die Abhängigkeit davon zu verringern - in Technologie, Medien, Administration, etc. – beläuft sich dieser Anteil weltweit nun, im Jahr 2022, immer noch auf 81 Prozent. In den vergangenen zehn Jahren gelang es, den Anteil fossiler Energieträger am Gesamtenergieverbrauch um gerade einmal einen Prozentpunkt zu senken, und das bei gut 3,8 Billionen Dollar Investment in erneuerbare Energiequellen in diesem Zeitraum. Der Kohleanteil an der weltweiten Primäranergie beläuft sich heute auf gut 27 Prozent, was ebenfalls nahezu dem Anteil von vor 50 Jahren entspricht und sogar über dem Wert zur Jahrtausendwende liegt. Der Rekordwert der Kohlenachfrage stammt aus dem Jahr 2013 und belief sich seinerzeit auf acht Milliarden Tonnen. Laut der Internationalen Energieagentur EIA wird diese Zahl im laufenden Jahr abermals erreicht und nach ihrer Prognose im kommenden Jahr sogar überschritten werden. Damit ist Kohle immer noch der unbestrittene König des Energiesystems, und es sieht nicht so aus, als würde er in absehbarere Zeit von seinem Thron gestoßen werden. Und schon gar nicht von einem grünen Emporkömmling.

Sorge um Klimawandel tritt in den Hintergrund

„Wenn in diesem Winter das Gas ausgeht, werden wir alles verbrennen, was wir können, um unsere Leute warm zu halten und um Strom zu erzeugen“, so jüngst Vaclav Bartuska, seines Zeichens tschechischer Sonderbotschafter für Energiesicherheit. So klar äußerten sich bislang nur wenige, gilt es doch als Sakrileg, der Bekämpfung des Klimawandels nicht vorderste Priorität beizumessen. Bartuska ist jedoch Realist, und wer den Blick in die Welt schweifen lässt, erkennt, dass er bei Weitem nicht der einzige ist. Selbst Deutschland, als Energiewendemusterknabe, belebt seine Kohlekraftwerkskapazitäten wieder und sieht sich gezwungen, wirtschaftliche Überlegungen in den Vordergrund zu stellen. Laut Robert Habeck sei dieser Schritt „bitter, aber notwendig“. Andere europäische Staaten, wie beispielsweise die Niederlande, Österreich, Polen und Tschechien, gehen den gleichen Weg. Im Vergleich zu China und Indien wird sich der europäische Beitrag zum neuen Kohleboom zwar eher klein ausnehmen, kommt aber dennoch „On Top“ hinzu. Allein China will seine Produktion noch im diesen Jahr um 300 Millionen Tonnen steigern, Indien bis Ende 2023 400 Millionen Tonnen zulegen. Deren Verbrennung führt zu zusätzlichen 1,4 Milliarden Tonnen Kohlendioxidausstoß, was recht genau dem Umfang der Emissionsreduzierung entspricht, die in den USA – als das gemessen an der absoluten Senkung von Treibhausemissionen weltweit führende Land - in den letzten anderthalb Jahrzehnten erreicht wurde. Wenn zumindest hierzulande nur als Übergangslösung in Zeiten außergewöhnlich kritischer Umstände gedacht, steht dennoch zu befürchten, dass dieser „bittere, aber notwendige“ Weg erheblich länger werden könnte, als erhofft. Der Blick auf die Energiemärkte, in diesem Fall speziell auf den Kohlemarkt, lässt auf eine andauernde angespannte Lage schließen. Damit verbunden ist die Befürchtung, dass sich die Erfolge der letzten Jahre in Bezug auf die weltweite Reduktion von CO2-Emissionen buchstäblich in Rauch auflösen.

