Die Finanzmärkte haben mit einem deutlichen Signal auf den 20. Parteitag der kommunistischen Partei Chinas (KPCh) reagiert. Die Kurse am Hang Seng Index fielen am Tag nach dem Parteitag um 6,3 Prozent und der Shanghai Composite Index verlor 2 Prozent an Wert. Der Ausverkauf an der Börse war enorm und in der internationalen Wirtschaftspresse überall Thema. Chinesischen Medien zensierten dagegen jeden Bericht über die Turbulenzen am Finanzmarkt.
Auch an der deutschen Börse verloren chinesische Aktien deutlich an Wert. Der chinesische Mischkonzern BYD verlor mehr als 8 Prozent, Elektroautohersteller Nio brach um 11 Prozent ein und auch die Tech-Giganten Tencent (-11) und Alibaba (-12,3) büßten massiv ein.
Investoren fürchten Einschränkungen für die Wirtschaft
Investoren reagierten damit auf die eiserne Hand Xi Jinpings. Xi zementierte seinen Einfluss innerhalb der KPCh und schwang sich zum mächtigsten Politiker Chinas seit Mao Tsetung auf, indem er sich weitere fünf Jahre Amtszeit sicherte. Der 69-Jährige stellte sicher, dass er die zweitgrößte Volkswirtschaft für den Rest seines Lebens regieren wird.
Für internationales Aufsehen sorgte die öffentliche Demütigung des ehemaligen Staatschefs Hu Jintao, der vor Publikum – und offensichtlich gegen seinen Willen – vom Parteikongress abgeführt wurde. Darüber hinaus tauschte Xi eine Reihe von wirtschaftsfreundlichen Funktionären gegen parteitreue Hardliner aus. So konnte sich etwa Li Qiang, der Bürgermeister als Schanghai für die strikte Lockdown-Politik verantwortlich ist, als nächster Premierminister der Volksrepublik in Stellung bringen.
„Der Markt ist besorgt, dass mit der Wahl so vieler Xi-Anhänger seine uneingeschränkte Fähigkeit, eine nicht marktfreundliche Politik zu betreiben, nun zementiert ist”, sagte Justin Tang, Leiter der Asien-Analyse bei United First Partners, gegenüber Bloomberg.
Investoren sähen uns unter anderem sehr kritisch, dass durch die Berufung mehrerer Hardliner kein baldiges Ende der Zero-Covid-Politik in Sicht ist. Erst kürzlich wurden von Wuhan in Zentralchina bis Xining im Nordwesten wieder Stadtteile mit Millionen Einwohnern abgeriegelt.
„Je mehr die Macht zentralisiert wird, desto größer ist das Risiko einer übereifrigen Umsetzung der Politik auf der Grundlage von Direktiven von oben”, sagte Duncan Wrigley, Chefökonom für China bei Pantheon Macroeconomics Ltd., zu Bloomberg. „Das ist bei einigen der Lockdowns im zweiten Quartal geschehen.”
Wohlhabende Chinesen schaffen Vermögen ins Ausland
Nicht nur ausländische Investoren sehen die Lage in China nach dem Parteitag pessimistisch. Immer mehr reiche Chinesen setzen nun ihre Fluchtpläne um, wie die Financial Times berichtet. Sie bringen ihr Vermögen im Ausland in Sicherheit vor dem Zugriff der KPCh oder kehren ihrem Heimatland komplett den Rücken.
David Lesperance, ein in Europa ansässiger Anwalt, der mit wohlhabenden Familien in Hongkong und China zusammengearbeitet hat, sagte der FT, dass die Verlängerung der Amtszeit von Xi über zwei Amtszeiten hinaus ein Wendepunkt für die Wirtschaftselite des Landes ist, die jahrzehntelang vom wirtschaftlichen Aufschwung Chinas profitierte. „Jetzt, wo 'der Vorsitzende' fest im Amt ist, habe ich bereits drei Anweisungen von verschiedenen sehr vermögenden chinesischen Unternehmerfamilien erhalten, ihre Fluchtpläne zu verwirklichen“, so Lesperance.
Viele wohlhabende Chinesen bringen ihr Vermögen in wirtschaftsfreundliche südostasiatische Länder wie Singapur. Hongkong, das lange Zeit ein bevorzugtes Ziel für chinesische Wohlhabende war, hat in den letzten Jahren an Attraktivität verloren, seit Peking die Kontrolle über das Gebiet verstärkt hat. Die Zahl der Family Offices - privaten Einrichtungen zur Verwaltung des Vermögens einer Familie - in Singapur hat sich zwischen 2017 und 2019 verfünffacht. Dieser Trend hielt auch in den letzten zwei Jahren weiter an. Laut Citi Private Bank stieg die Zahl von 400 Ende 2020 auf 700 ein Jahr später.
Kia Meng Loh, ein in Singapur ansässiger Senior Partner bei Dentons Rodyk, einer globalen Anwaltskanzlei mit 6.000 Mitarbeitern in China, sagte der FT, dass es in Singapur „seit Monaten“ Anfragen und Anweisungen aus China für die Einrichtung von Family Offices gebe. „Die Kunden, mit denen ich zusammenarbeite, sahen Xis dritte Amtszeit schon viel früher als diese Woche als ausgemachte Sache an“, so Loh.
Chinas Superreiche fürchten um ihre Sicherheit
Seit dem Parteitag hat sich die Kapitalflucht jedoch noch einmal verschärft, wie Ryan Lin, Direktor der in Singapur ansässigen Anwaltskanzlei Bayfront Law, bestätigt. Während des Parteikongresses seien fünf wohlhabende Familien an ihn herangetreten, um ein Family Office in Singapur zu gründen. Einige dieser Familien wollten nicht nur ihr Vermögen in Singapur in Sicherheit bringen, sondern auch ihren Wohnsitz dorthin verlegen.
Ein weiteres beliebtes Ziel für reiche Chinesen sind die USA. So berichten Immobilienanbieter, sie hätten derzeit Mühe, die Flut von Anfragen aus China zu bewältigen, da die meisten Kunden es eilig hätten, das Land zu verlassen. Auch Firmen in Schanghai und Peking, die sich auf die Auswanderung in die USA spezialisiert haben, berichten von einem sprunghaften Anstieg der Anträge auf US-Aufenthaltsgenehmigungen („Green Cards“).
Getrieben wird die Flucht der Wohlhabenden dabei nicht nur von anhaltenden Gerüchten über eine offiziellen Vermögenssteuer, die künftig an die Stelle informeller Spenden für den „gemeinsamen Wohlstand“ treten soll. Sie fürchten auch zunehmend um ihre Sicherheit, nachdem in jüngster Vergangenheit eine Reihe hochrangiger Persönlichkeiten vorübergehen aus der Öffentlichkeit verschwand. Darunter waren etwa der Alibaba-Gründer Jack Ma, der Tennisstar Peng Shuai, der Elite-Finanzier Xiao Jianhua und der Immobilienmogul Whitney Duan.