Terminkurve deutet auf anhaltend hohe Preise hin

Bereits im Juli 2021 setzte sich der Kohlepreis – hier API2-Rotterdam-Kohle als der für Europa relevante Benchmark-Kontrakt – aus einer langjährigen stabilen Seitwärtsphase angesichts steigender Nachfrage und stagnierenden Angebots nach oben ab, mehr als verdoppelte sich innerhalb der folgenden drei Monate und fiel dann zunächst wieder unter das Ausbruchsniveau bis auf rund 110 Dollar pro Tonne zurück. Mit dem sich schon Anfang diesen Jahres angekündigten Einmarsch Russlands in die Ukraine und des dann tatsächlich folgenden Kriegsausbruchs sprang der Preis jedoch parabolisch an. Anfang März wurde der bisherige Höchststand bei 465 Dollar pro Tonne markiert. Russland ist einer der drei größten Kohleexporteure der Welt und kontrolliert etwa 17 Prozent der weltweiten Lieferungen, somit heizten die auch den Kohlemarkt betreffenden Sanktionspläne der EU die sich zwischenzeitlich leicht beruhigende Marktsituation aufs Neue an, mit abermals Preisen oberhalb der 400-Dollar-Marke. Beunruhigend ist, dass sich diese Situation nicht auf den aktuellen Energiebrennpunkt Europa beschränkt. Blickt man auf den für den asiatisch/pazifischen Raum maßgeblichen Newcastle-Coal-Future zeigt sich die gleiche Tendenz. Aufgrund der beiden Großkonsumenten China und Indien entwickeln sich die Preise dort sehr stabil aufwärts und notieren sogar deutlich oberhalb ihres europäischen Pendants.

Damit zahlt die Welt neben den Umweltkosten auch einen hohen finanziellen Preis. Fatalerweise deutet sich weder beim einen noch beim anderen eine Verbesserung der Situation an, den düsteren Preisausblick verdeutlicht der Blick auf die Terminkurve des Kohlemarktes. Diese befindet sich sowohl in Europa als auch in Asien strukturell zwar in einer sogenannten „Backwardation“, also einer Situation, bei der die kurzlaufenden Kontrakte über den länger laufenden notieren, was auf akute Versorgungsengpässe hindeutet. Jedoch ist es sehr bemerkenswert, dass nicht nur die Spotpreise explodiert sind und, wenigstens hier, nun bestenfalls auf hohem Niveau stagnieren, sondern sich in den letzten Wochen zudem die gesamte Terminkurve deutlich nach oben verschoben hat. Während der Markt im März, unmittelbar nach dem russischen Angriff, noch von einem kurzfristigen Preis-Spike ausging, setzt er nun auf anhaltend hohe Preise. Und dies nicht nur für den Rest des Jahres und in 2023, sondern bis weit darüber hinaus. Selbst der in ferner Zukunft liegende Terminkontrakt für Lieferung im Dezember 2027 handelt sowohl in Europa als auch in Asien etwa doppelt so hoch, wie zu Beginn des Ukraine-Krieges.

Sachzwänge versus Ideologie

In den USA prägte der Journalist und Energieexperte Robert Bryce vor einigen Jahren den Begriff des „Iron Law of Electricity“. Dessen wesentliche Aussage ist, dass Menschen, Unternehmen und Länder alles tun werden, was sie tun müssen, um die Strommenge zu bekommen, die sie benötigen. Und darüber hinaus, dass, wenn sie gezwungen sind, zwischen schmutzigem Strom und keinem Strom zu wählen, sie sich immer für schmutzigen Strom entscheiden werden. Wenn es sich dabei zwar auch um kein unumstößliches Naturgesetz handelt und die Zukunft durchaus auch das Gegenteil zeigen kann, momentan gilt es. Politiker von China über die Tschechischen Republik bis hin zum ökologisch sehr bewussten Deutschland werden alles tun, um Stromausfälle zu vermeiden, auch wenn sie dafür „alles verbrennen“ müssen, was sie finden können.

Die Energieproblematik dürfte uns somit noch lange beschäftigen, mit hohen Preisen, fehlenden Rohstoffen und zunehmenden Umweltschäden. Wer glaubt, es käme lediglich darauf an, den kommenden Winter zu überstehen, wird bitter enttäuscht werden.

                                                                            ***

Markus Grüne (49) ist langjähriger professioneller Börsenhändler in den Bereichen Aktien, Derivate und Rohstoffe. Seit 2019 arbeitet er als freier Finanzmarkt-Journalist, wobei er unter anderem eigene Börsenbriefe und Marktanalysen mit Fokus auf Rohstoffe publiziert. 


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